Aus Eddas Blickwinkel:
Das Sinken der „Büchner“
Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ Dieser zornige Aufruf Georg Büchners im „Hessischen Landboten“ wurde zum geflügelten Wort. Die Flugschrift richtete sich gegen die sozialen Mißstände seiner Zeit.
In der DDR erfuhr Georg Büchner, Dichter des Vormärz, späte Wertschätzung. Ein Schiff erhielt seinen Namen.
1950 in Antwerpen gebaut, pendelte es als „Charlesville“ zwischen Belgien und Kongo, bis es von der DDR gekauft und mit dem Namen „Georg Büchner“ versehen wurde.
Die „Büchner“ wurde als Fracht- und Ausbildungsschiff genutzt. Bis zu 150 Lehrlinge befanden sich an Bord, wenn es Kurs auf Kuba nahm. Zehn Jahre später – 203 „Pötte“ gingen zu dieser Zeit für die Deutsche Seerederei auf große Fahrt – legte die „Georg Büchner“ als stationäres Ausbildungsschiff am Kai von Rostock-Schmarl an.
Dort ankerte bereits ein ähnlicher Riese, der 10 000-Tonner „Frieden“. Wir durchstreiften das Traditionsschiff viele Male, steckten unsere Nasen in Maschinenräume und Kajüten, standen auf der Brücke, und noch immer spüre ich die schwindelnde Höhe beim Blick aufs Wasser vom obersten Deck.
Nach der politischen Rückentwicklung, die als „Wende“ verkauft wurde, warteten viele DDR Bürger vergebens auf die von Kohl versprochenen „blühenden Landschaften“ – auch die Seeleute. Die im März 1990 erlassene „Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften“ brachte 8000 Mitarbeiter der Deutschen Seerederei sofort um Lohn und Brot. In Rostock kam es zu einem sprunghaften Anstieg von Entlassungen. Weniger als 60 Prozent der Erwachsenen waren ein Jahr später noch in regulärer Beschäftigung – verwirrend bedrohliche Veränderungen für die Rostocker, die in der DDR Bewohner der am schnellsten wachsenden Großstadt gewesen waren. Sie galt als Tor zu den Weltmeeren. An Aufbau beteiligte sich das ganze Land: Steine wurden gesammelt und zum Hafenausbau an die Küste geschickt. Nach dem Schulabschluß halfen etliche junge Leute beim Ausheben der neuen Hafenbecken. Meine Klasse war auch dabei. Begeistert sind wir Morgen für Morgen vom GST-Marinestützpunkt mit einer Barkasse über die Warnow zu den großen Anlagen geschippert.
Was aber wurde unter der Herrschaft des Geldes aus der „Georg Büchner“?
Die Stadt Rostock kaufte sie zum symbolischen Preis von 1 D-Mark, um sie vor dem Abwracken zu bewahren. Der maritime Riese erhielt vorerst noch Denkmalstatus, wurde sogar mit Millionenaufwand zum Hotel- und Jugendherbergsschiff umgebaut.
Doch der Trägerverein ging pleite. 2012 mußte er die „Büchner“ aufgeben. Nun wurde der Denkmalschutz schleunigst wieder aufgehoben und das Schiff zur Verschrottung in Litauen freigegeben.
Im Mai 2013 fuhr ich zum Geburtstag meines Bruders nach Rostock. Wir saßen gerade am Kaffeetisch, als mein Neffe Andreas erschien. Er gratulierte kurz und löste dann mit folgenden Worten ungläubiges Entsetzen aus: „Die ,Büchner‘ ist gesunken!“
„Das kann doch nicht wahr sein!“, sagte ich. Wir schalteten das Radio ein und erstarrten. Die böse Nachricht wurde bestätigt. Sofort fiel das Wort „Versicherungsbetrug“.
Am nächsten Morgen erfuhren wir Näheres aus der „Ostseezeitung“. Unter Protest vieler Rostocker war die „Büchner“ am 30. Mai von einem polnischen Schlepper abgeholt worden. Nach zwei Tagen bei ruhiger See mit vier Knoten fahrend geschah des nachts vor Polens Küste etwas Mysteriöses. Der Schlepper steuerte einen seltsamen Zickzackkurs. Dann neigte sich das Schiff zur Seite. Eine Stunde später wurde die Leine gekappt. Der Schlepper umkreiste die sinkende „Büchner“, die 15 Kilometer vor dem Festland auf Grund ging, noch einmal und steuerte dann rasch den Gdánsker Hafen an.
Auf einer Seekarte sieht man im weiten Umfeld bereits ein halbes Hundert anderer Wracks, darunter auch die 1945 gesunkene „Wilhelm Gustloff“.
Zum Untergang der „Büchner“ äußerte sich ihr alter Kapitän Georg Peters: „Das war grob unseemännisch. Unbemannt abschleppen kommt so gut wie niemals vor, weil nachts Lichter und am Tage Flaggen gesetzt werden müssen. Die Schleppleine muß kontrolliert und neu angebracht werden, falls sie bei heftigem Seegang reißt. Über die Notleiter dann das Deck erreichen zu wollen, wäre lebensgefährlich.“
In Rostock hatte man bis zuletzt darüber gestritten, ob man die „Büchner“ im Hafen halten, weiter ausbauen oder einem Geschichtsverein in Antwerpen überlassen sollte. Doch die Stadt verscherbelte das Schiff zum Schrottpreis. Neuer Eigentümer wurde eine obskure Gesellschaft auf den nicht gerade in der Nähe gelegenen Seychellen. Sie soll das Schiff zunächst gehörig versichert haben. Von 4 Millionen Euro ist die Rede – dem Vierfachen des Schrottwertes. So etwas gilt im Kapitalismus als „Normalität“.
Die „Georg Büchner“ ist untergegangen, nicht aber das Anliegen ihres Namensgebers.
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