Die einzige Frau, der man eine Million Rosen sandte
Angela Davis wird 70
Den Namen Angela Davis hatte ich mir bereits eingeprägt, als sie – außer ihren Mitstudenten in der Main-Metropole und den Köpfen der Frankfurter Schule – in deutschen Landen noch kaum jemand kannte. Damals las ich in der New Yorker „Daily World“ den Bericht über einen Eklat an der Universität von Los Angeles. Dort hatte man eine junge Philosophie-Dozentin wegen ihrer Zugehörigkeit zur KP der USA trotz heftiger Proteste des Lehrkörpers und der Studentenschaft entlassen wollen. Obwohl der damalige kalifornische Gouverneur und spätere US-Präsident Ronald Reagan – einst Spitzel für den McCarthy-Ausschuß – auf diese Willkürmaßnahme drang, wurde sie vom daraufhin angerufenen Gericht aufgehoben.
Im Besitz solcher Informationen veröffentlichte das ND, dessen Journalist ich in besserer Zeit rund 25 Jahre gewesen bin, meinen Beitrag „Der Fall Angela Davis“. Ins Auge sprang dabei das Bild einer jungen, überaus attraktiven Afroamerikanerin, die sich nicht zuletzt auch durch ihre auffallende Haartracht der Leserschaft einprägte.
Da sich Kaliforniens Machthaber der roten Dozentin nicht zu entledigen vermochten, die selbst angesichts einer enormen Haßpost-Kampagne mit massiven Morddrohungen dem Druck standhielt, beschritt man andere Wege. Den Gegnern von Angela Davis kam dabei ein Vorfall im Gerichtsgebäude von San Rafael gelegen. In diesen war ein erst 16jähriges Mitglied der Angela schützenden Eskorte verwickelt. In vorheriger Kenntnis eines Befreiungsversuchs im Gerichtssaal hatte die kalifornische Polizei einen Hinterhalt gelegt und vier Menschen – darunter Angelas Leibwächter – erschossen. Obwohl sie selbst von dem fernen Geschehen nichts wußte, bezichtigte man sie unverzüglich der Rädelsführerschaft bei einem dreifachen Kapitalverbrechen: Mord, Menschenraub und Verschwörung. Noch am selben Tag wurde Angela Davis vom FBI auf die „Liste der zehn am meisten gesuchten Verbrecher“ gesetzt. Nach einer Treibjagd ohnegleichen nahm man sie in New York fest. Nun begann für die so Gebrandmarkte ein Martyrium langer quälender Haft. Angelas Häscher und Ankläger wollten sie in die Gaskammer des Hinrichtungszuchthauses San Quentin bringen.
Um das keineswegs allen Lesern bekannte Ergebnis vorwegzunehmen: In einem monatelangen Schauprozeß, der in der kalifornischen Großstadt San Jose stattfand, wurde Angela Davis am 4. Juni 1972 durch sämtliche zwölf Geschworenen – keiner von ihnen war schwarz – in allen drei Punkten der Anklage freigesprochen.
Der Zusammenbruch dieser infamen Verschwörung war der erste große Sieg internationaler Solidarität über die Klassenjustiz der Bourgeoisie, nachdem vorausgegangene Weltkampagnen wie jene für Sacco und Vanzetti, die Rosenbergs, den Griechen Nikos Belojannis und den Spanier Julian Grimau keinen Erfolg gehabt hatten.
Zu jenen, die Angela Davis unverzüglich zu Hilfe eilten, gehörte die DDR. Deren Vorhut bildeten Kinder aller Altersstufen, die der mit dem Tode Bedrohten eine bis heute archivierte volle Million selbstentworfener und gemalter Rosen in ihre Zelle schickten.
Schon unmittelbar nach Angelas Arretierung wurde ich gebeten, den Text für eine dann reich bebilderte Broschüre zu schreiben, die später auch in einer englischen Version erschien. Der Titel „Freiheit für Angela Davis!“ erfuhr eine Auflage von 500 000 Exemplaren. So erreichte er buchstäblich alle Schulen, Kindergärten, Betriebe, Einrichtungen und Kasernen der DDR. Das ganze Land rang – als Teil einer weltweiten Solidaritätsbewegung – um das Leben dieser fernen und allen doch so nahen Frau.
Im Februar 1972 erhielt ich nach einer sich viele Monate hinziehenden Prozedur und etlichen „Gesprächen“ in der mit CIA-Leuten vollgestopften Westberliner US-Mission ein Visum. Schon bald nach meiner Ankunft in San Jose konnte man im „Spiegel“ lesen, das Erscheinen eines DDR-Korrespondenten im Gerichtssaal habe zu Beginn des Prozesses gegen Angela Davis für mehr Aufsehen gesorgt als die Geschworenenbefragung. Nachdem ich Horst Schäfer, der einen BRD-Paß besaß und dem es zuvor gelungen war, ein spektakuläres TV-Interview mit Angela in deren Gefängniszelle zu führen, abgelöst hatte, genoß ich zwei Monate lang ein besonderes Privileg: Als meist einziger Berichterstatter aus sozialistischen Ländern wurde mir Tag für Tag einer der Hunderten Reportern ausgeschlagenen Presseplätze im Gerichtssaal zugewiesen – erstaunlicherweise immer derselbe!
In der Schlußphase des Verfahrens zum raschen Verlassen der Vereinigten Staaten gezwungen, gab ich in einem Steakhouse der Stadt ein Abschiedsessen für Angela und deren engste Mitstreiter. Zu dieser Zeit befand sich die USA-Aggression gegen Vietnam auf dem Höhepunkt. So war es eine weitere Mutprobe Angelas, daß sie im vollbesetzten Lokal einen Trinkspruch auf die „Helden Vietnams“ ausbrachte.
Später bin ich der Freigesprochenen noch einige Male begegnet. Natürlich habe ich sie auf Etappen ihrer triumphalen Reise durch die DDR begleitet. Als sie Jahre darauf bei uns in der Leipziger Straße Berlins zu Gast war, trug sie unseren jüngsten Sohn auf dem Arm.
2010 wurde meine bereits zu DDR-Zeiten in hohen Auflagen herausgekommene Reportage „Schauprozeß in San Jose“ unter dem nicht von mir stammenden Titel „Eine Frau schreibt Geschichte“ abermals verlegt. Auf meine Bitte hatte Angela das Vorwort geschrieben und zugestimmt, an einer Rundreise zur Präsentation des Buches teilzunehmen. Doch der Verlag disponierte anders und fand zusätzliche Schirmherren.
Während des ND-Pressefestes hatten dessen Veranstalter für die Vorstellung einen bestimmten Raum in der Berliner Kulturbrauerei ins Auge gefaßt. Da sich indes weit mehr Interessierte als erwartet eingestellt hatten, mußte die große Bühne freigegeben werden. Dort wurde der Davis-Prozeß vor nahezu tausend Zuhörern wieder ins Gedächtnis gerufen. Bei dieser Gelegenheit verdeutlichte ich die herausragende Rolle der DDR, die ich als größte Errungenschaft in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung bezeichnete. Angela erklärte sich mit jedem meiner Sätze einverstanden.
Am 26. Januar wird die Heldin des Anderen Amerika – inzwischen eine emeritierte Philosophie-Professorin der kalifornischen Universität Santa Cruz – 70 Jahre alt. Wer ihre unveränderte Ausstrahlung erlebt, glaubt es nicht.
Laß Dich herzlich umarmen, liebe Angela!
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