Bruno Kaiser – ein Leben für die Bücher
Vor 35 Jahren starb in Berlin Bruno Kaiser. Mit der Wiederveröffentlichung des seinerzeit in der „Deutschen Volkszeitung“ publizierten Nachrufs erinnern wir an den Bibliothekar und Bücherfreund.
Wir in der Schweiz haben viele Gründe, seiner zu gedenken. Ich selbst habe einen Freund verloren, mit dem ich die Leidenschaft für das Buch teilte, und der wie ich, wenn auch auf andere Weise, die Bücher, ihre Sammlung und Verbreitung als Mittel der Gesellschaftsänderung, des Kampfes um den Sozialismus handhabte und erlebte.
Bruno Kaiser wurde in Berlin unweit seiner späteren wichtigsten Wirkungsstätte, des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK des SED (IML), geboren. Damals allerdings, 1911, gab es keine solche wissenschaftliche Bibliothek des Marxismus, auch wenn bereits die deutsche Sozialdemokratie ihre große Bibliothek und ihr Archiv eingerichtet hatte.
Der aus bürgerlichen Kreisen stammende Bruno wurde ein fortschrittlicher Journalist und mußte nach der Machtübernahme der Nazis emigrieren. Die wichtigste Station seiner Emigration war die Schweiz. Ich hörte von ihm zum ersten Mal, als er mir aus einem Emigrantenlager im Jura während des Krieges schrieb und um einige Bücher bat, und auch, als die unvergessene Selma Steinberg, mit ihrer Schwester Verlegerin vieler Bücher, die nicht in Deutschland erscheinen durften, mich aufgefordert hatte, ein Bücherpaket in dieses Lager zu schicken.
Bruno, mit gründlicher literarischer Bildung versehen, hatte schon früh seine Liebe zu den Dichtern des Vormärz und der Revolution 1848/49 entdeckt. So ergab es sich fast von selbst, daß er im Lande, in dem Georg Herwegh, der Dichter dieser Revolution, der in Liestal im damals revolutionären Kanton Basel-Land als Ehrenbürger begraben ist, sich besonders um diesen Dichter bemühte. Er fand seinen Nachlaß und setzte es durch, seine Emigrantenbeschäftigung aus dem Lager nach Liestal zu verlegen. Die dortigen Behörden gaben ihm die Möglichkeit, am
7. Juli 1946 nach langer Arbeit das Herwegh-Museum zu eröffnen. Er besuchte es immer wieder und ordnete es vor einigen Jahren neu. 1944 veröffentlichte er eine Abhandlung über die Schicksale der Bibliothek Herweghs in den Nachrichten der Vereinigung schweizerischer Bibliothekare. In der DDR wurde Bruno Kaiser später der Herausgeber der Akademie-Ausgabe der Werke Georg Herweghs.
1945, anläßlich des 50. Todestages von Friedrich Engels, gestaltete Bruno Kaiser mit bescheidensten Mitteln für das Schweizerische Sozialarchiv eine Engels-Gedenkausstellung. Entdeckungen durch Reprints, Abhandlungen oder Hinweise den jüngeren Generationen wieder zugänglich zu machen, war immer ein Hauptanliegen Bruno Kaisers. Aus diesem Bemühen heraus entstanden seine Auswahlbände und Anthologien, wie auch die erste Gesamtausgabe der Werke des ersten bedeutenden Dichters der Arbeiterbewegung, Georg Weerth (Aufbau-Verlag 1956/57). Bruno Kaisers Liebe zu den Büchern war vielseitig und seine mit Begeisterung und fanatischem Eifer gesammelte Bibliothek, die nach seinem Willen der Allgemeinheit hinterlassen wurde (Staatsbibliothek, Berlin), ist der beste Beweis dafür. Er verfaßte viele Abhandlungen über Kinderbücher und über Satirika des 19. Jahrhunderts, denen er Auswahlbände widmete.
Diese Herausgebertätigkeit begann in der Schweiz. In der Schriftenreihe „Erbe und Gegenwart“, die Konrad Farner herausgegeben hatte, erschien 1945 unter dem Patronat der Bewegung „Freies Deutschland“ „Das Wort der Verfolgten“. Es waren Gedichte. Prosa, Briefe und Aufrufe deutscher Flüchtlinge von Heine und Herwegh bis Brecht und Thomas Mann. Im Nachruf von Werner Müller im „Neuen Deutschland“ (29. Januar 1982) heißt es: „Die erste Begegnung mit Bruno Kaiser war für uns junge wißbegierige Menschen nach 1945 jene Anthologie ,Das Wort der Verfolgten‘.“ Sie hatte in der Neuauflage in Berlin tatsächlich viele zum ersten Mal nach der faschistischen zwölfjährigen Nacht mit den deutschen Dichtern der Revolution und des Sozialismus bekannt gemacht. Immer wieder hat Bruno Kaiser eine solche Vermittlung fertiggebracht. Nach seiner Rückkehr nach Berlin wurde er Mitarbeiter der öffentlichen wissenschaftlichen Bibliothek (der späteren Staatsbibliothek der DDR), bis er im März 1949 mit dem Aufbau der Bibliothek des heutigen IML beauftragt wurde. Das war damals eine Riesenaufgabe. Ich erinnere mich noch an die Bücherhaufen, die er von überallher in das Gebäude des Reichstagspräsidenten, das das Institut zuerst beherbergte, zusammengebracht hatte. Damals begann meine Mithilfe am Aufbau dieser Bibliothek, was mir durch meine berufliche Arbeit, dem Büchersuchdienst, erfolgreich möglich war. Als die Bibliothek schon stand, gelang es auch Bruno, mich zu überzeugen, aus meiner eigenen Sammlung die in Zürich verfaßte Dissertation Rosa Luxemburgs „Die industrielle Entwicklung Polens“ dem Institut zu überlassen.
In der Festschrift zum 70. Geburtstag Bruno Kaisers haben die Genossen vom IML ausführlich die große Leistung Brunos nicht nur beim Aufbau der Bibliothek, sondern auch bei der Heranziehung junger Bibliotheksmitarbeiter und der Entdeckung verschollener Briefe und Dokumente gewürdigt. Ich selbst konnte mit ihm in seiner 25jährigen Bibliothekstätigkeit immer wieder zusammenarbeiten nicht nur im Doublettentausch, sondern auch in vieler Hinsicht bei der Beschaffung von wichtigen Büchern und Dokumenten und im Austausch von wissenschaftlichen Informationen. Diese Zusammenarbeit wird auch heute noch von seinen Nachfolgern und hoffentlich noch lange Zeit zwischen dem IML und der Studienbibliothek in Zürich fortgesetzt.
Die Bibliophilie – die Bücherliebhaberei – hat auch in der DDR ihren Platz gefunden. Keineswegs aber nur als exklusive Sammlerleidenschaft wohlhabender Leute. Sie findet breites Echo in der großen Zahl der Leser, was die hohen Auflagen der schön gestalteten Bücher der DDR-Verlage beweisen. Bruno Kaiser war Initiator und langjähriger Vorsitzender der Jury bei der Auswahl der schönsten Bücher. Nicht nur schöngeistige, sondern auch wissenschaftliche und technische Werke wurden von dem Gremium unter dem Vorsitz Bruno Kaisers jeweils auf der Leipziger Messe ausgezeichnet. Auch die Gründung und Leitung der bibliophilen Vereinigung der DDR, die sich nach dem berühmten Nürnberger Bibliophilen Pirckheimer-Gesellschaft nennt (und bis heute besteht, RF), gehört zu den wichtigen Aktivitäten Bruno Kaisers. In der Zeitschrift der Pirckheimer-Gesellschaft „Marginalien“ finden wir viele Beiträge von ihm. Er war, wie seine Freunde und Mitgründer Horst Kunze, Jürgen Kuczynski und Werner Klemke ihn bezeichneten, „der Bibliophile Nr. 1“.
Sozialistische Bibliophilie bedeutete aber für Bruno Kaiser, das bewies sein Leben und Wirken, die Bücher in höchster Qualität in Inhalt und Ausstattung unter die Menschen zu bringen, die ohne Ausbeutung in Frieden und Freiheit ein schöpferisches Leben führen wollen.
gekürzt aus „DVZ“, 25. Februar 1982
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