Vier schöne Jahre einer weißen Internationalistin
unter schwarzen Freunden
Als mich die DDR nach Guinea entsandte
(Teil 2)
Die heute 93jährige Autorin wurde 1973 von der DDR nach Guinea delegiert, um dort beim Aufbau des Gesundheitswesens mitzuwirken.
Inzwischen kamen immer mehr Schüler, der Raum war knackend voll. Ich saß auf meinem Stühlchen und ließ mich mit ihren strahlenden schwarzen Augen begucken. Endlich traf Helli ein. Nun verhandelten wir zu zweit, und ich verstand so viel, daß ich morgen anfangen könnte. Morgen?? Was, bitte, soll ich unterrichten, quelle matière? Ich zählte alle meine Qualifikationen auf, Hämatologie, Infektionslehre und und ... Der Direktorin schien vor allem die praktische Ausbildung am Herzen zu liegen. Das hatte einen tieferen Grund. Man hoffte, daß ich sämtliche Geräte, einschließlich der Mikroskope, mitgebracht hätte. Aber sie brauche erst noch ein Papier vom Minister.
Helli, unser Arzt, kam auf ein Bier mit zu mir. Ich regte mich auf: „Morgen anfangen? Was? Wo? Wie?“ Er lachte und nahm einen großen Schluck Radeberger Luxusklasse. „Morgen heißt auf alle Fälle nicht vor vier Wochen. Bloß nichts überstürzen, meine Liebe, nichts tun mit deutscher Hast.“
Conakry soll eine der schönsten Kolonialstädte Afrikas gewesen sein. Sie liegt zum Teil, wie das Krankenhaus L’hopital Donka, unsere Schule und unsere Wohnungen, auf der Halbinsel Donka. Die Botschaft hingegen befand sich in der Stadtmitte, etwa 8 Kilometer entfernt. Zu jeder Besprechung wurden wir mit dem Auto des Staatlichen Leiters hin und hergefahren. Später erhielten auch wir Motorfahrzeuge – ein Motorrad oder ein Auto.
Der Verkehr war verwirrend. Hunde, Ziegen und Hühner nahmen selbstverständlich an ihm teil. Regeln ließen sich kaum erkennen. Es herrschte ein freundliches Chaos.
Heute fand ein für mich wichtiges Ereignis statt, nämlich die offizielle Vorstellung beim Minister für Gesundheitswesen Guineas. So fuhr ich denn im standergeschmückten Diplomatenauto an der Seite des Botschafters am Ministerium vor. Wir warteten einige Minuten im Vorzimmer, bis uns der Minister, jung und voller Elan, in sein Amtszimmer bat. Ich hatte etwas Herzklopfen, denn Verhandlungen auf dieser Ebene waren nicht mein tägliches Brot. Ich wurde begrüßt, man ging auf die guten beiderseitigen diplomatischen Beziehungen ein, noch ein paar Floskeln, und wir waren entlassen.
Für die eigentliche Arbeitsbesprechung war ein Termin zwei Wochen später vereinbart worden, zu dem mich leider kein Erfahrener begleiten konnte. Diesmal bat man mich in ein Vorzimmer. Nach einiger Zeit kam ein leiser freundlicher Herr: „Deux minutes“, er müsse erst noch mein Dossier holen. Bald erschien der Sekretär und führte mich in das mir schon bekannte Arbeitszimmer des Ministers. Der nahm Rücksicht auf mein Französisch und sprach langsam und artikuliert. Einige mir unbekannte Herren saßen noch dabei. Man wollte jetzt Vorschläge zu meinem Unterricht hören. Ich fing also an, Vorstellungen, die ich mir in den ersten Wochen bilden konnte, darzulegen. Am Wichtigsten schienen mir Hämatologie und Infektionslehre zu sein. Ich wollte auch das Fach Erste Hilfe so ausbauen, daß meine Schüler in der Lage sein sollten, so etwas wie Sanitätsstationen auf dem Lande einzurichten, um die wenigen Ärzte zu entlasten (bien, oui oui). Ich war platt, wie gut man mich verstand, mein Selbstbewußtsein hob sich zusehends.
Kurze Beratung der Herren untereinander. Sie redeten schnell und leise, ich verstand kein Wort. Dann: „D’accord.“ Man war mit meinen Vorschlägen einverstanden, sagte dies aber wohl nur aus Höflichkeit. Dann rückten sie mit einem ganz anders gearteten Anliegen heraus: Ob ich mich nicht vor allem um die Praxis der Schüler kümmern könnte. Aber ja doch! Ich kehrte schnell auf den Boden der Wirklichkeit zurück. Der Minister bekräftigte noch einmal seinen Wunsch, mich so effektiv wie möglich einzusetzen. Das war auch meine Meinung. So trennten wir uns im besten Einvernehmen.
Ich trat auf die Straße hinaus. Die Sonne lachte. Gerade kam ein Taxi vorbei und hielt auf mein Winken an. Ich fuhr trotz des fehlenden Bodens mit und klammerte mich an der Seite fest. So sauste die Straße bei 40 Stundenkilometern unter unseren Füßen dahin und ich kam auch mit einem halben Auto gut zu Hause an.
Der Directeur technique hat mich heute mit seinem Citroën durch die Stadt geschaukelt und mir gezeigt, wo die Schüler im Praktikum sind und auf einen richtigen Unterricht warten. Mit Honoré habe ich vereinbart, daß ich nachmittags im Blutspendelabor neben seinem Raum unterrichten kann. Er würde mir dann auch sein Mikroskop borgen. Aber was nützt mir dieses, wenn ich sonst keine Geräte besitze? Man hatte gehofft, daß ich zumindest zwei Mikroskope und einige andere Dinge mitbrächte. Von Diakite bekam ich seine leeren Regale gezeigt. Aber wie konnten wir, da ich – das Ministerium eingeschlossen – keine Ahnung von der Art des Einsatzes gehabt hatten, über so etwas verfügen? Um zwei Mikroskope hatte ich schon zu Hause gebeten, aber alles andere?
Als ich ganz niedergeschlagen heimkam, stand der gute Helli mit einer Kiste im Arm vor der Tür. Er hätte sein Sprechzimmer aufgeräumt und Kostbarkeiten gefunden. Er brauche das nicht, ob ich vielleicht …? Es war die nahezu vollständige Einrichtung für ein normales Labor, aber doch viel zu wenig für ein Lehrlabor!
Auch das Blutspendelabor war viel zu klein. Einige Wochen wurschtelten wir uns so durch. Dann hatte ich es satt, ging selbst im Krankenhaus auf die Suche und fand bald einen ungenutzten mittelgroßen Raum mit einem großen Fenster und einem Betonregal. Als ich zum Chef des Hospitals kam, erzählte ich ihm die ganze Geschichte. Er und seine Kollegen waren zunächst zurückhaltend. Der Raum sei doch schlecht, und überhaupt müßte ich erst einmal die Schule fragen.
Diakite war begeistert. Mir kam es vor, als habe er nur auf einen solchen Vorschlag gewartet. Warum aber überprüfte er nicht selbst alle Möglichkeiten im Krankenhaus? Offenbar bestand eine Art Rivalität zwischen diesem und der Schule. Diakite überlegte und machte dann ein Weihnachtsmanngesicht. Er schloß in seinem Zimmer einen Schrank auf und überreichte mir zwei Fläschchen mit Farblösungen, einige Pipetten und einen Ständer mit Reagenzgläsern. Ich packte alles eifrig in einen Korb. Dann sollte ich ihm folgen. Gemessenen Schrittes, der Bedeutung der Sache angepaßt, begaben wir uns in einen kleinen Raum hinter seinem Büro. Er suchte umständlich einen Schlüssel und öffnete ein Fach. Ich traute meinen Augen kaum: Dort standen in neuer Pracht, nur etwas angestaubt, zwei Mikroskope! Er hatte sie wohl zurückgehalten, weil er ihrer in Honorés Blutspendelabor nicht sicher gewesen wäre. Nun hatte ich mit den zwei Mikroskopen aus Berlin gleich vier. Damit konnte man schon etwas anfangen. Er stand daneben und freute sich. Da stieg ich – hopp – auf eine Fußbank und drückte ihm einen Schmatz auf seine schwarze Wange.
Mit Hilfe unserer technisch versierten Leute von der Botschaft konnten wir nun alles, was im neuen Labor fehlte, einbauen: von Wasserhähnen über elektrische Anschlüsse bis zu einer verschließbaren Tür. Am Ende schenkten mir die Drucker auch noch ein feines Schild für meine Tür: LABORATOIRE ENSEIGNEMENT – Lehrlabor.
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