Arnold Zweig erzählt die Vorgeschichte des Staates Israel
in einem packenden Krimi
Araberfeindschaft und Judenhaß – warum?
Arnold Zweig, geboren 1887, ist als Autor von Büchern wie „Der Streit um den Sergeanten Grischa“, „Erziehung vor Verdun“ oder „Junge Frau von 1914“ einem Millionenpublikum bekannt – vor allem aber als ein meisterlicher, für den Frieden engagierter Chronist des Ersten Weltkrieges.
Weniger verbreitet ist sein Buch „De Vriendt kehrt heim“. Angesichts der anhaltenden aggressiven Innen- und Außenpolitik Israels scheint Zweigs Roman aus dem damaligen Palästina brandaktuell. Ausgangspunkt ist der Mord an dem Jerusalemer Dichter, Journalisten und Rechtsgelehrten Jizchak Josef de Vriendt. Der Autor entwickelt die Handlung entlang der sozialen Konfliktlinien. Er führt die Leser auf einer Zeitreise in die Entstehungsgeschichte jener unfriedlichen Auseinandersetzungen – und vermittelt dazu die Spannung eines brillanten Kriminalromans.
So bietet die Lektüre von „De Vriendt kehrt heim“ eine vorzügliche Form der politischen Aufklärung. Sie ist besonders nötig, da die Bundesregierung und ihre Mediendiener gezielte Begriffsverwirrung betreiben – zwischen Antisemitismus und Israelkritik, zwischen Judentum und Zionismus.
Vor wenigen Wochen blickte die weltweite Christenheit wie alle Jahre wieder andächtig-fromm auf Bethlehem im palästinensischen Westjordanland. Denn dort soll nach biblischer Legende im Jahre 1 unserer Zeitrechnung der Verkünder und Urgrund von Frieden und Versöhnung in die Welt gekommen sein. Dabei ist gerade die Westbank ein Schauplatz anhaltender Feindseligkeiten. Hauptverantwortung dafür tragen zionistische Siedler, die in palästinensisches Autonomiegebiet vordringen, und israelische Armee-Attacken, gefolgt von „Vergeltungen“.
Die Ursachen jener kriegerischen Konflikte im Nahen Osten reichen bis zum Beginn vorigen Jahrhunderts zurück. Als der deutsche Schriftsteller Arnold Zweig, Sohn eines jüdischen Handwerkers, 1934 vor den Nazis ins britisch verwaltete Palästina geflüchtet war, beobachtete er dort analytisch scharf die sozialen Folgen der vierten Einwanderungswelle (Alija). Seine Sympathie galt zunächst dem unbändigen Aufbauwillen, den viele der Neuankömmlinge mitbrachten. Überwiegend aus
Osteuropa vor Pogromen und antisemitischer Diskriminierung geflohen, waren die meisten von sozialistisch-genossenschaftlichen Ideen begeistert. Doch mit ihren Landnahmen und ihrer offensiv zionistischen Stoßrichtung provozierten sie den Konflikt mit den alteingesessenen arabischen Bewohnern wie mit den dort gleichfalls seit Jahrhunderten beheimateten orthodoxen Juden. Diese sahen die bewährte friedliche Koexistenz mit den arabischen Nachbarn gefährdet. Auch fürchteten sie um ihre historisch gewachsenen geistig-kulturellen Güter: Eine uralte, doch antimoderne Glaubenslehre wurde massiv von emanzipatorischen Ideen bedrängt. Die britischen Kolonialverwalter beobachteten gleichfalls mit Unwillen die von den Zionisten ausgehende Unruhe in ihrem Herrschaftsgebiet.
Vor dieser Szenerie beginnt Zweigs Erzählung, die Chronik eines angekündigten Mordes. Mehrere Warnungen ignoriert der Bedrohte, bis ihn die tödlichen Schüsse auf nächtlicher Straße niederstrecken. Aber war De Vriendt, der konservative Intellektuelle und aktive Publizist holländischer Herkunft, wirklich durch ein politisches Attentat zu Tode gekommen? Oder fiel er dem Racheakt arabischer Clanführer zum Opfer? Denn der Getötete hatte sich einerseits für den friedlichen Ausgleich mit den arabischen Bewohnern des Landes eingesetzt, mußte andererseits jedoch ein gefährliches intimes Geheimnis hüten: die homoerotische Beziehung zu seinem jungen Lieblingsschüler Saûd Ibn Abdallah, Sproß einheimischer Notabeln.
In Leonard B. Irmin hatte das Mordopfer einen einflußreichen Freund. Die beiden Männer, der mosaische Gelehrte und der bürgerlich-humanistisch aufgeklärte Geheimdienstchef der britischen Verwaltung, waren durch geistig anregende Gespräche, gegenseitigen Respekt und Vertrauen einander verbunden gewesen. So übernimmt Irmin die Ermittlung im Mordfall De Vriendt nicht nur pflichtgemäß, sondern auch persönlich engagiert. Hartnäckig und professionell geht er den Spuren nach. Indessen wird es zunehmend unruhig in seinem Zuständigkeitsbereich. Eine Presseveröffentlichung wächst sich zum Skandal und dieser zur innenpolitischen Krise aus.
Irmin stellt am Ende den Täter: Der junge Arbeiter Mendel Glass hatte den tödlichen Schuß auf den De Vriendt abgegeben. Irmin und Glass fechten ein packendes Rededuell aus, während sie sich zu zweit auf einem schwankenden Boot inmitten der giftigen Salzgewässer des Toten Meeres befinden. In der für ihn bedrohlich-dramatischen Lage spricht Mendel Glass grundlegende Bedingungen von Haß, Gewalt und Verfolgung aus: „Dem Strafbedürfnis der Menschen scheint ein tiefes Verlangen nach Rache zugrunde zu liegen, die Strenge des Richters kommt uns Arbeitern oft wie Blutrache gegen unsere Klasse vor, wenn einer von uns durch ein Verbrechen euch einmal wehrlos ausgeliefert ist.“ An dieser Stelle des Wortwechsels verliert der bewaffnete Vertreter der Imperialmacht den Spaß am intellektuellen Disput und beinahe auch die bürgerlich-humanistische Fassung. Doch schließlich überläßt er das Richteramt dem Gott der Christen, Juden und Muslime. Mit dem Pistolenlauf weist Irmin den Gegner von Bord, und Mendel durchschwimmt die giftgesättigten Fluten …
Jizchak Josef de Vriendt ist heimgekehrt in die Ewigkeit der alttestamentarischen Vorväter. Doch das „Gelobte Land“ bleibt fortan zerrissen: „Das letzte Jahr war voller Aufregungen: jüdischer Boykott, arabischer Boykott, heftige Tätigkeit der beiden Exekutiven und ihrer Anwälte vor der britischen Untersuchungskommission, die aufs gründlichste den Ursachen der letzten Unruhen nachforscht (…) Die Juden aber haben eine neue Zeitrechnung eingeführt (…) ,Damals‘ sagen sie, ,vor den Unruhen‘ und: ,Heute, seit den Unruhen.‘ In diese zwei Zeiten zerfällt jetzt die Geschichte des neuen Palästina, und so wird es noch einige Jahre bleiben.“
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