RotFuchs 225 – Oktober 2016

An die Mütter

Carl Udo Quandt

Mutter, auch dein Kind wird ein Opfer des nächsten Krieges sein,
Und auch du wirst dein Heim, dein Bett und all deine Habe verlieren.
In einer einzigen Nacht, einer Stunde, vielleicht, ach, in einer Sekunde
Wird ein feuerspeiendes Ungeheuer eine ganze Stadt vertilgen,
Und es wird deine Stadt sein!
Und es wird deine Kammer sein, dein Bett und dein Kleid,
Die es vernichtet,
Und es werden deine Kinder sein,
Die es mit gierigem Rachen verschlingt.

Und wenn der Morgen anbricht nach dieser Nacht des Entsetzens
Und du verzweifelt über Steine und Trümmer stolperst und taumelst,
Wird nur noch Wüste und Einöde sein ringsumher
Und kein Brot, keine Suppe.
Und du wirst über verkohlte Leichen,
zerrissene Leiber wanken,
Und es werden deiner Brüder, deiner Schwestern, deines Vaters, hilfloser Greise,
unschuldiger Kinder getötete Leiber sein.
Und irgendwo, aus einem verschütteten Keller

Wird aus Steinen leblos ein Arm,
eine Hand herausragen
Flehend, beschwörend,
nein, drohend, anklagend,
Und es wird die Hand deines Kindes sein.

Und du wirst, von Hunger gequält,
Zwischen verdorrten und von der Hitze versengten Halmen
Wie ein Tier nach einem Büschel Gras suchen,
Und du wirst fluchen, aber deine Flüche werden ungehört
Verhallen in der ewigen Leere.
Keinen von denen, die sagten:
Du, dein Mann und dein Kind, ihr müßtet
Gewappnet euere Freiheit verteidigen,
Wird dein Fluch noch erreichen.

Aber noch ist es Zeit; heute noch!
Zögere nicht, zaudere nicht, morgen schon
kann es zu spät sein!
Fürchte dich nicht! Es ist besser,
Heute gelästert, beschimpft, bespien, ja,
selbst ins Gefängnis geworfen zu werden,
Als morgen dein Glück und dein eigenes Kind zu opfern.
Wehe denen, die heute noch abseits stehn
im Kampf für den Frieden!
Morgen wird sie der Krieg verschlingen.

(1951)