RotFuchs 206 – März 2015

Zentralbank der Volksrepublik hält Devisenreserven
von knapp vier Billionen Dollar

China – größter Gläubiger der USA

Lucas Zeise

Mitte dieses Jahres erreichten die von der Zentralbank Chinas gehaltenen Devisenreserven knapp vier Billionen (also 4.000.000.000.000) Dollar. Fünf Jahre zuvor war die Summe noch halb so groß. Der Währungsschatz der Volksbank Chinas, wie die Zentralbank offiziell heißt, ist der bei weitem größte Schatz an Vermögenswerten, der von irgendeinem Staat dieser Erde gehalten wird. Die nach China größten Devisenreserven halten derzeit nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) Japan (1,25 Bill. $), Saudi-Arabien (733 Mrd. $), die Schweiz (521 Mrd. $) und Rußland (432 Mrd. $).

Die Volksbank Chinas macht selbst keine Angaben, in welcher Form und welchen Währungen die Reserven gehalten werden. Noch vor zehn Jahren bestand der weitaus überwiegende Teil der Reserven aus auf Dollar lautenden Staatsanleihen der USA. Das US-Finanzministerium seinerseits gibt an, daß die Zentralbank Chinas Ende vergangenen Jahres US-Staatsanleihen im Wert von 1,22 Bill. Dollar hielt und damit der größte Einzelgläubiger der USA war.

Wie kommt es zu diesen merkwürdigen Verhältnissen? Warum wird das noch immer bei weitem mächtigste und reichste Land der Erde – die Vereinigten Staaten – zu einem erheblichen Teil von einem immer noch relativ armen Land finanziert, das bis vor kurzer Zeit noch als Entwicklungsland bezeichnet wurde? Einem Land, das von einer dem Namen nach kommunistischen Partei geführt wird und das von den USA selbst als größte potentielle Bedrohung für ihren Status als imperialistische Hauptmacht angesehen wird? Wie kommt es, daß China überhaupt in dieser Größenordnung Kapitalexport betreibt und sich damit geradezu klassisch als imperialistische Macht qualifiziert?

In den Monopolkapitalismus katapultiert

Die ganz allgemeine Antwort auf diese Fragen besteht in der Feststellung, daß der Prozeß der globalen Vergesellschaftung der Arbeit das bevölkerungsreichste Land der Erde in einer historisch kurzen Zeit von etwa 30 Jahren erfaßt hat. Dieses Land wurde so von einer gerade erst beginnenden sozialistischen Entwicklung in einen vom Monopolkapitalismus geprägten Entwicklungsstand katapultiert, der es dank seiner Größe zum natürlichen Konkurrenten um die Vorherrschaft innerhalb des imperialistischen Weltsystems macht. Eine so gewaltige Akkumulation von Kapital hat noch nie zuvor so schnell stattgefunden. Noch nie zuvor ist eine Bourgeoisie so schnell zu solch ökonomischer Größe und Mächtigkeit angewachsen.

Damit dieser wahrhaft große Sprung möglich wurde, waren bestimmte Voraussetzungen in China selbst nötig. Es waren aber auch Voraussetzungen in der Entwicklung des Weltkapitalismus nötig. Zu letzterem gehörten der Aufbau eines überdimensionierten Finanzsektors in der Weltwirtschaft und die Fähigkeit und die Bereitschaft der USA – des wirtschaftlich mächtigsten Landes auf dem Globus – sich zu verschulden.

Die bei der Volksbank Chinas angehäuften riesigen Dollarbeträge sind Ausdruck dafür, daß die USA und China in den letzten zwei Jahrzehnten in einem engen symbiotischen Verhältnis zueinander standen. Die finanziellen Zuwendungen – nichts anderes geschieht beim Kauf einer Staatsanleihe – des Schwachen an den Starken hatten und haben nicht etwa den Charakter von Tributzahlungen. Vielmehr dienten die USA dem Herausforderer als Absatzmarkt. Dank der stetig wachsenden Nachfrage nach Konsumgütern in den USA konnte in China eine rasch wachsende Industrie entstehen. Sie wiederum war eine Voraussetzung für die schnelle wirtschaftliche Entwicklung Chinas in den letzten zwei Jahrzehnten.

US-Nachfrage fördert Chinas Exporte

Nicht nur China war im jüngsten Weltwirtschaftsaufschwung vor der Finanzkrise auf den Nachfragesog aus den USA angewiesen. Viele Länder profitierten davon, daß im reichsten Land der Erde eine scheinbar unerschöpfliche Nachfrage bestand. Bekannt oder besser berüchtigt sind die Investitionen europäischer Banken und anderer Kapitalsammelstellen in strukturierte Kreditprodukte aus den USA, die aus Hypotheken oder Kreditkartenschulden bestanden und zum Auslöser der noch tobenden Finanzkrise wurden. Bemerkenswert am Gläubigerstatus Chinas ist aber, daß er sich in den offiziellen Reserven der Notenbank niederschlägt. In anderen Ländern sind es private Vermögensverwalter und Geschäftsbanken, die Finanztitel aus den USA anhäufen. Zweitens verlief die Akkumulation an US-Finanzguthaben durch China außergewöhnlich schnell. Der Grund für beides ist das chinesische Wechselkursregime. Der Kurs der chinesischen Volkswährung Renminbi ist nicht dem Devisenmarkt überlassen – da ist China noch vom früheren Sozialismus geprägt. Alle von chinesischen Exporteuren im Ausland verdienten Geldbeträge müssen in chinesische Yuan getauscht werden. Diese vorwiegend Dollar- aber auch Euro- oder Yen-Beträge blähen somit direkt die Devisenguthaben der chinesischen Zentralbank auf. Die Exporteure erhalten dafür von der Zentralbank frisch geschaffene Yuan, was die Menge des umlaufenden Geldes in China massiv erhöht.

Das Verhalten Chinas ist unter den obwaltenden Umständen rational. China nutzte die in den USA weitgehend durch Kredit finanzierte Nachfrage, um in einem beispiellosen Kraftakt eine starke Exportindustrie aufzubauen. In der Anfangsphase geschah dies mit staatlichen Mitteln: chinesischen, aber auch ausländischen Investoren wurden sehr günstige Kredite gewährt. Nach dieser Aufbauphase stellte die Finanzierung kein Problem mehr dar, weil ausländisches Kapital ins Land drängte und die Erlöse aus den Exporten sprunghaft wuchsen. Entscheidend war jedoch, daß die chinesische Führung jederzeit die Kontrolle über den Kapitalverkehr mit dem Ausland behielt. Der Wechselkurs des Yuan-Renminbi wurde niedrig genug gehalten, um die Konkurrenzfähigkeit chinesischer Exportprodukte zu gewährleisten. Die US-Regierung und mit ihr die Regierungen der sieben größten kapitalistischen Länder (G7) forderten von China, die Kontrolle der eigenen Währung zugunsten eines vom Devisenmarkt bestimmten Kurses aufzugeben. In diesem Punkt blieb die chinesische Regierung jedoch hart. Erst seit Juli 2005 ließ sie eine mäßige Aufwertung des Renminbi zu.

Lange bevor die Finanzkrise 2007 ausbrach, wurde offensichtlich, daß die bei der Zentralbank angehäuften Dollarreserven für China keine im Sinne der Anlagestrategie eines Fonds sinnreiche Investition waren. Seit 2001 befand sich der Dollar im Abwärtstrend. Die geringen Zinsen, die auf US-Staatsanleihen gezahlt werden, konnten die Verluste des Dollars gegenüber den meisten anderen Weltwährungen (einschließlich des kontrolliert teurer werdenden Renminbi-Yuan) nicht kompensieren. Aber für China war die Anhäufung von Dollarreserven ja nur eine Nebenerscheinung. Der Zweck der Angelegenheit war Verkaufsförderung für chinesische Exporte oder anders gesagt „Marktpflege“. Beobachter weisen auf die geschichtliche Parallele der frühen Bundesrepublik hin. Westdeutschland häufte bis in die frühen 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts durch die – dank einer unterbewerteten Währung – hohen Exporte viele Milliarden an Dollar- und Goldreserven an. Sie werden unverändert von der Deutschen Bundesbank gehalten. Auch sie war mehrfach gezwungen, wegen des gesunkenen Dollarkurses diese Reserven bilanziell abzuwerten.

Ziel ist die Öffnung des Kapitalmarktes

Spätestens die Finanzkrise seit 2007 hat gezeigt, daß das Akkumulationsmodell Chinas auf Dauer nicht aufrechterhalten werden kann. Die globale Verschuldung, aber insbesondere die der USA, kann nicht mehr nennenswert gesteigert werden. Der Export von Waren in die USA wächst nur noch mäßig. Die hohen Devisenreserven Chinas könnten es dem Land erleichtern, den Binnenmarkt stärker zu entwickeln und so mitten in der globalen Überproduktionskrise weiter relativ stärker zu wachsen als andere kapitalistische Länder. Das setzt allerdings kräftige Lohnsteigerungen, eine Änderung der staatlichen Umverteilung zugunsten der breiten Massen und eine Schwächung der jungen heimischen Monopolbourgeoisie voraus.

Es sieht zur Zeit aber danach aus, als würden Partei- und Staatsführung eine andere Strategie verfolgen. Sie läuft darauf hinaus, den Kapitalmarkt Chinas gegenüber dem Ausland zu öffnen, den Finanzsektor des Landes weiter auszubauen und damit – auf der Grundlage einer noch starken Realwirtschaft – die Vorherrschaft des Dollars und des US-Finanzkapitals zu brechen. Das ist keine neue Entwicklung. Schritte dorthin waren bisher eine Stärkung der heimischen Börsen und die Öffnung des Aktienmarkts für ausländische Investoren, die Teilprivatisierung der Banken, das stärkere Engagement des Staatsfonds nicht nur bei Rohstoff- und Industrie-, sondern auch bei Finanzkonzernen im Ausland.

Das wird flankiert von einer Reihe bilateraler Abkommen mit anderen Staaten, die es beiden Seiten ermöglicht, in der jeweils anderen Währung Zahlungen abzuwickeln. Mit den wichtigsten EU-Staaten – darunter der BRD – bestehen mittlerweile solche Abkommen. Der geplante Effekt tritt bereits ein. Der bisher im internationalen Zahlungsverkehr mit 43 Prozent dominierende US-Dollar wird weiter an Bedeutung verlieren. Wenn das Gewicht des Renminbi im Zahlungsverkehr von jetzt nicht einmal zwei Prozent zunimmt, steigen auch die Bestände der chinesischen Währung im Ausland. Das würde die Währung zur Weltreserve-Währung machen, vergleichbar vielleicht mit dem Euro heute, über den knapp 30 Prozent des internationalen Zahlungsverkehrs abgewickelt werden.

Die Vorteile einer solchen Entwicklung sind offensichtlich. Die Geldschöpfungsgewinne, die den Emittenten eines Zahlungsmittels zufallen, würden für den chinesischen Staat und die chinesischen Banken kräftig steigen und dem US-amerikanischen Finanzkapital verlorengehen. Entsprechend würde das chinesische Finanzkapital in die Lage versetzt, es mit der imperialistischen Konkurrenz auch auf dem internationalen Kapitalmarkt aufzunehmen.

Allerdings ist eine enge Kontrolle des Kapitalverkehrs durch die chinesische Volksbank und Regierung, wie sie bisher bestand, dann nicht mehr möglich. Eine solche Weltwährung – vergleichbar dem Euro oder gar dem Dollar – zu kontrollieren, wird überhaupt schwerer. Sie gegen den Kurs des Finanzkapitals, sei es US-amerikanisch, Euro-deutsch oder chinesisch in Stellung zu bringen, um einen sozialistischen oder auch nur sozialen Kurs in die Wege zu leiten, ist ausgeschlossen, selbst wenn die chinesische Staatsführung es irgendwann einmal wollen sollte.

Aus „Theorie und Praxis“ (T & P), Januar 2015. Der Autor ist Finanzjournalist und Publizist.