Der ranghöchste DDR-Richter zur Lüge vom Unrechtsstaat
Bei Attacken nicht gleich
den Kopf einziehen!
Wirklich tot ist jemand erst, wenn niemand mehr über ihn spricht, heißt es. Was auf Menschen zutrifft, gilt nicht minder für Staaten. Ein Vierteljahrhundert nach der Niederlage des sozialistischen deutschen Staates vergeht kein Tag, an dem die angeblich aus den Geschichtsbüchern längst gestrichene DDR nicht unablässig im Mittelpunkt von Anfeindungen, Spekulationen und Verleumdungen stehen würde. Das Ganze gipfelt in der bis zum äußersten strapazierten Lüge vom Unrechtsstaat DDR.
Geht man davon aus, in welchem Maße heute Freund und Feind über die DDR sprechen oder herziehen, dann erweist sich die Kampagne gegen die Totgesagte als ein Schuß in den Ofen. Das gilt auch für den jüngsten Haßfeldzug im Zusammenhang mit der Thüringenwahl einschließlich der dabei geschossenen Selbsttore einiger Politiker. Man könnte bedenkenlos darüber hinweggehen und sagen: „Ach Gott, was haben diese Leute nur für Sorgen? Sollen sie sich doch um das Wohl der Thüringer kümmern, schließlich wurden sie ja dafür gewählt.“
Politisch anrüchig wurde die Sache, nachdem die Grünen mit einem Akt der Erpressung die Festschreibung der Floskel vom Unrechtsstaat in einem Koalitionspapier durchsetzen konnten, ohne auf Widerstand zu stoßen.
Übrigens trifft Grün hier im doppelten Sinne zu. Grünen-Sprecherin Anja Siegesmund war wirklich noch grün, als die DDR in den letzten Zügen lag. Wahrscheinlich ergibt sich daraus ihre besondere Sachkunde. Der damals Zwölfjährigen hat die DDR mit Sicherheit kein Unrecht zugefügt. Doch für den „Spiegel“-Reporter galt sie als sachkundige Zeitzeugin. „Hat die Erklärung zum Koalitionspapier praktische Folgen?“ wollte das Hamburger Blatt von der jungen Dame wissen. „Unbedingt“, antwortete Frau Siegesmund. „Es geht nicht nur um eine Unterschrift. Wir wollen etwa die wissenschaftliche Aufarbeitung der SED-Diktatur ausbauen, wobei es bei der SED nicht aufhören darf. Auch die Rolle der Blockparteien kommt in den Fokus.“
Na prächtig, dafür hat die grüne Nachwuchspolitikerin ja die allerbesten Voraussetzungen! Was für ein Übermaß an Selbstvertrauen!
Solange sich die Grünen um den Schutz der Kröten und Fledermäuse bemühen, tun sie etwas Nützliches. Doch bedauerlicherweise mangelt es ihnen an Erinnerungsvermögen. Offenbar haben viele inzwischen vergessen, daß ihr wandlungsfähiger Ex-Außenminister Joseph Fischer einst ein „zweites Auschwitz“ erfand, um die völkerrechtswidrige Teilnahme der BRD-Luftwaffe am Überfall auf Jugoslawien zu rechtfertigen. Der tausendfache Mord an Serben geht so auch auf das Konto eines damals grünen Politikers.
Wenn Aufarbeitung, dann bitte allseitig und ohne Einschränkungen! Das trifft auch auf Gabriels SPD zu, deren Außenminister Steinmeier bei der völkerrechtswidrigen Einmischung zum Sturz des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch und der Installierung faschistoider Kräfte in Kiew zu den Regisseuren gehörte.
Wer die SPD beurteilen will, muß deren Geschichte überblicken können: Viel Positives gehört dazu. Aufrechte Sozialdemokraten haben z. B. im April 1946 in der sowjetischen Besatzungszone, aus der später die DDR hervorging, die inzwischen geschmähte SED mit gegründet und deren Werden aktiv beeinflußt. Daß dies auf marxistischer Grundlage geschehen konnte, trug auch einem Beschluß Rechnung, den die SPD-Führung 1934 im Prager Exil gefaßt hatte. Zur Zeit der Vereinigung zählte Thüringens KPD rund 62 000 Genossen, während der SPD etwa 75 000 Genossen angehörten. Ich wurde 1950 in Apolda von einem früheren SPD-Funktionär, der auch mein Bürge war, für die SED geworben – ein völlig normaler Vorgang. Mit Otto Grotewohl, Otto Buchwitz, Friedrich Ebert, Erich Mückenberger standen viele Tausende, die aus der SPD kamen, für die SED und die DDR konsequent ein.
Man sollte nicht bei jedem unsachlichen Angriff auf unsere Geschichte gleich den Kopf einziehen und in falsches Schuldbewußtsein verfallen. In Berlin bekam die Partei Die Linke schon vor Jahren von den Wählern die Quittung für ihr Einknicken in wichtigen Fragen. Auch eine auf der Basis von Erpressung zusammengezimmerte Koalition in Thüringen dürfte letztlich ohne Perspektive sein.
Das antisozialistische Schmähwort „Unrechtsstaat DDR“ stößt übrigens im Osten keineswegs auf besondere Resonanz. 2014 ergab eine Befragung früherer DDR-Bürger, daß 70 % der Angesprochenen diesen verleumderischen Begriff für die DDR ablehnten.
Der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg Dr. Rautenberg schrieb dazu am 13. März 2013 in der Presseschau: „Obwohl auch ich schon die DDR so bezeichnet habe, werde ich weiterhin alle diejenigen in Schutz nehmen, die sich – wie mein derzeitiger Justizminister – in der wissenschaftlichen Diskussion weigern, dies zu tun. Denn der Begriff ‚Unrechtsstaat‘ ist anders als ‚Rechtsstaat‘ kein juristischer, sondern ein politischer Terminus. Zudem begünstigt eine derartige Wortwahl die Gleichsetzung der SED mit der NS-Diktatur, die sich allein wegen der nationalsozialistischen Massenmorde verbietet.“
Immer wieder muß die Gewaltenteilung – ein klassisches Prinzip der bürgerlichen Revolution – als Beweis für die Existenz eines Rechtsstaates herhalten. Die Dreiteilung in Legislative, Exekutive und Gerichtswesen ist aber schon längst eine dem Wahlvolk vorgegaukelte Illusion.
Das Parlament (Legislative) wird zunehmend durch Lobbyisten beherrscht, die im Auftrag von Interessengruppen die Weichen stellen und sogar die Gesetze vorgeben. Der Regierungsapparat (Exekutive) zerlegt sich nach amerikanischem Muster in ähnliche Einflußsphären und ist der Wählerkontrolle entzogen. Die jurisdiktive Gewalt erweist sich immer stärker als Zweiklassenjustiz. Und vor allem sollte die Macht der Medienoligarchen, die längst zur vierten Gewalt geworden ist, im Auge behalten werden. Sie vermag die drei anderen Gewalten auszuhebeln und schachmatt zu setzen.
In jedem Land der Welt gab und gibt es Unrecht. Kein Staat ist davon ausgenommen. Die Behauptung, die BRD sei ein rechtsstaatlicher Musterknabe, widerspricht der Realität. Dabei muß man gar nicht in die Vergangenheit schweifen. Auch heute gelten die Sicherheitsverwahrung, die Beugehaft, die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche mit Hilfe des Strafrechts und der strafprozessuale Ablaßhandel als normal.
Die Partei Die Linke sollte die DDR so sehen und bewerten, wie sie tatsächlich war: mit ihren Stärken und Schwächen. Die geschichtliche Deutungshoheit aber sollte man der Wahrheit verpflichteten Historikern, objektiven Zeitzeugen, Archiven und Museen sowie dem Nachlaß auch der DDR-Gerichte anvertrauen. Vor allem aber darf die Erinnerung an das Leben in der DDR nicht jenen ausgeliefert bleiben, die uns aus der Ferne – ohne auch nur einen Ziegelstein beim Aufbau des schwer zerstörten Landes bewegt zu haben – heute sagen wollen, wie wir hätten leben sollen.
Aus Sicht der Kapitalisten, denen die DDR in einem Drittel Deutschlands vier Jahrzehnte lang die politische Macht und das ausbeuterische Eigentum entzog, war der sozialistische deutsche Staat in der Tat durch und durch ein Unrechtsstaat. Für eine solche Bewertung aus dieser Klassensicht sollte man durchaus Verständnis haben.
Unser Autor war Präsident des Obersten Gerichts der DDR.
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