Aus Eddas Blickwinkel: Elbflorenz heute
Im Dezember 2008 war ich mit einer Gruppe der Volkssolidarität in Dresden. Damals notierte ich: Am Stadteingang lese ich als erstes, „Erotic Car wash“. Dann drängt sich goldprotzig, neu aufgemotzt das Reiterstandbild August des Starken auf.
Die Vordergründigkeit des Geldes in der veränderten Sachsenhauptstadt scheint deren Markenzeichen geworden zu sein. Ich erfahre von der Reiseleiterin allerhand Merkwürdigkeiten: Das alte Kaufhaus wurde abgerissen, ein neues am gleichen Platz für etliche Millionen hingestellt. Die Geschäfte im Straßentunnel existieren nicht mehr, es gab zu viele Überfälle. Die Unterführung wird für etliche Millionen beseitigt. Die „gewendete“ Dimitroffbrücke heißt jetzt Augustusbrücke.
Wir überqueren das nach Loschwitz über die Elbe führende „Blaue Wunder“. Die Reiseleiterin erklärt: Die Villa des Sängers Günter Emmerlich dort oben harmoniert farblich mit dem „Blauen Wunder“! Wie schön!
Dann hören wir das Wort zum Montag über allerlei Fürstengebein und das in der katholischen Hofkirche aufbewahrte Herz August des Starken, das schlagen soll, wenn eine schöne Jungfrau vorbeikommt.
Vor der Frauenkirche steht die obligatorische Warteschlange. Bewacht wird das Gotteshaus von zwei silberblanken Rittern mit Visier, Lanze und Sammelbüchse. Klimpert’s in der Büchse, verbeugen sich die Ritter mit ausladender Gebärde und nehmen danach die alte Position wieder ein. Ich spähe ins Visier, lebendige Augen! Sind das nun Stadtbedienstete als Attraktionen, oder ist es nur eine weitere Möglichkeit, die Harz-IV-Bezüge etwas aufzubessern? Das frage ich mich auch bei den Bläsern am Eingang zur Frauenkirche in Anbetracht ihres offen stehenden Instrumentenkoffers.
Auf dem riesigen Platz spielt ganz versunken ein junger Mann auf einem Piano. Silbern klingen die Töne in der klaren kalten Luft. Wie ist das kostbare Stück dorthin gelangt? Was passiert mit ihm bei Regen? Und warum eilen die meisten Menschen achtlos vorüber? Ich hole mir seine CD und denke zu Hause an das Erlebte, aber auch an das alte Dresden vor 30 Jahren: Damals waren wir nur kurz auf dem Striezelmarkt, weil uns die Klänge des probenden Kreuzchores vom Platz lockten. Die Zeit reichte gerade noch für eine Tüte mit Pflaumentoffeln. Nach denen suche ich heute und – verzichte. Zwei Euro fünfzig für sechs aufgespießte Backpflaumen mit einem albernen Pappkopp sind mir zu viel und auch für die schöneren mit zierlichem Nußkopf will ich die geforderten fünf Euro nicht berappen. Viele Menschen streifen wie einst zu DDR-Zeiten durch den Markt. Doch nur wenige kaufen etwas vom Überangebot an Plauener Spitze, Blaudruck, erzgebirgischen Schnitzereien, zarten Glasbläserwaren. Dafür sind die Glühweinstände und Freßbuden überlaufen.
Was früher nicht zu haben war, das können wir heute nicht bezahlen, gehen also nicht minder leer aus.
Fünf Jahre später.
Eine Gruppe von Sängern des Ernst-Busch-Chores, dem ich angehöre, ist zum Jahreskonzert des Bergsteigerchors nach Dresden gefahren. Ob diese Reise meine Meinung über Elbflorenz ändern wird?
Der Kulturpalast, in dem die Konzerte früher stattfanden, ist geschlossen. Der alte Stadtratsbeschluß, das Gebäude, das seit 2008 unter Denkmalschutz steht, zu sanieren und den Festsaal akustisch aufzubessern, wurde aufgehoben, ein neuer Umbaubeschluß gefaßt. Seine Verwirklichung aber käme die Stadt teuer zu stehen, ein funktionierendes wirtschaftliches Gebäude würde zerstört, und die Umbaukosten wären höher als der Neubau eines Konzertsaales. Also wird darüber gestritten, wie es weitergehen soll.
So findet das Konzert im Congress Center am Maritim-Hotel statt. Das Haus wirkt ernüchternd, ist nicht behindertengerecht, Treppen auf und ab, unübersichtliche Gänge, endlose Menschenschlangen vor den umlagerten und viel zu kleinen Garderoben. Der riesige schmucklose Mehrzwecksaal läßt keine erwartungsvolle Stimmung aufkommen.
Das ändert sich erst, als etwa 100 Sänger die Treppe herab und durch den Saal auf die Bühne schreiten. Leider sitzen wir so weit entfernt von ihr, daß die Gesichter der Chormitglieder nur schemenhaft erkennbar sind. Dann aber wird es laut, zu laut für meine Ohren, da die Akustik nicht trägt, die Technik macht es kaum besser. Feinheiten, die es mit Sicherheit gibt, lassen sich nicht erfassen. Möglicherweise sind es auch die Titel, die zwar dem Anspruch „Bergsteiger-Chor“ gerecht werden, aber dessen Namen nicht entsprechen. Der Chor heißt seit 1949 nach Kurt Schlosser – einem von den Nazis ermordeten Antifaschisten.
Nach der Pause gefallen mir die Sänger besser, und zwar nicht wegen der jetzt roten Strümpfe zu den knielangen Hosen … Die Gesänge wandeln sich, sind modulierter. Genau besehen würden unserem Ernst-Busch-Chor ein paar dieser schönen Männerstimmen als Verstärkung guttun.
Wir besuchen anschließend das Neue Grüne Gewölbe. „In diesem Museum begeistern über 1000 unschätzbar wertvolle Exponate aus vier Jahrhunderten die Besucher“, lese ich in einem Informationsblatt. Sehr schnell ist mir klar, daß ich nicht zu den Begeisterten gehöre. Obwohl in spiegelfreien Vitrinen und unter moderner Lichttechnik jedes Kunstwerk von allen Seiten bestaunt werden kann, die Besucher ausreichend Platz haben und sich von einem elektronischen Gerät, dem Audioguide, umfassend informieren lassen können, werde ich immer unruhiger. Tatsächlich zeugt jedes Detail von höchster Handwerkskunst, ist vollkommen und wunderschön. Besonders eine große perlmuttausgelegte, reich verzierte Goldschale läßt mich verweilen. Aber dann frage ich mich: Woher dieser Reichtum? Warum diese Verschwendung? Wer hat vor 400 Jahren bei schwachem Licht in einen winzigen Kirschkern 185 Gesichter geschnitzt. Woher hatte August der III. die 400 000 Taler für den großen grünen Diamanten in einer Hutagraffe? Wie mag sich 1701 wohl der Hofjuwelier August des Starken gefühlt haben, als er ein gerade fertiggestelltes, fast ausschließlich aus Gold bestehendes Kaffeeservice in das winterliche Warschau bringen mußte?
Wem dienten die prunkvollen Harnische, Helme, Schilde, Schwerter, Pistolen und Gewehre, und wie waren deren Knechte wohl ausgestattet?
Da erinnert mich Kati, als unser Gespräch noch einmal auf das Grüne Gewölbe kommt, an Brechts „Fragen eines lesenden Arbeiters“ … Wer baute das siebentorige Theben … und wer die Paläste von Dresden?
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