Wie Matrosen der Volksmarine einen Hamburger Piloten retteten
Bruchlandung vor dem Fehmarnbelt
September 1963. Wieder einmal ankerte die „Rostock“ – unser Minenleg- und Räumschiff vom Typ Krake – vor dem Fehmarnbelt. Luft- und Seeraum-Beobachtung war angesagt.
Zwei Jahre nach Errichtung der Berliner Mauer spitzte sich der Kalte Krieg immer mehr zu. Angesichts ständiger gefährlicher Annäherungen von Schnellbooten oder Überflügen von Marinefliegern der „anderen Seite“ galt es für mich als den Kommandanten, keine falschen Entscheidungen zu fällen, Ruhe zu bewahren und keinen bewaffneten Konflikt auszulösen.
Einige Meilen von uns lagen drei Minensucher der Bundesmarine. An diesem Tag hatten uns bereits mehrere Frachter passiert. Die meisten von ihnen dippten höflich zum Gruß ihre Flaggen, wie es seemännischer Brauch ist. Gegen Mittag näherte sich aus östlicher Richtung eine Maschine „Sportflugzeug BRD!“ meldete der Signalgast. Es umkreiste im Tiefflug unser Schiff. Zu meiner Verblüffung setzte es bei einer zweiten Umrundung zur Wasserung an. Da die See recht bewegt war, sah ich schon eine Katastrophe kommen, löste Manöveralarm aus und ließ vorsorglich den Anker hieven. Tatsächlich senkte sich das Flugzeug behutsam auf die Wasseroberfläche. Es spritzte mächtig, der Motor setzte aus, der Propeller verharrte, und das kleine Sportflugzeug tanzte auf den Wellen. Es lag etwa drei bis vier Kabellängen von uns entfernt. Dann öffnete sich die Kanzel, eine Person stieg eilig aus, kletterte auf die Tragfläche und begann heftig zu uns herüberzuwinken.
Was tun? Ich schaute noch einmal zu den drei BRD-Minensuchern hinüber. Dort tat sich nichts, obwohl sie ja mitbekommen haben mußten, daß hier ein Flugzeug in Seenot geraten war.
„Schlauchboot aussetzen!“ befahl ich kurz entschlossen. Der Oberbootsmann und ein Matrose sprangen hinein und paddelten auf das Flugzeug zu. Schließlich gelang es dem Piloten, in das auf den Wellen tanzende Schlauchboot zu steigen. Inzwischen hatte sich unser Schiff näher in Richtung Flugzeug manövriert. Der Pilot konnte ohne größere Probleme an Bord gezogen werden. Er zitterte und seine durchnäßte Kleidung roch stark nach Benzin.
Ich übergab dem Gehilfen des Kommandanten die Schiffsführung, ging sofort in meine Kammer, nahm Unterwäsche aus dem Spind – Socken, Bordschuhe, ein blaues Uniformhemd und einen Bordanzug blau –, entfernte die Schulterstücke und begab mich zum Waschraum, wo ich die Sachen dem Piloten überreichte. Der Smutje bekam den Auftrag, heißen Kaffee und einen kleinen Imbiß in meine Kammer zu bringen. Nach kurzer Zeit betrat der frisch gewaschene und neu eingekleidete Flugzeugführer meine Kajüte. Er bedankte sich wortreich für seine Rettung und erklärte, auf dem angedachten Flug nach Bornholm sei auf der Höhe der Insel Hiddensee in der Benzinleitung seiner Maschine ein Riß entstanden, was ihn sofort auf Gegenkurs habe gehen lassen. In Höhe von Gedser seien seine Ängste immer größer geworden, da die Gefahr bestanden habe, daß sich der Treibstoff an den heißen Motorteilen entzünden könnte. Ihm wurde klar, daß eine Notlandung auf dem Wasser unumgänglich war. Mit Freude habe er dann ein vor Anker liegendes Schiff entdeckt und beschlossen, in dessen Nähe die Wasserlandung zu riskieren. Der Pilot – es handelte sich um Dr. med. Gehrke aus Hamburg – fragte, wie er denn nun nach Hause gebracht werden könnte.
Ich erwiderte mit einer Frage: Ob er wisse, daß er sich auf einem DDR-Schiff befinde. Er sah mich verblüfft an. Das war ihm wohl bei aller Brisanz des Geschehens nicht aufgefallen. „Ich kann Sie nur in Warnemünde an Land setzen“, sagte ich. Er überlegte kurz und ließ mich wissen: „Na, wenn es nicht anders geht, dann soll es so sein.“ Das Flugzeug schwamm immer noch achteraus von uns auf dem Wasser. Ich erklärte Dr. Gehrke, daß eine Anbordnahme auf Grund der Ausmaße unseres Achterdecks nicht möglich sei und das Flugzeug bei einer In-Schleppnahme mit Sicherheit durch den Seegang zerstört würde. „Hauptsache, Sie bergen die Pilotenkanzel und den Motor mit der teuren Navigationsausrüstung und das Funkgerät“, erwiderte er.
Noch immer regte sich westlicherseits nichts. Kein Minensucher, kein Schnellboot, kein Jagdbomber der Bundesmarine war in Sicht. Da ließ ich die Krake mit kleiner Fahrt auf das Flugzeug zulaufen. Als wir nahe genug heran waren, brachte das Schlauchbootkommando einige Stropps und unsere Schleppleine zum Flugzeug, und der Oberbootsmann schaffte es, den Schlepphaken schließlich am Rumpf des Fliegers zu befestigen.
Dann gab es, bedingt durch den Seegang, nur noch ein Brechen. Beide Tragflächen scherten ab und versanken in der Ostsee, der Rumpf holperte auf das Achterdeck. Durch die Schräglage und den Seegang hielt aber das noch im Wasser befindliche Heckteil des Flugzeuges nicht stand, brach ab und versank ebenfalls.
Nun erst ließ ich den längst fälligen Funkspruch an den OP-Dienst in Warnemünde absetzen: „Erbitte Einlaufgenehmigung! Habe Flugzeug an Bord.“ Ich sollte den Spruch noch einmal wiederholen, ersuchte mich der OP-Dienst. Ich tat es und fügte hinzu: „Pilot BRD-Bürger!“
„Einlaufgenehmigung erteilt, Festmachen am Tonnenhof Seehydrographischer Dienst“, lautete schließlich die Antwort.
In der folgenden knappen Stunde konnte ich mich mit Dr. Gehrke in der Messe entspannt unterhalten. Urlauber und Einheimische auf der Mole von Warnemünde staunten nicht schlecht, als unser Schiff mit den kläglichen Resten eines Flugzeugs in Seekanal einlief. Am Tonnenkai hatten sich Stabschef, Brigadechef, Politchef, Abwehroffiziere und der Flottillenarzt eingefunden. Ich verabschiedete mich von Dr. Gehrke an der Stelling mit einem Gefühl der Erleichterung. Er bedankte sich noch einmal dafür, daß wir ihm das Leben gerettet hatten, und bestimmte, daß unsere Besatzung den Propeller als Souvenir behalten dürfe. Mutig betrat er den Boden der DDR.
Wie ich erfuhr, wurde die Angelegenheit von den zuständigen Behörden in aller Stille und ohne Presse korrekt abgewickelt. Dr. Gehrke konnte schon nach wenigen Auskunftsgesprächen mit dem Interzonenzug nach Hamburg ausreisen.
Der Propeller schmückte von nun an unsere Messe.
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