Warum die Sache der Kurden weltweite Unterstützung verdient
An der Seite der HDP
Als Mitarbeiter des Allgemeinen Studentenausschusses und Mitglied des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes an der Universität Kiel betreute ich die Öffentlichkeitsarbeit für die zahlreichen Volksbefreiungsbewegungen jener hoffnungsvollen Jahre. Auch mit kurdischen Studenten arbeitete ich zusammen, um zur Solidarität mit dem tapferen 24-Millionen-Volk aufzurufen, das seit dem Vertrag von Lausanne (1923) als unterdrückte Minderheit in der Türkei, Syrien, Irak und Iran um sein Überleben kämpft. 1969 erhielt ich ein Gratisvisum zum Besuch der Internationalen Messe in Damaskus mit Inaugenscheinnahme des DDR-Pavillons und anschließender Weiterreise nach Beirut zu Gesprächen mit palästinensischen Studenten.
Da die BRD damals keine diplomatischen Beziehungen zur Syrischen Arabischen Republik (SAR) unterhielt, nahm ich den Landweg über die Türkei mit dem Grenzübergang bei Baab-al-Hawa. So lernte ich Kurden in der Türkei, Syrien und Libanon kennen, denn das „Alexandrette-Gebiet“ um Iskendurun wurde erst 1939 bei der Zerstückelung Syriens von den französischen Besatzern der Türkei übergeben. Hätten sich die sprachlich und ethnisch zu den iranischen Völkern zählenden und überwiegend einem eher säkular orientierten Islam zuneigenden Kurden nicht mit der Waffe verteidigt, so gäbe es dieses Volk heute wohl kaum noch. Wie die Armenier 1915 und die Izmir-Griechen 1923 wären sie Genozid und Exodus zum Opfer gefallen.
Im rigorosen Nationalismus des aus dem Jungtürkentum entstandenen Kemalismus durfte es solche Minderheiten nicht geben. Sie wurden als „wilde Bergtürken“ stigmatisiert. Mehr als eine Million Kurden vertrieb man aus den Dörfern. Die Zahl der Ermordeten betrug damals etwa 40 000. Ihre Sprache und ihre Namen wurden ebenso verboten wie ihre gesamte Kultur. In den Jahren 1925 und 1927 sowie von 1937 bis 1938 und von 1984 bis 2002 wüteten Ankaras Soldateska und Polizei besonders rabiat in den Kurdengebieten. Als Antwort darauf gründete sich 1984 die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) zur Selbstverteidigung und zum Kampf für ein autonomes demokratisches Kurdistan.
Abdullah Öçalan, der Vorsitzende der PKK, wurde 1999 in Kenia von türkischen Geheimdienstlern und CIA-Leuten gekidnappt. Bis heute ist er auf einer Insel inhaftiert. Der bei den ersten Wahlen dieses Jahres erzielte Stimmenanteil der Partei der Völker (HDP) von über 13 % verhinderte Erdogans Pläne, die Verfassung zur Verewigung der eigenen Vorherrschaft zu ändern. Daher brach er den ausgehandelten Waffenstillstand und kriminalisierte auch diese im Parlament stark vertretene kurdisch-linksdemokratische Partei.
Die BRD war bei der Drangsalierung und Unterdrückung der Kurden allen Militärdiktaturen und reaktionären Regimes der Region seit 1952 sowohl in der NATO als auch seit 1963 im Bunde mit der EWG-assoziierten Türkei stets ein verläßlicher Partner. Militärgerät verschiedener Art – von Panzern bis zu Fregatten – wurde Ankara geliefert. Seit November 1993 sind die PKK und andere repräsentative Kurdenorganisationen als angeblich terroristische Vereinigungen im Staat des deutschen Imperialismus verboten und deren Anhänger – im Zusammenwirken mit dem türkischen Geheimdienst – ständiger Bespitzelung ausgesetzt. Daran hat auch die schnell abebbende offizielle Sympathieheuchelei während der Verteidigung Kobanis und Rojavas gegen die IS-Terroristen nichts geändert. Weiterhin werden bei prokurdischen Veranstaltungen „Rädelsführer“ ausgespäht, verhaftet, angeklagt und verurteilt. Wer seine Angehörigen gegen IS-Banditen schützen will, gilt als Terrorist und wird mit diesen Amokläufern gleichgesetzt. Das bedeutet de facto die Stärkung des von Erdogan lange Zeit ganz offen unterstützten IS sowie die Schwächung seiner Widersacher. Selbst Leichen von BRD-Bürgern kurdischer Nationalität, die im Kampf gegen den IS gefallen sind, werden von den Behörden beschlagnahmt, wobei man den Angehörigen die Bestattung verweigert.
Den Vogel der „Rechtsprechung“ hat zweifellos der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Hamburg abgeschossen: Wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“, vor allem aber der Organisierung von Demonstrationen für die PKK, die „Anschläge auf türkische Soldaten und Polizisten“ verübe, habe sich der Angeklagte schuldig gemacht, hieß es im auf drei Jahre Haft lautenden Urteil. Der Antrag der Verteidigung auf Freispruch unter Verweis auf offensichtliche Demokratiedefizite in der Türkei und die Friedensbemühungen Öçalans wurde abgewiesen. Doch bei der Urteilsverkündung räumte der Richter die „strikte Assimilierungspolitik der Türkei“ ein, die „kurdische Parteien und Politiker“ unterdrücke. Ankara lasse Menschen verschwinden und gehe gegen Demonstrationen „mit übermäßiger Gewalt“ vor.
Doch wer sich dagegen schützen will, bleibt dennoch ein „Terrorist“. So steht auch diese Richterentscheidung in unheilvoller deutscher „Rechtstradition“, wurden doch faschistische Urteile gegen kommunistische Widerstandskämpfer und Interbrigadisten im Spanienkrieg nach dem Verbot der KPD durch das Karlsruher Bundesverfassungsgericht ausdrücklich als „Vorstrafen“ gewertet. Deserteure aus der französischen Fremdenlegion, die im Indochinakrieg zu den Vietnamesen übergelaufen waren, mußten später in der DDR Zuflucht suchen, da sie im Westen als „kommunistische Terroristen“ verurteilt worden wären.
So entlarven die Angriffe auf die PKK alle formellen Sympathiebekundungen „für die Kurden“ seitens deutscher Regierungsparteien als reine Heuchelei. Demgegenüber ist die erneute Wahl von 60 Parlamentsabgeordneten der HDP, auf die trotz des Terrors des AKP-Regimes auch bei den durch Erdogan erzwungenen zweiten Wahlen dieses Jahres noch immer 10,7 % der Stimmen entfielen, ein ermutigendes Signal. Wo immer möglich sollten wir unsere internationalistische Solidarität mit den in der Türkei Verfolgten zeigen und deren Forderungen nach kurdischer Autonomie, Aufhebung des PKK-Verbots und Einstellung der Verfolgung linker Kräfte verständnisvoll begleiten.
Nachricht 858 von 2043