RotFuchs 211 – August 2015

Differenzierte Erfahrungen eines langjährigen SED-Mitglieds

Beim nächsten Anlauf machen wir es besser

Wolfgang Kulas

Oftmals frage ich mich, wie sich andere meinesgleichen im Nachdenken über unser heute als „Unrecht“ diffamiertes Tun fühlen. Mehr als ein Vierteljahrhundert nach der Niederlage des Sozialismus in Europa sollte man mit Abstand und Anstand über Redlichkeit und Offenheit, aber auch über Unvermögen, Karrierismus, geistige Öde, Feigheit und Verrat reden können.

Gewisse „heutige Kreise“ außerhalb unseres eigenen politischen Umfelds wollen den Anschein erwecken, als würden sie dies alles – mit welcher Berechtigung auch immer – „ganz locker“ sehen. Andere haben uns aus ihrer Sicht nicht grundlos schon immer als „Inkarnation des Bösen“ betrachtet.

Als ich 1967 in diese heute nicht nur von alten Gegnern als Hort allen Ungemachs auf deutschem Boden verteufelte SED eintrat, hatte ich nicht nur ein gutes, sondern ein sehr gutes Gefühl. Mehr als das: Diese Partei entsprach meinem Denken, Handeln und Empfinden. Und: Mich umgaben nicht wenige Gleichgesinnte - Genossen, Kollegen und andere DDR-Bürger, die das Engagement für einen zum Kapitalismus konträren gesellschaftspolitischen Versuch einte. In einem Drittel Deutschlands hatten wir der Monopolbourgeoisie, dem Finanzkapital und dem Junkertum als den Verursachern zweier schrecklicher Weltkriege die Grundlage ihres teuflischen Tuns entzogen. Das war die Basis für 40 Jahre Frieden auf unserem Kontinent. Selbst wenn die SED, die DDR und deren Bürger nur dazu beigetragen hätten, daß vier Jahrzehnte die Waffen schwiegen – allein das wäre Grund genug, sie dafür zu rühmen.

Natürlich verlaufen gesellschaftliche Entwicklungen niemals geradlinig, nur von Jubel, Glanz und Gloria begleitet. Das betraf auch die Geschichte unserer kleinen und doch so großartigen Deutschen Demokratischen Republik. Etliche Funktionäre in oberen Etagen der Partei sahen dabei Unsinnigkeiten, Hindernisse und Widersprüche in unserer Entwicklung nur allzugerne ausgeblendet. Auch wenn es diese ohne Zweifel gab, ändert das am Wesen der Sache wenig.

Verdammt uns denn der Klassenfeind etwa ob unseres selbstgemachten Widersinns?

Heute schmunzelt mancher darüber, daß die Partei damals der FDJ tatsächlich den Auftrag erteilte, das Einfallstor zur ideologischen Diversion – die auf den Westen gerichteten TV-Antennen – einfach umzudrehen oder gar abzusägen. Ja, es gab so etwas, und manche anderen Ereignisse, die dem Prestige der DDR wenig förderlich waren. Doch beim Aufbau einer völlig neuen Gesellschaft, in der nicht mehr der Profit, sondern Frieden, Wohlergehen aller und Humanismus den Maßstab bildeten, blieben auch gewisse Ungereimtheiten nicht ausgespart.

Worin aber lag der Sinn all dessen, was wir taten? Worin bestand er, als anstelle des den Egoismus fördernden Konkurrenzkampfes jeder gegen jeden nun zum sozialistischen Wettbewerb aufgerufen wurde? Was war der Sinn beim Bau neuer Kulturstätten anstelle gigantischer Einkaufstempel westlichen Stils? Worin lag er, als zahlreiche Bildungseinrichtungen aus dem Boden gestampft wurden, deren Nutzung nicht mehr vom Geldbeutel der Eltern abhängig war? Und was machte ihn aus, als es darum ging, Solidarität nicht nur zu predigen, sondern Tag für Tag aktiv zu leben … mit Staaten auf einem nichtkapitalistischen Weg, mit Völkern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas, die gerade erst dem Kolonialjoch entronnen waren oder mit den schon sehr früh vom Imperialismus überfallenen Völkern Koreas und Vietnams? Und vor allem mit dem sozialistischen Kuba!

Wem diente unsere Nationale Volksarmee – Streitkräfte des Friedens, die von bewährten Antifaschisten formiert und geführt worden waren?

Ist damit etwa schon alles aufgezählt, was uns so fundamental vom anderen deutschen Staat unterschied?

Bei der Entwicklung der DDR – von ihrer Gründung am 7. Oktober 1949 bis zu ihrer Zerschlagung durch die Konterrevolution – gab es ganz unterschiedliche Phasen mit ebenso unterschiedlichem Widerhall und Rückhalt in der Bevölkerung.

Die Gründungsetappe war vom Wiederaufbau und dem Konsens geprägt: Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus! Doch für die Verwüstung der Sowjetunion durch die Mordbrenner Hitlerdeutschlands waren jahrelang harte Reparationsleistungen zu erbringen.

Seit dem ersten Tag ihrer Existenz sah sich die DDR der erbitterten Feindschaft, dem Boykott seitens der BRD ausgesetzt. Das entschuldigt keine eigenen Fehlleistungen, erklärt aber, welchen harten und entbehrungsreichen Weg ihre Bürger beschritten. Wir erinnern uns an die Worte der damals bahnbrechenden Aktivistin Frieda Hockauf: „Wie wir heute arbeiten, so werden wir morgen leben!“

Ohne Zweifel gab es – nicht zuletzt durch massivste mediale Einwirkung aus dem Westen – unter Mitbürgern und damaligen Kollegen etliche Stimmen, die nicht gerade jubelnde Zustimmung zu allem bekundeten, was bei uns geschah. Nur ein Dummkopf kann sich darüber wundern!

Besonders in den ersten Jahren der DDR aber trug die von den Erfahrungen der Arbeiterbewegung und des antifaschistischen Widerstandes geprägte ideologische Tätigkeit der SED zur allmählichen Herausbildung eines sich festigenden Klassenstandpunktes und eines neuen Weltbildes vieler Menschen Entscheidendes bei. Das betraf keineswegs nur Genossen.

Der 13. August 1961 stellte eine Zäsur dar. Mit der schon bald danach einsetzenden spürbaren Verbesserung der Versorgungslage wuchs auch die Zustimmung der Bevölkerung zum Kurs der Partei. Die erfolgreiche Friedens- und Außenpolitik der DDR, die seit dem Ende der 60er Jahre zur weltweiten diplomatischen Anerkennung unseres Staates geführt hatte, trug auch innenpolitisch Früchte.

Nach dem VIII. Parteitag der SED, mit dem die Politik auf mehr Wohlstand und Lebensqualität ausgerichtet wurde, nahm ich zu meinem Erstaunen ein Anwachsen kritischer Stimmen und zunehmende Unzufriedenheit wahr. Ironisiert wurde jetzt Frieda Hockaufs erwähnter Ausspruch. „Wie wir heute leben, werden wir morgen – noch lange nicht – arbeiten“, hieß es nun.

Alle DDR-Bürger, einschließlich der Parteimitglieder, sammelten nun neue eigene Erfahrungen und sahen sich zuvor unbekannten Konfliktsituationen gegenüber.

Nochmals stelle ich die Frage: Verteufelte der Klassenfeind unseren Staat etwa wegen seiner Friedenspolitik und seines umfangreichen sozialpolitischen Programms? Das dürfte wohl auszuschließen sein! Und dennoch verfingen viele seiner „Argumente“.

Mir wurde all das besonders bewußt, als ich zeitweilig für politisches Wirken ein Gehalt bezog. Doch für mich gab es auch in dieser Phase kein Einknicken, selbst dann nicht, wenn ich bestimmte Funktionäre wissen ließ, einige ihrer Entscheidungen nicht mitzutragen. Anfänglich eher intuitiv, empfand ich nun eine wachsende innere Distanz, ja Entfremdung gegenüber der Politik und dem Verhalten von Funktionsträgern der Partei. Diese entstand nicht nur bei mir, sondern auch bei nicht wenigen Menschen, mit denen ich in Kontakt stand, was darauf hindeutete, daß eine allgemeine Unzufriedenheit nicht nur außer-, sondern auch innerhalb der Partei herrschte. Leider war es uns nicht gegeben, diese vom Grunde her zu erfassen und darauf zu reagieren.

Natürlich konnten die Entwicklungen in Europa und der Welt nicht spurlos an uns vorübergehen. Ob es den durch Churchill in seiner Fulton-Rede begrifflich erfundenen Eisernen Vorgang als wirkliche Abschottung gegeben hat, mag bezweifelt werden. Das unablässige Eindringen der maßgeblich zum Sieg der Konterrevolution bei uns und in den anderen sozialistischen Staaten Europas beitragenden ideologischen Diversion zeugt wohl eher vom Gegenteil. Wenn man es wissen wollte, konnte man sich – ob SED-Mitglied oder nicht – übrigens die meisten Fragen selbst beantworten, vorausgesetzt, die häufig zitierten Ideen von Marx, Engels und Lenin waren kein bloßes Lippenbekenntnis.

Bereits kurz nach dem Sieg der Konterrevolution zeigte sich mir in erschreckendem Maße, wie viele unserer vormaligen „Mitstreiter“ sich allzulange lediglich hinter mehr oder weniger klugen Parolen und blumigen Phrasen versteckt oder diese gar als Sprungbrett für die eigene Karriere benutzt hatten. Das wirft kein gutes Licht auf die Qualität unserer ideologischen Arbeit und – nicht weniger beschämend – auf die Ergebnisse unserer Kaderauswahl.

Schon Ende der 70er Jahre hatte ich erlebt, wie Vorteilssuche oder persönliche Machtambitionen sich als Kommunisten ausgebender Konjunkturritter unserem Anspruch und Selbstverständnis geschadet haben. Solche Karrieristen wenden ihr Fähnlein bekanntlich bei jedem Wetter. Sie waren folglich auch später dazu imstande, sich sehr schnell unter den siegreichen Konterrevolutionären wieder bequem einzurichten. Doch kehren wir zum Ausgangspunkt zurück: Die im Widerstand gegen den Faschismus mit einem hohen Blutzoll bezahlte Erfahrung von Sozialdemokraten und Kommunisten führte im April 1946 zum Zusammenschluß von KPD und SPD zur SED: Nie wieder getrennt marschieren! lautete damals das Gelöbnis der sich im Osten auf marxistischer Grundlage vereinigenden Parteien der deutschen Arbeiterklasse.

Und so fand etwas zusammen, was eigentlich schon immer zusammengehört hatte. Denken wir nur, was der Menschheit erspart geblieben wäre, hätte die deutsche Sozialdemokratie zu Beginn der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts nicht Thälmanns Angebot zur Aktionseinheit gegen den heraufziehenden Faschismus ausgeschlagen.

Immerhin: Die Deutsche Demokratische Republik bestand 40 Jahre. Wäre es nach den „Oberen“ der BRD gegangen, hätte sie nicht einmal einen Tag existiert!

Als Marxisten wissen wir seit den Zeiten des Kommunistischen Manifests, daß der Staat das Machtinstrument der jeweils herrschenden Klasse ist. In einem Drittel Deutschlands verwehrte die Arbeiterklasse mit ihrer Partei an der Spitze und im Bündnis mit den Bauern den in der BRD weiterhin am Ruder befindlichen politischen Interessenvertretern des Kapitals den Zugriff auf das gesellschaftlich organisierte Eigentum. Darin besteht der entscheidende Grund dafür, daß sie uns bis in alle Ewigkeit verteufeln, hassen und verdammen.

Also haben wir das zumindest gut gemacht. Beim nächsten Anlauf machen wir und die unseren Spuren Folgenden es besser!