Wo zum Tode Verurteilte noch immer
ans Kreuz geschlagen werden
Berliner Segen für Riads Henker
Im Reich König Abdullahs gilt die Scharia – das radikalislamistische Glaubens-Strafrecht. Wer in Saudi-Arabien – oftmals wegen eines Bagatelldelikts – zum Tode verurteilt wird, stirbt vor versammelter Mannschaft durch Enthauptung mit dem Schwert, kann aber auch durch „traditionellere Methoden der Exekution“ ins Jenseits befördert werden: durch Steinigung, Kreuzigung, Vierteilung oder Beerdigung bei lebendigem Leibe.
Die Delikte, die eine Scharia-Hinrichtung nach sich ziehen können, reichen von Kapitalverbrechen wie Mord und Raub über Vergewaltigung, bewaffneten Überfall und Drogenhandel bis zum Narkotika-Konsum. Das für die Einhaltung diesbezüglicher Normen sorgende „Komitee zur Förderung der Tugenden und zur Verhütung des Lasters“ hält es übrigens keineswegs für erforderlich, daß Beschuldigten ein Verteidiger zur Seite gestellt wird. Ein Verbot der „landesüblichen“ Folter Verdächtiger wird von ihm ebensowenig in Erwägung gezogen.
In diesem Frühjahr ereignete sich ein spektakulärer Vorfall: Der wegen der Entwendung eines Ringes zum Tode verurteilte Nasser Al-Qahtani, dessen Kreuzigung am 12. März stattfinden sollte, vermochte aus dem Gefängnis in Abha die US-Nachrichtenagentur AP anzurufen. Er habe bei dem vor vier Jahren erfolgten Überfall auf ein Juweliergeschäft keine Waffe besessen oder benutzt, sei aber unter der Folter zum Geständnis eines bewaffneten Raubes gebracht worden, stieß er einen verzweifelten Hilferuf aus. 2009 hatte ein Scharia-Gericht den damals 15jährigen und sieben Mitangeklagte, die einer kriminellen Bande angehört haben sollten, zum Tode verurteilt. Drei davon nur zur „milden Form“ der Erschießung.
Diese Hinrichtungsmethode solle fortan im Königreich Standard werden, da die bisherige Art der Exekution wegen des finanziellen Aufwandes für die Organisierung und Überwachung einer angemessenen Öffentlichkeit zu hohe Kosten verursache, berichtete die saudische Zeitung „Okaz“. Außerdem mangele es an „qualifiziertem Tötungspersonal“.
Saudi-Arabiens „prominentester Henker“ Saad Beshi äußerte im Jahre 2003 gegenüber der englischsprachigen Zeitung „Arab News“, er enthaupte am Tage mehr als zehn Delinquenten. Daher halte er sein Schwert ständig scharf, überlasse aber dessen Säuberung seinen Kindern. „Es überrascht, wie schnell ich den Kopf vom Rumpf trenne“, zitierte das Blatt den beamteten Massenmörder seiner Majestät.
Doch das Scharia-Gesetz läßt in bestimmten Fällen auch Gnade vor Recht ergehen. Betuchten Verurteilten gestattet es, der Hinrichtung durch Lösegeld zu entgehen. Dieses – als Diyya bezeichnet – wird von der Familie eines sonst Todgeweihten an die Staatskasse überwiesen. Eine Diyya kann bis zu 1 Million Dollar betragen. Für den der Kreuzigung überantworteten kleinen Ringdieb Nasser Al-Qahtani kam ein solcher Freikauf allerdings nicht in Frage.
Ali al-Ahmed, Direktor des Washingtoner Instituts für Angelegenheiten der Golfstaaten, äußerte sich in einem Schreiben an den Hohen Kommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen zu dem im erwähnten Juwelendiebstahls-Fall ergangenen Todesurteil. Grund für das harsche Strafmaß sei die Herkunft der Angeklagten aus dem Landessüden gewesen, dessen Bewohner in Saudi-Arabien generell als Bürger zweiter Klasse betrachtet würden.
Im Januar 2012 äußerte das für die Einhaltung der Menschenrechte zuständige UNO-Gremium seine Besorgnis über die weiter anwachsende Zahl von Hinrichtungen in dem mittelöstlichen Königreich. Während 2010 offiziell „nur“ 26 Menschen ins Jenseits befördert worden seien, belaufe sich die bekanntgegebene Zahl 2011 in Saudi-Arabien vollstreckter Todesurteile auf 76. Unter den Betroffenen befanden sich 3 Frauen und 11 ausländische Bürger. Der Fall einer 54jährigen indonesischen Hausangestellten, die in jenem Jahr wegen Ermordung ihres Brotherrn enthauptet wurde, erregte international Aufmerksamkeit. Sie hatte den Peiniger nach einer brutalen Vergewaltigung erstochen.
Menschenrechtsorganisationen berichten, daß derzeit 45 in Saudi-Arabien als Gastarbeiterinnen tätig gewesene Frauen aus Indonesien wegen verschiedener, oftmals geringfügiger Eigentumsdelikte von Hinrichtung bedroht seien.
Das mittelalterlich-feudale Land zählt zu den repressivsten Staaten der Welt, erfreut sich aber dessenungeachtet des besonderen Wohlwollens der USA und gilt als deren treuester Bündnispartner in der Region – nicht zuletzt auch wegen seiner üblen Rolle bei der indirekten Aggression gegen das Syrien Präsident Assads.
Die politisch-moralische Doppelzüngigkeit des Westens manifestiert sich überdies in der „verläßlichen Partnerschaft“ der BRD mit dem Regime König Abdullahs. Ein führender Außenpolitiker der CDU/CSU-Fraktion würdigte „die Bedeutung Riads für die deutsche Mittel-Ost-Politik“.
In einer Bundestagsdebatte über die Ausweitung des seit etlichen Jahren betriebenen lukrativen Waffenexports bundesdeutscher Rüstungskonzerne nach Saudi-Arabien durch Lieferung von Boxer-Radpanzern war seitens der christdemokratisch geführten Merkel-Regierung kein Protest gegen die anhaltenden Kreuzigungen in Saudi-Arabien zu vernehmen.
RF, gestützt auf „Prawda“, Moskau, und „The New Worker“, London
Nachricht 1988 von 2043