RotFuchs 211 – August 2015

Helden des Roten Oktober

Anatoli Wassiljewitsch Lunatscharski

St. K.

Nicht jedes Revolutionärs Weg verläuft von vornherein geradlinig und ohne Widersprüche. Anatoli Wassiljewitsch Lunatscharski gehörte zu jenen Suchenden, welche bisweilen „auf verschlungenen Pfaden“ ihr Ziel erreichen.

Als Sohn eines Beamten im Jahre 1875 in Poltawa geboren, besuchte er das Erste Kiewer Gymnasium. Schon zu dieser Zeit gehörte er einem illegalen Selbstbildungszirkel an, der unter dem Einfluß der russischen Sozialdemokratie stand. Sein relativ frühzeitiger Beitritt zur Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands (SDAPR) ließ ihn in den Augen der herrschenden Klasse als politisch unzuverlässig erscheinen, so daß er keine Chance besaß, an einer russischen Universität eingeschrieben zu werden.

So emigrierte A. W. Lunatscharski in die Schweiz und studierte in Zürich Biologie und Philosophie. Er machte die Bekanntschaft von G. W. Plechanow, R. Avenarius und A. A. Bogdanow, welche die Formung seines wissenschaftlichen Weltbildes zeitweilig ungünstig beeinflußten. 1899 nach Rußland zurückgekehrt, stellte er sich sofort der revolutionären Arbeit zur Verfügung und baute gemeinsam mit der Schwester Lenins das von zaristischen Schergen zerschlagene Moskauer Parteikomitee wieder auf. Neben der Parteiarbeit gehörte bereits zu dieser Zeit seine Liebe der Literatur und vor allem der Kulturpolitik. Seine Arbeiten auf diesen Gebieten wurden in den Parteiorganen „Wperjod“, „Proletarij“ und „Nowaja Shisn“ publiziert.

Haft- und Verbannungsstrafen hielten ihn nicht davon ab, sich für die Sache der Unterdrückten zu engagieren. So wirkte er in der ersten Russischen Revolution von 1905 als bolschewistischer Agitator, Propagandist und Streikorganisator. Obwohl Lenin den jungen Revolutionär hoch schätzte und viel mit ihm arbeitete, war dieser kleingläubig genug, aus der Niederlage der Revolution falsche Schlüsse zu ziehen und sich zeitweilig den Machisten anzuschließen, die nach einer Revision des Marxismus trachteten. Nach jahrelangem Ringen um Klarheit – wobei Lenins Buch „Materialismus und Empiriokritizismus“ eine bedeutende Rolle spielte — fand Lunatscharski wieder auf den Boden der proletarischen Weltanschauung zurück.

In den Tagen der Oktoberrevolution von 1917 leistete er unter den Massen eine rastlose Arbeit als Propagandist und Agitator. Nach dem Sieg der Revolution wirkte er zunächst als stellvertretender Bürgermeister von Petrograd. Seine hervorragenden Kenntnisse als Kunstkritiker, seine Arbeit als Dramatiker und seine philosophischen Abhandlungen beeinflußten in erheblichem Maße Grundfragen der marxistischen Ästhetik, der Musik, der Bildenden Kunst und vor allem der Literatur. Zu seinen langjährigen Diskussionspartnern gehörten nicht nur seine Landsleute Gorki und Majakowski, sondern auch Romain Rolland, Henri Barbusse, Franz Masereel, Käthe Kollwitz und Bert Brecht. Sein enzyklopädisches Wissen auf den Gebieten der Kultur und Bildung und sein konsequentes Eintreten für die Sowjetmacht ließen ihn höchste Staatsämter bekleiden. So war er in den Jahren des Bürgerkrieges Bevollmächtigter des Revolutionären Kriegsrates und in der Zeit von 1917 bis 1929 Volkskommissar für Volksbildung, später Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR.

Diese Artikel schrieb unser Autor Helmuth Hellge unter einem seiner Pseudonyme für die Westberliner Zeitung „Die Wahrheit“.