Die Kathedrale von Nagasaki diente „Bock’s Car“ als Zielpunkt
„Christen“ löschten Christen aus
Am 9. August 1945 warf eine Maschine der U.S. Air Force, deren Besatzung sich ausnahmslos zum Christentum bekannte, auf Befehl Präsident Trumans eine Plutonium-Bombe über der Kirche der japanischen Großstadt Nagasaki ab. Damit wurde zum zweiten Mal eine Kernwaffe gegen die Zivilbevölkerung eines städtischen Ballungszentrums eingesetzt.
In Nagasaki lebte Nippons zahlreichste Christengemeinde, der die größte Kathedrale des Orients gehörte. Ausgerechnet sie sollte den Killern in der Kanzel als Orientierungspunkt für einen treffsicheren Bombenwurf dienen. Die durchweg christlich getauften und überdies gläubigen Mitglieder der Crew taten nach ihrer Auffassung einen „guten Job“ und kehrten nach Abschluß der „Mission“ voll militärischen Stolzes in die Vereinigten Staaten zurück.
Nur drei Tage vor dem Kernwaffeneinsatz gegen die Einwohner Nagasakis – am 6. August 1945 – hatte Hiroshima bereits das gleiche Schicksal ereilt. In dem Inferno verbrannten und verglühten die meisten Einwohner dieser japanischen Großstadt. Das ungeheuerliche Verbrechen geschah zu einem Zeitpunkt, als für die kaiserlich-faschistischen Machthaber in Tokio und deren Streitkräfte längst die Würfel gefallen waren. Vor der Mega-Katastrophe war die de facto handlungsunfähige Tokioter Regierung nur deshalb nicht zur längst überfälligen Kapitulation bereit gewesen, weil sie den in Japan als Gottheit betrachteten Kaiser Hirohito schützen wollte.
Am 8. August – dem Tag vor der Auslöschung Nagasakis – war auf dem asiatischen Kriegsschauplatz ein wichtiges Ereignis eingetreten: Die UdSSR hatte Nippon den Krieg erklärt. Wenige Stunden später waren Truppen der Roten Armee über die mandschurische Grenze vorstoßend gegen die japanischen Aggressoren eingeschritten. Die Teilnahme der UdSSR am Krieg gegen Japan veränderte dessen ohnehin aussichtslose Lage erheblich. Die Bereitschaft zur Kapitulation wuchs in Tokio dramatisch, da die japanische Führung ihre Offiziere und Soldaten lieber in der „Obhut“ der U.S. Army als in der Gefangenschaft der „Russen“ sehen wollte.
Doch zurück zu Nagasaki: Von jener Sonderkommission des Pentagons, die über Ziele für erste Atombombenabwürfe zu befinden hatte – es handelte sich dabei natürlich auch um eine bereits auf die Nachkriegsära zielende Drohgebärde gegenüber der Sowjetunion – war eine Liste weniger zerstörter Großstädte des Inselstaates zusammengestellt worden. Dabei handelt es sich um nur noch fünf Zentren, da mehr als 60 japanische Metropolen bereits durch den im Frühjahr einsetzenden massenhaften Einsatz von Napalm in Schutt und Asche gelegt worden waren. So standen Hiroshima, Niigata, Kokura, Kyoto und Nagasaki für den Einsatz von Nuklearwaffen zur Disposition.
In den USA hatten führende Militärs und ihnen dienstbare Wissenschaftler im Vorfeld des grausigen Geschehens in Erfahrung zu bringen versucht, wie sich eine in der Luft ereignende gewaltige Explosion mit enormer Hitzeentwicklung auf intakte Gebäude und deren Bewohner auswirken könnte. Der einzige Test unter freiem Himmel war am 16. Juni 1945 in Alamobordo (US-Bundesstaat New Mexico) erfolgt. Die bei der Detonation erzeugte doppelte Sonnentemperatur hatte Felsen in glühende Lava verwandelt.
In den frühen Morgenstunden des 9. August hob eine auf den Namen „Bock’s Car“ getaufte fliegende Superfestung der U.S. Air Force von einem amerikanischen Stützpunkt auf der Pazifikinsel Tinian ab. Dem Start waren Gebete und Segnungen durch die evangelischen und katholischen Militärgeistlichen vorausgegangen. Als zuerst anzufliegenden potentiellen Abwurfort hatte man Kokura ausersehen. Die an Bord befindliche Plutoniumbombe trug die Codebezeichnung „Fat Man“ (Dicker) – offenbar eine Anspielung auf Winston Churchill.
Zwei Tage vor dem Start des ultraschweren Bombers war plötzlich Bewegung in die Tokioter Szene gekommen: Japans Oberster Kriegsrat beschloß, nunmehr auch die Möglichkeit einer bedingungslosen Kapitulation zu erwägen. Doch es war bereits zu spät. In der Stunde, in der das Gremium zusammentreten sollte, näherten sich „Bock’s Car“ und die übrigen Maschinen des B-29-Geschwaders bei absoluter Funkstille bereits den festgelegten Zielen. Nachdem der zunächst erwogene frühere Abwurf auch der zweiten Atombombe wegen ungünstiger Witterungsverhältnisse hatte verschoben werden müssen, fiel die Wahl jetzt auf den 9. August. Doch auch diesmal schien der Wettergott die „christliche Mission“ nicht zu begünstigen. Da der Befehl lautete, die Massenmordwaffe nur bei guter Bodensicht einzusetzen, mußte der geplante Abwurf über Kokura ausfallen. Dreimal kreiste der todbringende Riesenvogel über der Stadt, doch die dichte Wolkendecke wollte nicht aufbrechen. Weil der Treibstoff mit der Zeit knapper wurde – man mußte ja auch an den Rückflug denken –, entschied sich der Pilot befehlsgemäß, nunmehr Nagasaki anzusteuern.
Diese Stadt spielte für Japans Christengemeinde durch die Jahrhunderte eine Schlüsselrolle, wobei die auf Initiative eines Jesuiten-Missionars errichtete Kathedrale als größte katholische Kirche Asiens galt. Nagasaki wurde zugleich auch durch die dichteste Konzentration getaufter Christen bekannt. Zeitweilig gehörten der dortigen Gemeinde bis zu 12 000 Gläubige an. Da die Verpflanzung des Katholizismus nach Japan vor allem auch mit der wirtschaftlichen Umtriebigkeit iberischer Kaufleute zusammenhing, ergriff Japans Feudalregime Gegenmaßnahmen, um die fremdgläubigen Eindringlinge zu vertreiben. So unterlagen Nagasakis Christen jahrhundertelang brutaler Verfolgung. Im Jahr 1600 bedeutete ein Bekenntnis zum Christentum Folter und Tod.
Als diese Ära endlich Vergangenheit war, gab es in Japan fast keine Christen mehr. Das jedenfalls nahm man an, bis Mitte des 19. Jahrhunderts in Nagasaki plötzlich Tausende Katholiken entdeckt wurden, die ihrem Glauben in Katakomben die Treue bewahrt hatten. Internationaler Druck verhinderte deren erneute Verfolgung. So waren sie 1917 sogar zur Einweihung der himmelragenden Urakami-Kathedrale imstande.
Als „Bock’s Car“ den Luftraum von Nagasaki erreichte, schien das Wetter einmal mehr nicht mitzuspielen. Der Besatzung war aufgetragen worden, sich an der Kirche als höchstem Bauwerk der Stadt zu orientieren. Als diese nach längerem Umherirren von der Besatzung plötzlich durch einen Wolkenspalt erblickt wurde, wußte man, daß die Stunde für „Big Man“ gekommen sei: Der Zielort lag direkt unter ihnen. Um 11 Uhr – im Gotteshaus wurde gerade die Morgenmesse abgehalten – erging der Befehl zur Öffnung des Bombenschachtes. 500 Meter über der Kathedrale bildete sich ein alles sofort in Asche verwandelnder gigantischer Feuerball. Da sich die Kirche im Epizentrum der Explosion befand, hatten Nagasakis Christen keinerlei Chance, dem Inferno zu entrinnen. 8500 der 12 000 Katholiken starben in der Minute der Detonation, unzählige andere erlagen Folgen und Spätfolgen. Drei Nonnenklöster und eine christliche Mädchenschule hinterließen nur ätzenden Rauch. Insgesamt zählte man 74 000 Opfer, darunter Zehntausende Anhänger des Shinto-Glaubens und des Buddhismus. Generationen Überlebender blieben bis heute gezeichnet.
Was das kaiserliche Japan in mehr als 200 Jahren Katholikenverfolgung nicht zuwege gebracht hatte, besorgten Trumans mit priesterlichem Segen aufgestiegene „christliche“ Bombenwerfer in neun Sekunden.
RF, gestützt auf „The Beacon“, Zeitschrift der Unitarischen Kirchgemeinde von Melbourne
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