Wie die BRD anderen Ländern deren Experten entzieht
„Brain-Drain“ heißt Raub der Talente
In einem der reichsten Länder der Welt, das sich als Führungsmacht der Europäischen Union empfindet, besitzen mehr als 2,2 Millionen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren – über 15 % dieser Altersgruppe – keine Berufsausbildung. Auf dem sogenannten Bildungsgipfel von Kabinett und Wirtschaftsbossen im Oktober 2008 war hoch und heilig versprochen worden, diese Quote bis 2015 zu halbieren. Das erwies sich als Flop, wie in einer DGB-Studie am 25. Januar 2013 festgestellt wurde.
Statistiken verschleiern die tatsächliche Situation. So werden 250 000 Jugendliche überhaupt nicht aufgeführt. Mehr als 167 000 Heranwachsende versteckt man in „Übergangssystemen“ – einem Fächer verschiedener Maßnahmen des Arbeitsamtes. Weitere 90 000 Jugendliche sind auf mysteriöse Weise aus den Statistiken verschwunden, darunter vor allem Kinder von Zuwanderern oder junge Leute, die im „Übergangssystem“ keine weiteren Ehrenrunden mehr drehen wollen.
Um so mehr wirkt die Tatsache irritierend, daß Industrie, Landwirtschaft, Handwerk, Gewerbe, Gesundheitswesen und andere Bereiche der BRD verzweifelt nach qualifizierten Fachkräften rufen. Im Mai 2012 beklagten ihre Verbände und Gremien das Fehlen von 210 000 Mathematikern, Informatikern, Naturwissenschaftlern und Technikern. Besonders Ingenieure werden händeringend gesucht. Aber auch bei einfacheren Tätigkeiten mangelt es an Fachkräften. Das betrifft insbesondere die Bereiche Energietechnik sowie Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik. Auch der Bedarf an Lokomotivführern kann nicht gedeckt werden. Seit vielen Jahren gibt es im BRD-Gesundheitswesen ein Defizit an Pflegefachkräften und Ärzten.
Die BRD wäre indes keine imperialistische Führungsmacht in Europa, wenn sie nicht nach Auswegen auf Kosten anderer suchen würde. Die kapitalistische Systemkrise, die sich auf unserem Kontinent besonders auch in der Instabilität des Euro manifestiert, hat in Griechenland, Spanien, Portugal und anderen EU-Staaten Millionen Fachkräfte „freigesetzt“. Die Arbeitslosigkeit zwingt sie dazu, ihre Heimatländer zu verlassen. Das Recht auf Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit gestattet es ihnen, in die BRD einzuwandern, um dort Arbeit zu suchen. Zusätzlich bemüht sich Berlin um die Zuwanderung hochqualifizierter Fachleute aus Nicht-EU-Ländern durch gezielte Abwerbung. Auf dieser Strecke ist die BRD ja seit ihren jahrzehntelangen Bestrebungen, DDR-Personal in den Westen zu locken, enorm erfahren.
Am 1. August 2012 wurde die „Blaue Karte EU“ eingeführt, die auf Zuwanderung von Spezialisten aus Drittländern zielt. In den ersten sechs Monaten nach deren Einführung wurden 4126 solcher Karten durch BRD-Stellen ausgegeben. Als Hauptherkunftsländer der Angeworbenen wurden u. a. Indien, China und Rußland genannt.
„Wir bekommen damit hochqualifizierte Fachkräfte aus der ganzen Welt nach Deutschland und können dem Fachkräftemangel hierzulande entgegenwirken“, triumphierte Innenminister Friedrich (CSU). In Wahrheit handelt es sich um eine besonders perfide Form der personellen Ausplünderung meist schwächerer Länder. Der englische Begriff dafür lautet „Brain-Drain“, was soviel wie Abzug oder Raub von Talenten bedeutet. 2012 zogen 1,081 Millionen Menschen in die BRD, während 712 000 sie verließen. Dabei stiegen die Einwanderungszahlen aus den Euro-Krisenstaaten Spanien, Portugal, Griechenland und Italien um 40 bis 45 %. Die meisten Zuwanderer stammten jedoch aus den wirtschaftlich zugrunde gerichteten früher sozialistischen Staaten Polen, Rumänien, Ungarn und Bulgarien.
Die An- und Abwerbung von Spezialisten und Fachkräften erspart deren Drahtziehern eigene Ausbildungskosten und verschafft ihnen somit unlautere Wettbewerbsvorteile.
Natürlich bleibt diese Politik nicht ohne negative Wirkungen auf die nationalen Arbeitsmärkte. Der massenhafte Einsatz von Ausländern verschärft zugleich den Druck auf die einheimischen Werktätigen, während die Herkunftsländer langfristig geschwächt werden. Das Ganze ist ein Teufelskreis.
Angesichts des nach wie vor bestehenden Ausbildungs- und Fachkräftemangels in der BRD verkündete Heinrich Alt vom Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, Hartz-IV-Empfänger zwischen 25 und 34 Jahren sollten eine „zweite Chance“ bekommen. Dabei geht es um etwa 100 000 junge Männer und Frauen – ein Tropfen auf den heißen Stein, mißt man die Ziffer an der Gesamtzahl der Ausgeschlossenen.
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