Ohne Geld ist die „Freiheit“ keinen Pfifferling wert
Aus dem Erfahrungsschatz
einer Werbe-Designerin
Nachdem ich schon mehrfach die einst vom DDR-Fernsehen ausgestrahlten ollen Kamellen über Tausend Tele-Tips vernommen habe, melde ich mich zu Wort.
Die DDR-Werbung beschränkte sich keineswegs auf das Werbefernsehen. Ich gehörte zu den 2000 studierten Werbeökonomen für Industrie und Außenhandel der DDR, die an der Fachschule für Werbung und Gestaltung in Berlin-Schöneweide ausgebildet wurden. Wir erwarben dort solide Kenntnisse über den Binnenhandel, die Messe- und Ausstellungsgestaltung sowie auf dem Gebiet der Gebrauchsgrafik. Weitere Studieneinrichtungen gehörten zur Fachschule für Gebrauchsgrafik in Heiligendamm, zur Kunsthochschule Berlin-Weißensee, der Hochschule für Buchkunst Leipzig und zur Burg Giebichenstein in Halle.
Es gab also genügend qualifizierte Fachkräfte, die in sämtlichen Bezirksstädten der DDR tätig waren. Überall existierten außerdem ein Werbedienstbetrieb und ein Messebau. Der Erstgenannte war für Druckerzeugnisse und Werbeartikel zuständig, der zweite für die Ausgestaltung und den Aufbau von Messen im In- und Ausland sowie für den Budenbetrieb auf Weihnachtsmärkten.
Unser Studium bestand keineswegs, wie manche heute behaupten, nur in „Rotlichtbestrahlung“, sondern vor allem in kompetenter und wirksamer Werbung im nichtsozialistischen Ausland. Dazu bedurfte es soliden Fachwissens und einer ausgeprägten Wahrnehmungspsychologie. Uns stand auch entsprechende Fachliteratur aus dem kapitalistischen Teil der Welt zur Verfügung, wozu es dann einer Sondergenehmigung für die Staatsbibliothek bedurfte.
Der zentralgeleitete Werbebetrieb der DDR nannte sich DEWAG. Er war der Abteilung Agitation und Propaganda beim Zentralkomitee der SED unterstellt. Chef der DEWAG-Generaldirektion, die sich am Rosenthaler Platz im Zentrum der DDR-Hauptstadt befand, war Martin Degen.
Sämtliche Betriebe der DDR, die auf dieser Strecke tätig waren, mußten ihre Werbung in DEWAG-Betrieben herstellen lassen. Für alle Druckerzeugnisse bedurfte es einer Genehmigung.
Im DEWAG-Betrieb gab es das Lektorat, das alle Materialien durchliefen. Als dessen Regisseurin mußte ich diesem Gremium aus Fachleuten meine Konzeption vorlegen, die das angestrebte Ziel, das jeweilige Medium, grafische, journalistische und fotografische Aspekte sowie einen Finanz- und Zeitplan enthalten sollte. Dazu bedurfte es der exakten Kenntnis drucktechnischer wie stilistischer Mittel und Möglichkeiten – bei Übersetzungen der deutschen Sprache ebenso wie fotografische und typografische Grundkenntnisse, um den jeweiligen Fachbereichen akzeptable Hinweise geben zu können, bevor der fertige Entwurf dem Kunden vorgelegt werden konnte. Unser Betrieb besaß auch eine damals recht seltene Linhoff-Kamera 9 x 12. Das war ein effektives Arbeiten, das sich klar von den Endlosdiskussionen und dem Chaos abhob, die ich seit 1990 in diversen Praktika erlebte.
Den Höhepunkt der Verblendung aber muß man ohne Zweifel in der Behauptung erblicken, DDR-Werbung habe nicht studiert werden müssen! Darauf kann ich nur antworten: Man sieht, ob etwas von Fachleuten oder von Dilettanten gemacht worden ist. Deshalb heißt es auch Machwerk. Wer weiß, daß etwas für Tausende und aber Tausende Industriebetriebe und die Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB) in der DDR hergestellt wurde, kennt auch den Umfang des Geleisteten. Doch wer natürlich heute durch ein leergefegtes Land spaziert, erinnert sich nur an Tausend Tele-Tips, denn seit der „Wende“ passiert auf diesem Gebiet nicht mehr viel, sieht man einmal von aneinandergereihten Autohäusern, Tankstellen und Einkaufscentern ab.
Ich hatte für meine Verlagsarbeit im Jahr eine halbe Million Mark der DDR zur Verfügung. Sie wurde vor allem für den Tourismus eingesetzt, also für die Propagierung technischer Denkmale und Museen, Schlösser und Burgen der Region, aber auch für Schulungsmaterialien zum Brandschutz, zur Verkehrserziehung und die Gesellschaft für Sport und Technik.
Warum ist nichts mehr davon vorhanden? Ganz einfach: Man stellte Container unter unsere Fenster und warf alles hinein. Die Treuhand zahlte 5000 DM pro Mitarbeiter nach 18 Dienstjahren, und die Bude wurde dichtgemacht. Ich wünsche niemandem, daß er seine Arbeit so verliert und deren Ergebnisse auch noch selbst entsorgen muß.
Übrigens bin ich nicht in der SED gewesen. Ich war getauft und konfirmiert. In der DDR wußte auch der röteste Genosse Fachkompetenz und Vollbrachtes zu schätzen. Für eine zentralere Leitungsfunktion hätte es bei mir wohl nicht gereicht. Und als Betriebsratsmitglied durfte ich meine Kündigung sogar selbst verfassen. Das war ein flotter Sprung ins eiskalte Wasser des Kapitalismus.
Noch heute fühlen wir Kolleginnen und Kollegen uns einander verbunden und treffen uns regelmäßig zum Plausch. Leider sind bereits viele der Unseren verstorben, auch der Kollege, der in den 70er Jahren für die ttt – die Tausend Tele-Tips – zuständig war.
Diejenigen, die heute in unserer Stadt Werbung betreiben, sind Einzelkämpfer und hatten zuvor Berufe wie Elektriker oder Tischler. Sie konnten aber einen Computer bedienen, was heute ausreicht. Ich wurde in der DDR alles, was man auf meiner Strecke beruflich werden konnte, und war danach an keiner Werbung mehr interessiert.
Übrigens erfolgte die Berufsausbildung zum Wirtschaftskaufmann für Werbung, die ich vor dem Studium abschließen mußte, in der Berufsschule Wandlitz. Heute ist sie ein Hotel unweit des Liebnitzsees. Das machte mich indes bei meinen vielen Bewerbungen automatisch suspekt.
Ich hatte schöne Jahre mit meinen Künstlerkollegen und muß auch montags nicht auf die dunkle Straße, um meinen Unmut kundzutun. Schon am 8. Oktober 1989 sagte ich vor der Belegschaft als aufmerksame Schülerin im Fach Politökonomie: „Ohne Geld ist die sogenannte Freiheit so viel wert wie ein Fliegenschiß.“ Nach 20 Jahren Arbeitslosigkeit bin ich als 63jährige inzwischen zwangsverrentet.
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