Nach langjähriger Haft in den USA
meldet sich Kurt Stand zurück
Aus traurigem Anlaß
Bertolt Brechts Appell „An die Schwankenden“ bezieht sich auf Leute, die sich – nachdem die Nazis ihre Positionen gefestigt hatten – darüber im ungewissen waren, wohin sie sich nun wenden sollten. Anders ausgedrückt: die gewissermaßen in sich hineinschauten, um Stärke zu bewahren und in Übereinstimmung mit ihren Prinzipien zu handeln.
Am 6. Oktober fand in New York eine Gedenkfeier für Margrit Pittman statt. 1919 in Frankfurt am Main geboren, erwies sich die Journalistin als Anwältin für Sozialismus und internationale Solidarität. Schon am 4. Februar 2013 war sie gestorben.
Am 10. Oktober ging auch der Jurist und Kommunist Dr. Hans Kaiser im 85. Lebensjahr von uns. Das Andenken beider zu ehren, heißt für mich, zwei Menschen zu würdigen, die – im Unterschied zu vielen anderen – nicht geschwankt haben, wie widrig die Umstände auch gewesen sein mögen. Es handelt sich um zwei Freunde, die beflügelnd auf jene wirkten, welche auch heute den Kampf für Gerechtigkeit fortsetzen.
Margrit Pittman gehörte einer Generation an, die – obwohl durch den Faschismus als Opfer auserkoren – sich weigerte, dementsprechend zu leben. Man zwang sie, ihre schulische Ausbildung abzubrechen, nachdem Hitler befohlen hatte, daß Juden fortan weder öffentliche Schulen noch Universitäten besuchen dürften. Viele ihrer Familienangehörigen verschwanden in den Konzentrationslagern. Margrit selbst überlebte dank der Hilfe eines Lehrers und anderer nichtjüdischer Freunde, die ihr – ungeachtet der Risiken – Solidarität erwiesen. Sie überstand diese Zeit nicht nur, sondern nahm auch den Kampf auf. Noch als Teenager wurde sie in Deutschland Mitglied des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes – einer im Untergrund wirkenden antifaschistischen Organisation. Nach der Emigration in die Vereinigten Staaten setzte sie ihre Aktivitäten fort. Wie auch andere antifaschistische Flüchtlinge zog sich Margrit nicht resignierend und verbittert zurück, sondern fand die Antwort auf ihre Verfolgung im Widerstand. Ihre Erfahrungen mit der Gewalt der Nazis verwandelten sich so in lebenslangen Einsatz für den Frieden. Das durch Antisemitismus Erlittene erzeugte in ihr eine das ganze Leben anhaltende Gegnerschaft zu allen Formen von Rassismus. Ihre Konfrontation mit der Unterdrückung durch die Nazis bewirkte bei Margrit ein bis zuletzt anhaltendes Engagement für Demokratie und Sozialismus.
Schon kurze Zeit nach ihrer Ankunft in New York wurde Margrit Pittman 1938 Jugendredakteurin des legendären „German-American“ – einer publizistischen Stimme, derer sich die politischen Gegner Hitlers bedienten. Mehr als das: Die Zeitung erwies sich auch als ein Vehikel, um Deutschlands fortschrittliches und demokratisches Kulturerbe gegen jene in Bewegung zu setzen, welche dieses Stück Vergangenheit unterdrücken wollten. Zugleich schuf das Blatt ins Exil gezwungenen Schriftstellern, deren Bücher in Berlin durch die Nazis verbrannt worden waren, eine Plattform.
Margrit wurde auch in Sachen des Camp Midvale aktiv – eines linken Zentrums von Deutsch-Amerikanern in New Jersey, das zum Schutzhafen für radikale Auffassungen in der Arbeiterbewegung wurde, indem es Künstlern wie Paul Robeson und Pete Seeger einen Auftritt ermöglichte. Margrit schloß sich der Kommunistischen Partei der USA an, weil sie zu der Erkenntnis gelangt war, daß diese politische Formation die konsequenteste und entschiedenste Kraft im Kampf gegen Faschismus und für soziale Gerechtigkeit in Deutschland wie in den Vereinigten Staaten verkörperte.
In den 50er Jahren standen die Opposition zum McCarthyismus in den USA und der Widerstand gegen den erneuten Aufstieg des Militarismus in Westdeutschland im Mittelpunkt ihrer journalistischen und politischen Aktivitäten. In ihren Artikeln setzte sich Margrit besonders für die Solidarität mit der Deutschen Demokratischen Republik ein. Dort erblickte sie eine Gesellschaft, welche die Hoffnungen jener erfüllte, die gegen die Nazis gekämpft hatten. Sie betrachtete die DDR als ein Land, das gegen enorme Widerstände daran arbeitete, eine auf Kollektivgeist beruhende neue Gesellschaft aufzubauen.
Die Verbindung zwischen Margrits Internationalismus und ihren journalistischen Fähigkeiten führte dazu, daß sie Übersee-Korrespondentin der kommunistischen Zeitung „Daily Worker“ sowie ihrer Nachfolger „Daily World“ und „People’s World“ wurde – zunächst in der Sowjetunion und dann in der DDR. Dort schrieb sie zugleich Beiträge für die „Weltbühne“. Während ihres Auslandsaufenthalts verfaßten Margrit und ihr Mann John, der als Vertreter der KP der USA bei der in Prag erscheinenden Zeitschrift „Probleme des Friedens und des Sozialismus“ arbeitete, 1962 die Streitschrift „Sinn und Unsinn über Berlin“. In ihr wurde die Anti-DDR-Kampagne im Zusammenhang mit dem vorausgegangenen Bau der Berliner Mauer entlarvt. Es war ein Statement über die Notwendigkeit unvernebelt klaren Denkens und Handelns zur Abwendung eines Dritten Weltkrieges.
Margrits späteres Buch „Begegnungen in Sachen Demokratie – eine US-Journalistin blickt auf die DDR“ vermittelte ein umfassenderes Bild vom Typ einer Gesellschaft, in der sich Menschen schöpferisch entfalten können.
Margrit setzte ihre diesbe-zügliche Arbeit nach der Rückkehr in die Vereinigten Staaten fort, wo sie eine maßgebliche Rolle bei der Herausgabe von Publikationen der KP der USA übernahm. Sie wurde Mitglied des „US-Komitees für Freundschaft mit der DDR“ – einer Organisation, welche die Fehlinformationen und den Mangel an redlicher Berichterstattung über die DDR bekämpfte. Das Komitee förderte Reisen und Abstecher dorthin, vermittelte Gespräche, führte Meetings durch und zeigte Filme, um die Diskussion über ein in den USA wenig bekanntes oder verstandenes Land anzuregen.
Margrit stand damit gewissermaßen in der Tradition ihrer einstigen Tätigkeit beim „German-American“ und ihres mehrjährigen Aufenthalts in Berlin. Sie handelte auch dann in diesem Geist, als die DDR bereits zu bestehen aufgehört hatte und in den kommunistischen Reihen eine Spaltung erfolgt war. Das drückte sich in ihrem Widerstand gegen den Irak-Krieg ebenso aus wie in ihrer Wohngebietsarbeit und der Unterstützung fortschrittlicher Gesundheitsprojekte. Nach der Trennung Hunderter Parteimitglieder von der KP der USA schloß sie sich wie Angela Davis, Charlene Mitchell und Dr. Herbert Apteker den damals entstehenden „Committees of Correspondence for Democracy and Socialism“ an.
Ich kannte Margrit während des größten Teils meines Lebens. Sie war mit meinen Eltern befreundet und gehörte denselben Organisationen wie sie an. Während der Jahre meiner Inhaftierung schrieb sie mir und unterstützte auch unser Verteidigungskomitee. Wichtiger als das aber ist die Tatsache, daß sie in dieser Zeit noch enger an meine Eltern heranrückte und ihnen half, als sich andere abwandten. Damit stellte sie zwei Dinge unter Beweis: den Glauben an Gerechtigkeit und den Wert persönlicher Freundschaft.
Hans Kaisers Leben war nicht weniger durch menschliche Wärme und gesellschaftlichen Einsatz geprägt. Obwohl ich niemals die Chance hatte, ihm persönlich zu begegnen, entstand zwischen uns eine starke Freundschaft, die sich im Verlauf der Korrespondenz entwickelte, die er mit mir nach meiner Verhaftung aufgenommen hatte.
Einmal schrieb mir Hans, daß zu seinem Erwachen als Zehnjähriger die Beobachtung von Überfällen auf jüdische Geschäfte während der sogenannten Kristallnacht gehört habe. Obwohl seine Familie nicht gerade zu linken Auffassungen tendierte, war sie wie er selbst schockiert. Aus solchen Erfahrungen entwickelte sich seine Gegnerschaft zur Ideologie der Nazis, sein Verständnis für die Notwendigkeit fundamentalen Wandels. Hans gehörte zu jenen, welche in den Jahren der Hitlerdiktatur aufwuchsen und entschlossen waren, danach ein neues und besseres Deutschland zu schaffen. Diese Möglichkeit eröffnete sich mit der Gründung der DDR. Es war gerade diese Entschlossenheit, die Hans dazu veranlaßte, der SED beizutreten und sich für den Beruf eines Juristen zu entscheiden.
Unsere Briefe berührten oftmals gerade seine Arbeit auf diesem Gebiet. Hans verwies dabei auf den Kontrast zwischen der Behandlung von Menschen, die in den USA nach Anklage und Urteil die Gefängnisse füllten, dort keinerlei Möglichkeiten hatten, einen Beruf zu erlernen und sich während der Haftzeit auf eine anschließende Neugestaltung ihres Lebens vorzubereiten, also nach der Entlassung chancenlos waren, und den in der DDR beschrittenen Wegen. Deren Praxis war darauf orientiert, straffällig gewordenen Menschen bei ihrer Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu helfen, ihnen ein würdiges Leben nach der Freilassung zu ermöglichen. Hans zeigte sich an meinen Beobachtungen und Erfahrungen, die ich im Gefängnis „vor Ort“ sammelte, sehr interessiert. Er schrieb ehrlich und selbstkritisch auch über Vergangenes, kehrte dabei aber stets zum fundamentalen Unterschied beider Systeme zurück: einer kapitalistischen Welt, die Menschen lediglich als Objekte behandelte, und dem sozialistischen System, das sich darum bemühte, sie zu befähigen, Subjekte ihres eigenen Lebens zu sein. Es war gerade dieses Begreifen, das Hans dahin führte, ein so leidenschaftlicher Anwalt für Frieden und Solidarität zu sein. Für diese Werte wirkte er durch seine Teilnahme am Aufbau des Sozialismus, wobei er auch nach dessen Niederlage in Europa den Kampf nicht aufgab.
Hans schrieb Artikel über das DDR-Gerichtswesen und -Rechtssystem, auch für den „RotFuchs“ – eine jener Publikationen, mit welchen er mich vertraut machte. Er führte mich überdies in die „junge Welt“ ein. Oft lenkte er meine Aufmerksamkeit auf einzelne Artikel, die er für besonders wichtig hielt. Sie bildeten dann die Grundlage eines Gedankenaustausches zwischen uns. Hans vereinbarte mit den Redakteuren der jW, daß ich dort eine Kolumne zur Lage der Arbeiter in den USA schreiben konnte, die von ihm übersetzt wurde. Er wollte mehr über die Geschichte des Klassenkampfes und die Bewegung für Frieden und Gerechtigkeit in den Vereinigten Staaten erfahren. Niemals brach er die Suche nach Informationen und das Lernen ab. Im Laufe der Jahre schickte er mir viele Bücher, wobei er mich stets um meine Meinung bat, während er sich selbst dazu äußerte. Diese im Verlauf unserer Korrespondenz geführten Debatten vertieften mein Wissen und Begreifen.
Jetzt bin ich wieder zu Hause, blicke auf mein Regal und sehe die Buchrücken jener Titel, die ich von Hans erhielt, als ich noch im Gefängnis war. Darunter befinden sich Veröffentlichungen von Sahra Wagenknecht und Manfred Sohn, die unterschiedliche Sichten auf den künftigen Weg vermitteln. Zu den Autoren, deren Werke ich auf diese Weise lesen konnte, zählen Werner Eberlein, Herbert Graf, Ralph Hartmann, Heinz Keßler und Fritz Streletz, Egon Krenz, Joachim Mitdank, Werner Mittenzwei, Hannes Sieberer und Herbert Kierstein, Jörg Rösler, Wolfgang Wippermann und viele andere.
Mit einigen Autoren stimmte Hans nicht überein, anderen – besonders Graf und Krenz – bescheinigte er, die Wahrheit über Vergangenes zum Ausdruck gebracht zu haben. In jedem Falle aber las er diese Bücher mit Sorgfalt und einem offenen Sinn. Gerade diese Offenheit bildete auch die Grundlage für unseren Meinungsaustausch und das wechselseitige Entdecken.
Unsere in schriftlicher Form erfolgten Diskussionen waren kein Selbstzweck, sondern eine Anleitung zum Handeln. Hans war immer hellwach, verfolgte aufmerksam die inneren Widersprüche und Konflikte in der Partei Die Linke, die er äußerst kritisch sah, zugleich aber unterstützte. In ähnlicher Weise beobachtete er Entwicklungen in der DKP, wobei er seine Einblicke ebenso mit mir teilte wie gewisse Herausforderungen, denen er sich gegenübersah. Und sogar zu einem Zeitpunkt, als sich sein Gesundheitszustand bereits deutlich verschlechtert hatte, blieb Hans aktiv. Sein Arbeitsschwerpunkt lag in der GRH – einer Organisation, welche die Rechtmäßigkeit des Handelns jener ehrt, von denen die DDR aufgebaut und verteidigt wurde. Die GRH widersetzt sich der Verleumdungskampagne, welche die Tatsachen entstellt und den Wert des Errungenen diffamiert. Im Rahmen seiner Teilnahme an der Solidaritätsarbeit der GRH schrieb mir Hans übrigens seinen ersten Brief. Durch unsere Korrespondenz verschafften wir uns dann tiefere Einblicke in das Leben des jeweils anderen.
Wie Margrit Pittman verband auch Hans Kaiser seinen Glauben an Gerechtigkeit mit der Anerkennung des Wertes persönlicher Freundschaft. Beide widmeten ihr Leben dem niemals endenden Einsatz für eine neue und bessere Welt. Dabei befanden sie sich in voller Übereinstimmung mit Brechts Prinzip, das er in der „Heiligen Johanna der Schlachthöfe“ so formuliert hat: „Denn nichts werde gezählt als gut und sehe es aus wie immer, als was wirklich hilft, und nichts gelte als ehrenhaft mehr, als was diese Welt endgültig ändert: Sie braucht es.“
An die hundert Leute nahmen an der Gedenkveranstaltung für Margrit Pittman teil. Sie und Hans hatten nah und fern viele Freunde, die sich ihrer stets erinnern werden. Das gilt auch für die Botschaft, die sie beseelte: Wir können die Welt ändern, solange der Gedanke der Solidarität unser Leben und Tun bestimmt.
Übersetzung: K. S.
Unser Autor wurde in den USA zu 17 Jahren Gefängnis verurteilt, die er bis auf einen kleinen Rest verbüßen mußte. Er wurde bezichtigt, sich zur Zusammenarbeit mit der Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR bereit erklärt zu haben.
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