Ein Beitrag der „Kommunistischen Plattform“ zur Wahl-Debatte
Aufrechten Gang wieder lernen
Wir werden innerhalb unserer Partei – wenn wir in Anbetracht der Spekulationen über R2G (Rot-Rot-Grün) unsere Besorgnisse kundtun – häufig mit folgenden zwei Argumenten abgespeist: Erstens: Wir stehen zu unseren friedenspolitischen Grundsätzen – siehe Wahlprogrammentwurf. Zweitens: Diese Grundsätze sind sicher – siehe die Stimmung in der Partei und die Ausführungen maßgeblicher Protagonisten der „Linken“. Doch wie sicher sind verbale Bekenntnisse zu unseren friedenspolitischen Grundsätzen, wenn zugleich davor zurückgewichen wird, sich offen damit auseinanderzusetzen, daß es bis dato keinerlei Anzeichen dafür gibt, daß SPD und Grüne diese Grundsätze im Falle von R2G akzeptieren würden? Wir wissen doch alle, daß das Gegenteil der Fall wäre. Und wenn auf dem Berliner SPD-Bundesparteitag am 19. März das Thema Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht einmal angesprochen wurde, dann zeugt das von keinem Kurswechsel. Einen solchen nimmt man in der Politik annähernd nie stillschweigend vor. Es zeugt lediglich davon, daß Ruhe sein soll zu diesem Thema. Schulz wartet auf ungewöhnliche Ereignisse, die es der SPD ermöglichten, offensiv mit ihrer verteidigungspolitischen Linie umzugehen – oder eben auf Koalitionsverhandlungen. Da würde man sich schon durchsetzen. Vermutlich will Schulz zwar keine rot-rotgrüne Koalition, aber – so wird er gleichzeitig denken – man kann ja nie wissen! Wir werden die Frage nach dem möglichen Preis von R2G auch im Wahlkampf offensiv stellen. Schon jetzt hören wir: „Seid doch nicht so mißtrauisch!“ Und wir sagen ohne jede diplomatische Floskel: Doch, das sind wir. Zwingt die SPD, in der Friedensfrage Farbe zu bekennen, und setzt Euch mit ihren sogenannten verteidigungspolitischen Positionen auseinander, und schon wird unser Vertrauen wiederhergestellt sein. Und noch etwas Vertrauensbildendes gäbe es: Hört auf, mit den Begriffen „Auslandseinsätze“ und „Kampfeinsätze“ zu spielen! Wenn Bernd Riexinger auf der Pressekonferenz am 3. April einräumte, die Entscheidung zwischen Kampfeinsatz und Auslandseinsatz sei in der Praxis nicht ganz einfach, dann fragen wir: Ja, warum bleibt ihr dann nicht dabei, Auslandseinsätze abzulehnen? Und Punkt! Warum wies Bernd Riexinger auf dieser Pressekonferenz darauf hin, daß die Fraktion seiner Partei im Bundestag jeden aktuellen Auslandseinsatz abgelehnt habe, ohne gleichzeitig zu sagen, daß es eine Koalition nur geben kann, wenn ebendiese Einsätze beendet werden?
Warum lehnte der Parteivorstand Anfang April folgenden Antrag der AKL ab: Im Wahlprogramm solle es heißen, daß sich Die Linke nicht an einer Regierung beteiligen wird, die Kriege führt oder Auslandseinsätze der Bundeswehr zuläßt. Es blieb die ursprüngliche Formulierung, es dürften keine Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zugelassen werden. Warum nur? Weil es im Parteiprogramm der „Linken“ von 2010 auch – neben dem Begriff Auslandseinsätze – den Begriff Kampfeinsätze gibt? Schlimm genug, daß man schon seinerzeit – und dies nicht zum ersten Mal – diese Zweideutigkeit bewußt verteidigte. Anträge, auf den Begriff Kampfeinsätze zu verzichten, wurden durch das Prinzip der Pool-Abstimmung unter den Tisch gekehrt. Sollte da ein Türchen offenbleiben? Soll jetzt daran erinnert werden, daß es diesen winzigen Türspalt gibt? Wir haben jedenfalls keine bessere Antwort und werden gegen diese spitzfindigen Versuche, SPD und Grünen Verhandlungsangebote zu unterbreiten, kämpfen. So werden wir den Antrag stellen, daß in das aktuelle Wahlprogramm die Formulierung aus dem Wahlprogramm 2013 aufgenommen wird, die da lautete: „Wir haben als einzige Fraktion im Bundestag den Auslandseinsätzen der Bundeswehr nicht zugestimmt und werden es auch in Zukunft nicht tun.“
Seit in Berlin eine rot-rot-grüne Landesregierung zustande kam, wird immer wieder die Hoffnung erweckt, eine gleiche Konstellation im Bund würde einen grundlegenden Politikwechsel ermöglichen. Allerdings zählen in der Politik nicht Hoffnungen und Versprechungen, sondern Kräfteverhältnisse und auch Erfahrungen. Eine solche Erfahrung ist, daß die SPD, die zur Zeit noch an der großen Koalition beteiligt ist, seit 1998 – mit Unterbrechung durch die schwarz-gelbe Koalition von 2005 bis 2009 – alle Schweinereien mitzuverantworten hat, vor allem die Aggression gegen Jugoslawien und die Agenda 2010. Eine Erfahrung ist, daß die Grünen seit Beginn des Jugoslawienkrieges jedes imperialistische Abenteuer des Westens frenetisch als Menschenrechtsrettung begrüßten. Mit solchen Parteien in eine Koalition zu gehen, ist – für Kommunisten und Linke nicht nur in der BRD, sondern vielerorts in Europa – immer schiefgegangen. Man muß das nicht ununterbrochen neu ausprobieren – frei nach dem bekannten Ausspruch: „Immer das gleiche zu tun und immer ein anderes Ergebnis zu erwarten, ist auch eine Form des Irrsinns.“
Der Irrsinn allerdings wird solchen wie uns unterstellt. „Welche Alternative habt Ihr denn anzubieten?“, hören wir schon die vorwurfsvollen Fragen derer, die eigentlich gar nicht fragen wollen, sondern die analytische Debatte über Sinn und Unsinn von Regierungsbeteiligungen im Bund zu vermeiden suchen. „Wollt Ihr vielleicht die Revolution?“ Wir meinen, wissend, daß in der Endkonsequenz nichts an der Eigentumsfrage vorbeiführt: Wer gegenwärtig die Revolution hierzulande zu einer Alternative erklärt, ist ähnlich realistisch wie diejenigen, die meinen, mit dieser SPD und mit diesen Grünen könne man einen grundlegenden Politikwechsel herbeiführen. Wie die ticken, wurde auch jüngst in Berlin wieder deutlich.
Deshalb einige Bemerkungen zur Causa Holm. Am 16. Januar trat Andrej Holm zurück. Die Medien kommentierten, er sei der Entlassung zuvorgekommen. Er hat jedenfalls durch seinen Schritt dafür gesorgt, daß Die Linke als Koalitionspartner scheinbar das Gesicht wahren konnte. Der Vorgang Holm zeugt von den tiefen Illusionen, die er und führende Leute der „Linken“ von dem System haben, in dem wir leben. Dieses System ist rachsüchtig. Rache wird dafür geübt, daß über vier Jahrzehnte in einem Teil Deutschlands die Macht des Kapitals gebrochen war. Und es ist skrupellos. Aus nicht einmal einer Mücke – aus dem Nichts – wird bei Holm ein Elefant gemacht, um zweierlei zu erreichen: Den Haß gegen die DDR und gegen alle, die ihr loyal dienten, immer wieder neu zu erzeugen, und um einen profunden Kritiker und Fachmann einfach loszuwerden. Wie konnten diejenigen, die Holm unter diesen Voraussetzungen in die Politik holten, glauben, das könnte gutgehen? Gutgegangen wäre es vielleicht, wenn schon im Zusammenhang mit der Präambel durch Die Linke gesagt worden wäre: Ihr – SPD und Grüne – wollt jenseits einer großen Koalition regieren? Dann respektiert die Überzeugungen vieler unserer Mitglieder! Wir werden sie nicht noch einmal so demütigen, wie wir es mit der Präambel 2002 getan haben. Ihr wollt unbedingt regieren? Dann respektiert eine Biographie wie die von Holm – und stellt Euch gemeinsam mit uns vor ihn, wenn die Hatz in den Medien beginnen sollte. Irgendwann muß Schluß sein mit der Hysterie, wenn es um die DDR und ihre Strukturen geht. Irgendwann sollten die etablierten Parteien des Westens akzeptieren, daß es der Gipfel der Verlogenheit und Dreistigkeit ist, daß in einem Land, in dem schlimme Verbrecher des vergangenen Jahrhunderts – so Globke und Kiesinger – ihre zweite Karriere machen konnten, daß in diesem Land jeder DDR-Bürger, der seinem Land diente, dafür zahlen muß, bis zu seinem Ende. In der Wendezeit war viel die Rede von der Notwendigkeit des aufrechten Gangs. Wir sollten ihn wieder lernen.
Aus „Mitteilungen der Kommunistischen Plattform [KPF] der Partei Die Linke“ 5/2017. Thomas Hecker ist Bundessprecher der KPF.
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