RotFuchs 233 – Juni 2017

Aus der Reihe getanzt

Peter Steiniger

Portugals Kommunisten üben den Spagat. Während sie auf der einen Seite die von den Sozialisten (PS) gestellte Regierung von Premierminister António Costa im Parlament stützen, stellen sie auf der anderen deren Orientierung grundsätzlich in Frage. Die PCP kritisiert sowohl das bis 2021 angelegte Stabilitätsprogramm, welches eine Senkung des Staatsdefizits nach EU-Kriterien in den Mittelpunkt stellt, als auch das Nationale Reformprogramm, das zur Ankurbelung der Wirtschaft dienen soll. Beide, so erklärte die Partei Ende April, gehörten zum Arsenal „der Instrumente zur Einmischung und Kontrolle der Europäischen Union gegenüber den Mitglieds­staaten“. Die PCP lehne sie ab und sähe mit Sorge den wachsenden Widerspruch „zwischen der Einhaltung der Kriterien und Richtlinien“, welche die EU vorgibt, und einer Umsetzung von Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung. Die PS-Minderheitsregierung halte sich eine Tür offen, zu einer Politik der „Unterordnung unter die Interessen des großen Kapitals und der Mächtigen“ (wie sie von den Rechtsparteien PSD und CDS gefordert werde) zurückzukehren. Beson­ders bei der Senkung der Staatsausgaben wäre weniger Eifer angebracht, finden die Kommunisten. Die für die kommenden Jahre gesetzten Ziele beim Defizit, noch deutlich unter der in der EU geforderten 3-Prozent-Marke, würden die Spielräume für eine Verbesserung der Einkommen und für öffentliche Investitionen „beträchtlich einschränken“.

Massenkundgebung zur Zeit der „Nelkenrevolution“ in Portugal / Foto: Klaus Steiniger

Massenkundgebung zur Zeit der „Nelkenrevolution“ in Portugal / Foto: Klaus Steiniger

Die Statistiken weisen für das vergangene Jahr nur noch ein Minus von zwei Prozent im Staatsbudget aus. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt nimmt Portugal beim Schuldenberg mit 130,4 Prozent allerdings weiterhin den dritten Platz in der EU ein. Doch die tiefe Krise, die den Staat an den Rand des Bankrotts gebracht hatte, scheint Portugal hinter sich gelassen zu haben. Nach Jahren des Niedergangs geht es mit der Wirtschaft langsam wieder aufwärts. Dazu tragen steigende Exporte und eine positive Entwicklung im Tourismus bei – Portugal profitiert hierbei auch von der düsteren Lage in anderen Urlaubsländern wie Ägypten oder der Türkei.

Aus den Schlagzeilen ist das iberische Land verschwunden. Es fehlt ganz einfach an schlechten Nachrichten, die es mit den großen Weltproblemen aufnehmen könnten. Während Griechenland von der EU gegängelt und finanziell nur knapp über Wasser gehalten wird, während Spaniens Politik im Korruptionssumpf versinkt und seine Wirtschaft nur langsam wieder Fuß faßt, sieht es so aus, als hätte die Seefahrer­nation einen günstigen Kurs gewählt. Seit Ende 2015 ist António Costa in Lissabon am Ruder. Seine Regierung versucht, es nicht nur der EU-Kommission recht zu machen, sondern zugleich auch den Erwartungen einer Mehrheit der Portugiesen zu entsprechen. Die hatte genug vom sozialen Desaster, das von der Rechten und der Troika mit dem Rotstift angerichtet worden war. Der Premier und sein Finanzminister Mário Centeno wußten kreativ den Spielraum zu nutzen, der sich aus der interna­tionalen Lage ergibt. Die EU-Kommission hat genug andere Sorgen, wegen verfehlter Haushaltsverpflichtungen in den ersten Monaten der neuen portugiesischen Regierung beließ sie es bei Strafandrohungen. Auch Wolfgang Schäuble wurde ausgetanzt. Bislang geht Costas Strategie auf, auch wenn das Licht am Ende des Tunnels noch in weiter Ferne liegt. Der gesetzliche Mindestlohn, einer der niedrigsten in Europa, wurde in diesem Jahr auf 557 Euro angehoben, bis 2019 soll er auf 600 Euro weiter steigen. Private Haushalte wurden steuerlich entlastet, der öffentliche Dienst kehrt schrittweise zur 35-Stunden-Woche zurück, Lohnkürzungen dort wurden revidiert. Die gestiegene Massenkaufkraft kommt der eigenen Wirtschaft zugute, die Beschäftigungszahlen steigen allmählich wieder.

Anders als von rechts prophezeit, ist das iberische Land also keineswegs unterge­gangen, nachdem sich in Lissabon die Gewichte nach links verschoben haben und dort regiert wird, ohne ganz eng an der Brüsseler Leine zu gehen. Costas Minder­heitsregierung stützt sich – ein Novum in der Politik des Landes – auf Vereinba­rungen mit drei kleineren im Parlament vertretenen Parteien links von ihr. Die PS steht seitdem neben der PCP und den mit ihr verbündeten Grünen auch beim Linksblock (BE) im Wort. Die Annäherung zwischen Sozialisten und Kommunisten stellte einen historischen Schritt dar. Daß deren Gymnastik jetzt nicht allzu schmerzhaft ist, liegt darin begründet, daß sie ihre Grundpositionen – dazu zählt auch die Ablehnung der NATO-Mitgliedschaft Portugals und das Werben für einen Ausstieg aus dem Euro – nicht gegen Ministerhüte eintauschte. Die Kritik des Linksblocks an der Politik der Costa-Regierung klingt ähnlich wie der PCP. Einen Antrag der CDS im Parlament, Stabilitäts- wie Reformprogramm der Regierung zurückzuweisen, lehnten die drei Stützparteien der Sozialisten gemeinsam mit diesen ab. Die PCP erklärte, sich trotz inhaltlicher Differenzen zur PS nicht auf Manöver der Rechtsparteien einlassen zu wollen, die das „durchschaubare Ziel“ hätten, die jetzige Politik durch eine schlechtere zu ersetzen, durch jene „Verschärfung der Ausbeutung und Verarmung, die das Land in die Katastrophe geführt hat“.

Zur Koalition der Vernunft trägt auch Portugals gemäßigt konservativer Präsident Marcelo Rebelo de Sousa bei, der eine überparteiliche Rolle einnimmt. Damit hebt er sich von seinem Vorgänger Ánibal Cavaco Silva ab, der antikommunistische Hysterie verbreitet und das Bündnis der Sozialisten mit den kleineren Linksparteien bis fünf nach zwölf zu sabotieren versucht hatte. Nach etwas mehr als einem Jahr Amtszeit genießt das volksnahe und populäre Staatsoberhaupt breiten Respekt. Das Verhältnis zwischen Präsident und Regierungschef ist harmonisch. In Rebelo de Sousas Partei PSD sorgt das bei einigen für Melancholie.

Rosarot ist die Lage Portugals deshalb längst nicht. Zu tiefgreifend sind die struktu­rellen Probleme des exportabhängigen Landes, zu tiefgreifend ist das Problem der Armut eines großen Teils der Bevölkerung. Niedriger Ölpreis und schwacher Euro, von denen Portugal derzeit profitiert, müssen nicht von Dauer sein. Brüssel mischt weiter mit in der Politik am Tejo, die Ratings zur Bonität des Landes an den internationalen Finanzmärkten, die es schon einmal beinahe ausbluten ließen, liegen weiter nahe am Ramsch-Niveau. Portugal ist noch längst nicht im sicheren Hafen.