Makabre Gefühlsausbrüche des Schloßherrn von Bellevue
„Betroffenheit“ eines Nichtbetroffenen
Eines beherrscht der ehemalige Pastor und heutige Bundespräsident wirklich aus dem Effeff: Er kann zu den verschiedensten Themen eine verblüffende persönliche Betroffenheit zur Schau stellen, die den eher naiv veranlagten oder durch die Medien abgerichteten Teil der Deutschen anbetungsvoll zu ihm aufschauen läßt. Jene aber, welche sich auf politischem Terrain besser auskennen, oder auch Bürger, denen die unfrisierte Biographie des BRD-Staatsoberhauptes bekannt ist, dürften auf ein solches Gehabe des Schloßherrn von Bellevue eher anders reagieren. Erinnert sei hier an Gaucks hochnotpeinliches Zusammentreffen mit Angehörigen der Opfer der Zwickauer NSU-Zelle, als er einmal mehr bühnenreife Krokodilstränen vergoß. Es war indes von ihm kein Wort darüber zu vernehmen, daß die durch ihn an oberster Stelle repräsentierte BRD widerstandslos zum Schauplatz von zehn (!) aufeinanderfolgenden Morden eines ausländerfeindlichen rechten Terrortrios werden konnte. Das einzige, was man von Gauck vernahm, war sein nebulöses Versprechen „umfassender Aufklärung“. Doch wer soll dieses betreiben? Etwa jene Behörden, welche schon während des mehrjährigen Terrorfeldzuges der NSU das Wegsehen geübt hatten?
Tiefe Erschütterung demonstrierte der Bundespräsident auch bei seinem Besuch im französischen Oradour-sur-Glâne. Das 200 Kilometer nordöstlich von Bordeaux gelegene Dorf erlangte im Juni 1944 gespenstische Bekanntheit, als seine Bevölkerung im Zuge eines SS-Blutbades fast vollständig ausgerottet wurde. An der Stätte des Verbrechens verwies Gauck auf die „große Schuld, die Deutsche hier auf sich geladen haben“. Er vergaß allerdings die Tatsache zu erwähnen, daß er ein Land repräsentierte, das bei seiner Gründung im Mai 1949 besonderen Wert darauf gelegt hatte, Rechtsnachfolger des faschistischen 3. Reiches zu sein. Zwielichtig gab sich Gauck gegenüber seinen französischen Zuhörern mit der Bemerkung: „Geblieben ist bis heute auch die Frage nach der individuellen Schuld der einzelnen Täter an Orten wie Oradour. Es waren Täter aus der Mitte des Volkes – mit Namen und Gesicht … Neuerdings wird wieder ermittelt und zwar gegen Personen, die sich an dem Massaker beteiligt haben sollen. Dem Ergebnis der Staatsanwaltschaft Dortmund möchte ich nicht vorgreifen.“ Und das war auch gut so, dürften doch die ins Auge gefaßten Tatverdächtigen heute wohl um die 90 Jahre alt sein. Ein Prozeß würde also mit hoher Wahrscheinlichkeit an ihrer Verhandlungsunfähigkeit scheitern und so zu einer noch größeren Farce als das Hornberger Schießen vor dem Münchner Oberlandesgericht werden.
Einen der größten verbalen Fehltritte leistete sich der Bundespräsident mit seiner Äußerung zur Reichspogromnacht. Auch in schlechten Zeiten habe man immer die Wahl, das Richtige zu tun und seinem Gewissen zu folgen, verkündete er. Doch nach derart wegweisenden Worten müssen wohl oder übel ein paar Fragen gestattet sein: Herr Gauck, warum ist Ihre Mutter (NSDAP-Mitglied seit 1932) eigentlich nicht ihrem Gewissen gefolgt? Warum hat Ihr Vater (NSDAP-Mitglied seit 1934) nicht das Richtige getan? Und warum hat Ihr großes Vorbild, Onkel Gerhard Schmitt, der sich bereits 1931 der Hitlerpartei anschloß, als hoher SA-Führer Karriere gemacht? Besaß auch er keinen Blick für das Richtige und kein Gewissen? Natürlich kann niemand für das Handeln seiner Eltern und Verwandten haftbar gemacht werden – aber distanzieren sollte man sich doch wenigstens.
Herr Gauck weiß nur allzugut, daß einflußreiche Strippenzieher wie die Medien-Dompteuse Friede Springer Bundespräsidenten nicht nur ins Amt hieven, sondern auch aus diesem vertreiben. Die Entlassung der Gauckschen Amtsvorgänger Horst Köhler und Christian Wulff hat bewiesen, daß dem kostenfreien Wohnen im Schloß Bellevue plötzlich die Kündigung folgen kann. Köhler hatte über wirtschaftliche Kriegsziele der BRD in Afghanistan geplaudert, Wulff mahnte in seiner Lindauer Rede an, daß sich das BRD-System in ernste Gefahr begebe, laufe im Kapitalismus alles so weiter wie bisher. Zwei Vorgänge, deren Ahndung zeigt, wie eng der Rahmen der Meinungsfreiheit in der BRD selbst für Staatsoberhäupter ist.
Aus dem Munde des derzeitigen Bundespräsidenten dürften derart eigenständige Äußerungen indes wohl kaum zu erwarten sein. Dem Ex-Pastor ist durchaus bewußt, daß ihn die aktive Parteinahme seiner Familie für den Hitlerfaschismus ebenso verwundbar macht wie die Tatsache, daß er mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR scheinbar ganz gut zurechtgekommen ist. Im Konfliktfalle bekäme er auch keinen Bonus dafür, daß er im konterrevolutionären Herbst 1989 gerade noch rechtzeitig die Fronten wechselte, um anschließend als Herr über die „Stasi“-Akten zum Großinquisitor aufzusteigen.
Bei der Münchner Wehrkundetagung hat Herr Gauck den Spagat zwischen maskenhafter Friedensheuchelei und bellizistischem Säbelgerassel in großdeutschem Stil versucht. Er begab sich damit auf dünnes Eis.
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