RotFuchs 211 – August 2015

Vier schöne Jahre einer weißen Internationalistin
unter schwarzen Freunden

Als mich die DDR nach Guinea entsandte
(Teil 4)

Renate Teller

Eine für die guineische Mentalität bezeichnende Episode trug sich am 19. 12. 1973 zu: Mein Unterricht ist ausgefallen und so spaziere ich den Strand entlang und genieße die unverhoffte Freizeit. Ein Guineer grüßt mich freundlich mit dem üblichen „Wie geht‘s?“ Ich vermute einen Kollegen und trete auf ihn zu. Er schüttelt mir die Hand. Es ist so einfach, mit diesen Menschen Kontakt zu bekommen. Ich frage ein wenig unsicher „Monsieur Condes“? Er stellt sich vor, doch den Namen verstehe ich nicht recht. Ob er auch Lehrer an der Ecole de la Santé sei, erkundige ich mich. „Nein, ich bin der Minister für Justiz.“ Er genießt meine Verblüffung. Wir setzen uns auf einen umgestürzten Palmenstamm und plaudern über Kriminalität und andere einschlägige Dinge. Die Polizei hätte hier nicht allzuviel zu tun, sagt er. Gewaltverbrechen seien nahezu unbekannt, Diebereien, oft geradezu raffiniert in Szene gesetzt, kämen allerdings oft vor. Es gebe kaum Delikte wegen Trunkenheit, auch keinen Drogenmißbrauch. Ich sage, daß ich diesen Zustand fast paradiesisch fände. „Das Paradiesische erhalten ohne in paradiesischer Rückständigkeit zu verharren – das ist ein schwerer Weg“, zieht der Minister das Fazit.

20. 2. 1974 - Große Junggesellenfete mit drei Russen in unserer Wohnung: Wanja, ein baumlanger und baumstarker Sibirier mit rotem Rübezahlbart, Kolja, ähnlichen Kalibers, nur eine Nummer kleiner, und Viktor, mein Söhnchen und Liebling auf den ersten Blick, mit braunen Haaren und blitzeblauen Augen in einem freundlichen Kindergesicht. Sie brachten, schon etwas angeschlagen, Sekt, Wodka, Schokolade und Stockfisch mit. Außer unserem Kurt, der ein bißchen dolmetschen konnte, sprach keiner von uns russisch und die drei weder deutsch noch französisch. Trotzdem wurde es ein herrliches Fest, obwohl Wanja nach wenigen Sto Gramm Wodka hinter mir auf der Couch bald selig entschlummerte. Wir machten in fröhlicher Drushba weiter, bis Kolja in dem friedlich sägenden landsmännischen Holzfäller seinen Bruder und Herzensfreund erkannte. Wir betteten beide in den hinteren Teil des Zimmers auf Matratzen. Schließlich schnarchten alle Russen, und unsere deutschen Freunde machten sich weit nach Mitternacht auf den Heimweg.

20. 4. 1974 - Zur Einweihung des orthopädischen Zentrums war aus dem Landesinneren unser Doktorehepaar angereist. Wir wollten uns abends bei Helli auf der Terrasse treffen. Ich beschließe bei dieser Gelegenheit die erste Nachtfahrt zu wagen. So einfach ist das hierzulande nämlich nicht. Da kann es passieren, daß einem ein vermeintliches Motorrad entgegenkommt und man höchst erstaunt ist, wenn an seinem Scheinwerfer auch noch ein LKW dran hängt. Ich schiebe also mein Moped auf die Straße, mache Licht, tuckere los und erwische den richtigen Weg über die Brücke. Ich bin stolz auf meine Courage und gebe Gas, denn jetzt brauche ich nicht mehr abzubiegen. Ganz konzentriert, achte ich auf die Straße, auf den lichtlosen Gegenverkehr und schließlich auf die Häuser der rechten Seite. In dieser stockdunklen Finsternis sehen alle gleich aus. Doch ich glaube am Ziel zu sein, steige ab und trete gewissermaßen ins Leere, liege etwa einen halben Meter weiter unten neben der Straße auf der Nase. Das Moped auf mir drauf. Allgemeiner Auflauf. Die hilfsbereiten Guineer stellen uns beide wieder auf Beine und Räder.

500 m weiter trafen wir uns dann alle vor Hellis „richtigem“ Haus. Ich sonnte mich in der allgemeinen Anteilnahme. Es wurde noch ein sehr vergnügter Abend. Ich kam in Form und wagte von einem Erlebnis zu erzählen, von dem ich wohlweislich noch nie etwas hatte verlauten lassen. Am Tag nach der Sicherheitsbelehrung, die neben anderem zum Inhalt hatte, daß aus naheliegenden Gründen mit westlichen Botschaften keine Kontakte geknüpft werden dürften, wollte ich das Ehepaar aus der Interflugabteilung besuchen. Ich kannte nur die Vornamen. Links, dann rechts, die nächste Straße links rein und dort rechts stünde ihr Haus. Ich ging und ging und fand endlich ein Schild mit dem guten deutschen Namen Wagner.

Das Gebäude sah sehr feudal aus. Na ja, dachte ich, Interflug, die haben‘s ja. Während ich mich suchend umsah, stürzte ein lebhafter Mann auf mich zu: „Hallo, Hallo, how are you? Come in, come in!“ Ich befand mich plötzlich in einem Haus, wo eine Familie um mich herumwimmelte, kleine Kinder, eine Frau, die auf mich einredete, und eine reizende alte Dame mit Lockenwicklern. Sie drückte mich in einen Sessel, die junge Frau goß mir einen Whisky ein, das kleine Mädchen hielt mir sein Püppchen hin – ich war eingehüllt in Familienatmosphäre. O Gott, dachte ich, wo bist du bloß hingeraten, und wie kommst du auf ordentliche Weise hier wieder raus? Sicherheitsbestimmungen! Der Mann sprach französisch mit amerikanischem Akzent. Ich verstand ihn schlecht. „Excusez moi, I wish to go to Interflug.“ Oh, ich sei Deutsche? “What do you do here?” Oh, Allah, hilf! Ich trinke den fabelhaften Whisky in kleinsten Schlucken und beschäftige mich mit der Puppe des Mädchens, um die Gedanken zu sammeln. Ich hätte die Wohnung verwechselt, deute ich an … Ach, das wäre doch nicht so schlimm, er brächte mich gleich mit dem Auto dorthin. Bei der Hitze könne man doch kaum einen Schritt laufen. Wo ich denn wohnte? Ehe ich mich’s versah, saß ich in einem amerikanischen Diplomaten-Straßenkreuzer, die Kinder hinten drin, und Mr. American fuhr mich geradewegs ins Diplomatenviertel. Ich machte mich so klein wie möglich und flehte Allah und alle Götter um Hilfe an, mir ja die Leute von unserer Botschaft vom Leibe zu halten. Wie hätte ich je meine Anwesenheit in einem solchen Luxusgefährt rechtfertigen können? Ich ließ mich aufs Geradewohl irgendwo absetzen und verabschiedete mich liebenswürdig, wie es, so nehme ich an, in diplomatischen Kreisen üblich ist. Dann bin ich auf Umwegen heimgegangen, habe mich auf die Couch fallen lassen und gelacht, nur gelacht!

Reni guckte mich verständnislos an, ich aber habe lieber nicht alles erzählt. Statt bei der Interflug war ich beim Ersten Sekretär der USA-Botschaft gelandet. Ich hatte zufällig einen im Handschuhfach liegenden Brief mit seiner Anschrift gesehen. Und ausgerechnet der fuhr mich geradewegs vor die Tür unseres Kulturattachés!

Mein Lehrlabor floriert. Ich habe heute mit meinen Schülern in einem Blutausstrich den Erreger der Sichelzellenanämie entdeckt – einer seltenen Blutkrankheit,, die nur bei Schwarzafrikanern vorkommt.

Dr. Faranah, ein bekannter Internist, bestätigte die Diagnose.

Noch eine Begebenheit am Rande, die mich dennoch nicht wenig beeindruckte. Während des Nachmittagsunterrichts tauchte plötzlich die Gestalt eines Mannes im weißen Boubou auf. Er grüßte die Schüler, die sich mit allen Zeichen höchsten Respekts von ihren Plätzen erhoben. Er fragte, wie es mir ginge und ob ich mit den Bedingungen in Guinea zufrieden sei. Ja – ich sei sehr zufrieden, ließ ich ihn wissen. Erst jetzt erkannte ich ihn. Es war der Gesundheitsminister, der im Boubou älter und würdiger aussah. Wir sprachen noch ein Weilchen über dieses und jenes, dann schüttelten wir uns die Hände zum Abschied. Er würde des öfteren solche unangemeldeten Inspektionsgänge durch Einrichtungen seines Bereichs unternehmen, erfuhr ich.