RotFuchs 194 – März 2014

Lenins Mitstreiterin Alexandra Kollontai warf 1913 die Frage auf:

Bedarf es eines Weltfrauentages?

Alexandra Kollontai

Alexandra Kollontai war eine namhafte Mitkämpferin Lenins, Schriftstellerin und Diplomatin der UdSSR in Skandinavien. Ihr nachfolgender Beitrag erschien nur eine Woche vor dem Tag der der internationalen Solidarität der Proletarierinnen, der am 23. Februar (8. März) 1913 erstmals begangen wurde, in der „Prawda“. Von St. Petersburg aus vernahm man damals den Appell zu einer weltweiten Kampagne gegen die soziale, ökonomische und politische Diskriminierung weiblicher Arbeiter, für ein Erwecken des Selbstbewußtseins der Proletarierinnen. Im folgenden bringen wir wesentliche Teile des seinerzeitigen Artikels.

Was ist der Frauentag? Ist er wirklich notwendig? Handelt es sich nicht etwa nur um ein Zugeständnis an die Frauen der bürgerlichen Klasse? Schadet er nicht der Einheit der Arbeiterbewegung? Solche Fragen kann man in Rußland vernehmen, während sie im Ausland bereits nahezu verstummt sind. Das Leben selbst hat bereits eine klare Antwort darauf gegeben.

Der Frauentag ist ein Glück in der langen, soliden Kette der proletarischen Frauenbewegung. Die organisierte Armee arbeitender Frauen wächst von Jahr zu Jahr. Vor zwei Jahrzehnten gehörten den Gewerkschaften nur kleine Gruppen arbeitender Frauen an. Sie waren über das ganze Land verstreut, auch in den Reihen der Arbeiterpartei zu finden. Jetzt haben die britischen Gewerkschaften bereits 292 000 weibliche Mitglieder. In Deutschland sind es 200 000 in der Gewerkschaftsbewegung und 150 000 in der Sozialdemokratischen Partei, in Österreich 47 000 und 20 000. Überall – ob in Italien, Ungarn, Dänemark, Schweden, Norwegen und der Schweiz – organisieren sich die Frauen der Arbeiterklasse. Die sozialistische Frauenarmee zählt bereits fast eine Million Kämpferinnen. Das ist eine Kraft, mit der man rechnen muß, wenn es um Lebenshaltungskosten, Mütterversicherung, Kinderarbeit und Gesetzgebung zum Schutz der weiblichen Arbeitskraft geht.

Es gab eine Zeit, da dachten die arbeitenden Männer, sie müßten allein die Last des Kampfes gegen das Kapital schultern und ohne die Hilfe des Weibervolkes mit der alten Welt fertig werden. Als dann aber auch Arbeiterinnen in die Reihen jener eintraten, die aus der Not heraus ihre Arbeitskraft verkaufen mußten und auf den Arbeitsmarkt drängten, weil der Ehemann oder Vater erwerbslos war, wurden die Arbeiter dessen gewahr, daß es zu ihrem Schaden gewesen ist, die Frauen ohne Klassenbewußtsein alleinzulassen. Sie begriffen: Je größer die Zahl der Kämpfenden, um so größer ist auch die Siegeschance. Denn welches Bewußtseinsniveau besitzt eine Frau, die hinter dem Herd hockt, keine Rechte in Gesellschaft, Staat und Familie hat? Sie wird ihrer Lage nicht einmal gewahr. Alles geschieht nur nach dem Willen des Vaters oder Ehemannes. Die Rückständigkeit und das Fehlen von Rechten, die von den Frauen durch Unterwerfung und Indifferenz ertragen werden mußten, waren nicht zum Nutzen der Arbeiterklasse, sondern fügten ihr direkten Schaden zu.

Aber wie kann man eine Arbeiterin in die Bewegung einbeziehen, sie erwachen lassen? Die auswärtige Sozialdemokratie fand nicht sofort die richtige Lösung. Obwohl sich die Arbeiterorganisationen Frauen öffneten, traten ihnen zunächst nur wenige bei. Warum? Weil die Arbeiterklasse anfangs nicht wahrnahm, daß die Arbeiterinnen ihre gesetzlich und sozial am meisten unterdrückten Mitglieder waren, daß sie mißhandelt, eingeschüchtert und verfolgt wurden, so daß zur Anregung von Herz und Verstand besondere Anstrengungen unternommen und Worte gebraucht werden mußten, die den Frauen verständlich waren. Sie werden ja nicht nur als Verkäuferinnen ihrer Arbeitskraft, sondern auch als Mütter, als weibliche Wesen unterdrückt.

Als man in den sozialistischen Arbeiterparteien das begriff, kam man den Frauen unter all diesen Aspekten sofort zu Hilfe. Die Sozialisten sämtlicher Länder entwickelten spezielle Programme zum Schutz der Frauenarbeit sowie zur Verteidigung der politischen Rechte und Interessen weiblicher Klassengenossen.

Inzwischen liegt die Hauptbürde bei dem Bemühen, für immer mehr weibliche Arbeiter attraktiv zu werden, auf den Schultern der Frauen in der sozialistischen Bewegung selbst. Die Parteien haben besondere Frauenausschüsse, Sekretariate und Büros eingerichtet. Sie bemühen sich, unter den noch überwiegend „unpolitischen“ Frauen Klassenbewußtsein zu erzeugen und ihr Erkenntnisniveau ständig zu heben. Dabei werfen sie natürlich vor allem solche Fragen auf, die Frauen und Mütter besonders betreffen. Als Mitglieder der Partei kämpfen weibliche Arbeiter für die gemeinsame Sache der Klasse, während sie sich zur gleichen Zeit für spezifische Anliegen von Frauen der verschiedensten Bereiche besonders engagieren.

Einige werden die Frage aufwerfen, warum wir zum Frauentag die Proletarierinnen aussondern, warum es eigens für Frauen entworfener Flugblätter oder spezieller Konferenzen und Meetings bedarf.

Nur jene, welche den radikalen Unterschied zwischen der Bewegung sozialistischer Frauen und bürgerlichen Suffragetten nicht begreifen, können so denken. Was ist das Ziel der Feministinnen? Sie setzen sich für dieselben Vorteile und dieselbe Machtfülle innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft ein, wie sie ihre Ehemänner, Väter und Brüder besitzen. Was aber ist das Ziel der Arbeiterinnen? Ihnen geht es um die Beseitigung jeglicher Privilegien, die sich aus Geburt oder Reichtum ergeben. Der arbeitenden Frau ist es egal, ob ihr Chef ein Mann oder eine Frau ist.

Feministinnen fordern abstrakt gleiche Rechte immer und überall. Arbeiterfrauen erwidern: Wir fordern Rechte für jeden Bürger, Mann oder Frau. Aber wir vergessen dabei nicht, daß wir auch Mütter sind. Deshalb fordern wir den besonderen Schutz des Staates und der Gesellschaft für unsere Kinder.

Die Feministinnen wollen politische Rechte erringen. Doch auch hier trennen sich unsere Wege. Für bürgerliche Frauen sind diese erstrebenswert, um bequemer und sicherer ihren Weg in der auf Ausbeutung beruhenden Welt gehen zu können. Für Arbeiterinnen aber bedeuten sie einen Schritt auf dem felsigen und schwierigen Pfad, der zum ersehnten Reich von Ausbeutung befreiter Arbeit führt.

Die Wege haben sich deshalb schon vor langer Zeit getrennt. Es besteht ein enormer Unterschied zwischen arbeitenden Frauen und den besitzenden Ladies, zwischen einer Dienerin und ihrer Herrin.