Vier schöne Jahre einer weißen Internationalistin
unter schwarzen Freunden
Als mich die DDR nach Guinea schickte
(Teil 3)
Den ersten Theorieunterricht, der natürlich auch zur Praxis gehört, habe ich vor fast 80 Schülern in einem Raum erteilt, der nur für 50 vorgesehen war. Also mußte sich in fast jede Zweierbank noch einer reinquetschen. Ich habe mir alles schön aufgeschrieben, um mich mit meinem Französisch nicht zu blamieren. Diakite stellte mich fröhlich lärmend vor und ließ mich dann allein. So stand ich vor meinen Schülern im Klassenzimmer, was immerhin etwas anderes ist als ein Lehrlabor, in dem es wesentlich lockerer zugeht. Ehe ich etwas äußern konnte, erhob sich einer und rief wenige Sätze in den Raum. Die anderen fielen ein. Ich verstand nur den Schluß: A bas l’imperialisme! Vive la victoire! Pret pour la revolution! (Nieder mit dem Imperialismus! Es lebe der Sieg! Bereit für die Revolution!)
Danach setzte sich alles rasselnd nieder. Nun war die Reihe an mir: „Ich komme aus der Deutschen Demokratischen Republik, um euch, liebe Freunde, in Hämatologie zu unterrichten.“ Prasselndes Händeklatschen. Mir ging das Herz auf! Wegen meiner noch nicht gefestigten Sprachkenntnisse machte ich mir keine Gedanken mehr.
„Sie wollen von mir lernen, aus welchen Einzelteilen das Blut besteht, welche Aufgaben diese haben und wie sie untersucht werden, ich aber möchte von ihnen gerne Französisch lernen.“ Lautstarke Zustimmung.
Der Bann war gebrochen, wir waren uns sympathisch. Was tat’s, wenn die erste Stunde eher einer Französischstunde glich, in der 80 Lehrer einen Schüler unterrichteten! Wir einigten uns schließlich dahin gehend, nur grobe sprachliche Schnitzer zu verbessern und grammatikalische Feinheiten wie le oder la und ähnliches erst einmal zu übersehen. Ich bat um langsames und deutliches Sprechen, was meist für die Dauer von zwei Sätzen eingehalten wurde.
Die drei Stunden waren um, ehe ich mich’s versah. Ich packte meinen Hefter in die Tasche, verabschiedete mich und wollte gehen. Doch die Schüler blieben sitzen.
Eigentlich begann jetzt das ersehnte Wochenende. Da stand einer auf und bat mich, doch noch etwas von der DDR zu erzählen. Wie gern ich das tat! So berichtete ich von unserem schweren Anfang nach dem schrecklichen Krieg, wie wir gearbeitet und gehungert hatten, um den Grundstock zu einem völlig anderen und besseren Deutschland zu legen. Auch davon, wie wir unsere Industrie wiederaufgebaut und unter Entbehrungen die Pläne erfüllt hatten, wodurch wir endlich die Lebensmittelrationierung aufheben konnten. Wie es dann aufwärts ging, der Sozialismus Gestalt annahm und das Leben leichter wurde. Es war ein Jugendforum mit vielen Fragen. Ich spürte das Informationsbedürfnis, zumal nur wenige ein Rundfunkgerät besaßen und auch die Zeitung „Horoya“ nicht immer regelmäßig erschien.
Während ich zu Hause im Tagebuch gerade meinen geglückten Unterrichtsanfang schildere, ist es unversehens dunkel geworden. Kaum ist die Sonne untergetaucht, beginnt eine Grille zu zirpen. Sekunden später fallen die anderen zum tropischen Nachtkonzert ein. Momo, unser Hausmeister und Wächter, hat sich mit seiner Familie zum ersehnten Mahl niedergelassen. Nach islamischer Vorschrift ist Karim – Fastenzeit –, und so darf bis zum Sonnenuntergang nichts gegessen und getrunken werden. Das aber wird dann abends nachgeholt. Am Tage des Ramadan – dem Ende der Fastenzeit – strömen von allen Seiten festlich gestimmte Menschen zum Stadion und füllen in langen Reihen das weite Oval. Die Gläubigen, streng getrennt nach Männern und Frauen, hocken versunken auf ihren Gebetsmatten und erwarten die Ankunft des Präsidenten Sekou Touré und des Imam. Gegen 10 Uhr kündigen Fanfaren das Eintreffen der beiden hohen Amts- und Würdenträger an. Sie breiten wie die anderen ihre Gebetsteppiche aus. Der Imam tritt vor, das Große Gebet beginnt, dessen feierlicher Ernst auch unsere Kinder und die Fotoapparate verstummen läßt.
Anschließend gehen die Gläubigen angeregt heim, wo mit Hammel- oder Hühnerbraten den Tag über kräftig gefeiert wird. Falls beides nicht vorhanden ist, genügt auch Fisch.
Unser Labor ist nun in Betrieb, und alles geht seinen Gang. In dessen Trakt gibt es einen „Garçon“ – das ist, anders als das Wort vermuten läßt, kein junger Bursche, sondern ein älterer Mann, der die groben Arbeiten erledigt. Er ist wie seinesgleichen wenig geachtet, auch die Schüler treiben seinen Schabernack mit ihm. Er zeigte mir ein Rezept für Hustensaft und Vitamine, die aus Mangel an wirksameren Medikamenten oft verschrieben werden. Der „Docteur“ aus der Apotheke hätte ihn immer wieder weggeschickt. Dieser ist indes nur ein einfacher Apothekenangestellter. Welchen Beziehungen er diesen lukrativen Posten verdankt, steht auf einem anderen Blatt. Er ist ein arroganter Laffe. Ich nehme das Rezept, drängele mich entgegen meiner Gewohnheit an der Schlange der Wartenden vorbei und verlange laut die Medikamente „für meinen Kollegen Garçon“. Etwas geschockt händigt mir der „Docteur“ sie sofort aus und verzählt sich obendrein auch noch beim Herausgeben des Wechselgeldes zu seinen Ungunsten. Der an sich bedeutungslose Vorgang sprach sich herum, und alles lachte sehr auf Kosten dieses „Megalomanen“.
Der Unterricht nimmt seinen Lauf. Neben einigen Stunden Theorie erfolgt die Praxisunterweisung wie daheim. So kann ich mich jetzt mehr den großen und kleinen Begebenheiten Afrikas widmen.
Am 14. 11. 1973 notiere ich in meinem Tagebuch: Ausflug zum Fluß. Frühmorgens glänzte alles vor Sauberkeit und Frische, in der Nacht hatte es noch einmal geregnet. In die Kühltaschen hatten wir unseren Proviant für den ganzen Tag verpackt. Unser Ziel ist der Mündungsarm eines kleinen Flusses. Dem Kakulima, diesem markanten Eckpfeiler eines Gebirges, das sich weit ins Land erstreckt, kamen wir ziemlich nahe. Früher führte eine Straße dort hinauf, die eigens für den französischen Gouverneur angelegt worden war. In 1000 Metern Höhe ist das Klima weitaus erträglicher. So hatte er sich dort ein Wochenendhaus bauen lassen. Die Straße ist längst wieder zugewuchert. Hinter dem Dorf Dubreka kamen uns Kinder hinterhergelaufen: „Futte, Futte“, riefen sie: „Weiße“! Sie gingen uns nicht von den Fersen, wollten Bonbons und Kekse, mit denen wir uns vorsorglich eingedeckt hatten. Wie krank sahen einige von ihnen aus! Schmale, graue Gesichtchen, dünne Ärmchen und sehr dicke Bäuche … Eine Frau scheuchte sie weg. Uns sah sie böse an. Welche Erfahrungen mag sie mit Weißen in Kolonialzeiten gemacht haben!
Noch eine Notiz, die ich acht Tage später eintrug: Anläßlich des Nationalfeiertages von Guinea war unser Postminister zu Besuch in Conakry. Er verbrachte den letzten Abend mit uns in der DDR-Botschaft. Helli, der Arzt, und ich hatten Bardienst. Diesmal war nämlich unsere Expertengruppe an der Reihe. Wir schenkten Bier und Apfelsaft aus. Die Flasche kostete 15 Syli. Zum Schluß mußten wir 20 Syli drauflegen, weil auch wir uns verrechnet hatten. Peinlich, denn nur ein dummer Buffetier tut so etwas! Ich lerne hier also auch noch das Metier einer Bardame. Doch nicht jede bedient gleich einen Minister!
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