Bombe im Hinterkopf
Die Diskussion über eine europäische Nuklearstreitmacht hält an. „Die laufende Debatte um die Rolle von Nuklearwaffen auf Seiten Rußlands und der NATO erlaubt es nicht mehr, sich einer Debatte über das Für und Wider nuklearer Abschreckung zu verschließen“, heißt es in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Internationale Politik“. „Im Sinne des deutschen Doppelansatzes von Abschreckung und Dialog“, orakelt düster das Blatt, die führende Außenpolitikzeitschrift des deutschen Establishments, „sollte Berlin eine angemessene Abschreckung mit einer realistischen Rüstungskontrolle flankieren.“ Aber was genau soll „angemessene Abschreckung“ heißen?
„In den kommenden Jahren“ kämen „außen- und sicherheitspolitische Fragen auf Deutschland zu“, von denen man „heute noch nicht einmal zu träumen“ wage, hatte – kaum weniger erhellend – Mitte Februar Jan Techau von der American Academy in Berlin geraunt. So müsse man fragen, wie „nukleare Erpreßbarkeit verhindert werden“ könne, wenn die USA Europa nicht mehr mit ihrem „Nuklearschirm“ schützten. „Ist genug Vertrauen im europäischen politischen Markt, um sich ganz auf Frankreich zu verlassen?“, überlegte Techau, ein ehemaliger PR-Spezialist der Bundeswehr: „Wie soll sich ein Land mit einem großen Hunger nach moralischer Klarheit“ – damit war Deutschland gemeint – „abfinden mit jener Waffe, die es als die unmoralischste von allen ansieht?“ War das nun ein Hinweis auf eine etwaige deutsche Bombe?
Was bedeuten all die eiernden Formulierungen, die nebligen Phrasen? Techau hat das kürzlich im „Deutschlandfunk“ etwas näher erläutert. „Es wird Ihnen keiner offiziell bestätigen“, erklärte er, daß über vergemeinschaftete EU- oder gar deutsche Atomwaffen „wirklich richtig diskutiert wird“. Techau fuhr fort: „Aber natürlich ist das etwas, was besprochen wird.“ Keiner schreibe das in offizielle Papiere hinein. „Aber wer sich mit strategischen Fragen befaßt, der denkt über diese Dinge nach.“ Und wenn die öffentliche Debatte sich auch in wabernden Begriffen bewege: Daß sie geführt werde „zeigt, daß unter der Oberfläche doch schon einiges in Bewegung ist“. Man denkt in Berlin ernsthaft über sie nach, die „europäische“ oder gar deutsche Bombe.
„junge Welt“, 7. März 2017
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