RotFuchs 234 – Juli 2017

Zum 160. Geburtstag von Clara Zetkin am 5. Juli

„Da kämpfen, wo das Leben ist“

Florence Hervé

Es ist viel über sie geschrieben worden. Lenin nannte sie eine „leidenschaftliche Revolutionärin“. Voller Bewunderung für diese „Frau der neuen Zeit mit den Riesen­augen des ganzen Arbeiter-Deutschlands“, schrieb der französische Poet Aragon: „Clara Zetkin spricht wie eine Frau, deren Denken sich in der Unterdrückung, mitten in der unterdrückten Klasse gebildet hat. Sie ist keine Ausnahmeerscheinung. Was sie sagt, gilt, weil Tausende und Millionen von Frauen mit ihr dasselbe sagen. Sie hat ihre Bildung empfangen wie jene: nicht in der gesicherten Ruhe des Studiums und des Reichtums, sondern im Kampf gegen Elend und Ausbeutung. Sie ist einfach die in hohem Grade vollendete Erscheinung der neuen Frau.“ Andere wollen in ihr eine Dog­matikerin sehen, die sich nur für die ökonomischen Seiten der Emanzipation der Frau eingesetzt hätte.

Wer war diese außerordentliche Frau, die ein halbes Jahrhundert lang die proleta­rische Frauenbewegung und die Arbeiterbewegung entscheidend mitprägte?

Clara Zetkin stammt aus einer christlichen Familie, die den Idealen der Französi­schen Revolution nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit verbunden war. Der Vater, Lehrer von Beruf, sympathisierte mit der deutschen Revolution von 1848; die Mutter, französisch-italienischer Herkunft, war aktiv in der bürgerlichen Frauen­bewegung von Louise Otto-Peters und Auguste Schmidt. Clara hatte zwar die – damals für Frauen seltene – Chance, eine gute Lehrerausbildung zu erhalten, lernte aber sehr früh soziale Not kennen. Sie sah das Elend der Bäuerinnen und Heim­arbeiterinnen ihres Dorfes Wiederau und schrieb später mit Pathos über deren Kämpfe (so über den ersten großen Streik der 10 000 Crimmitschauer Textilarbeiter und -arbeiterinnen für Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung). Selbst trat sie „in einer Sturmzeit“ in die Reihen der Arbeiterbewegung ein. Es ist die Zeit des Sozia­listengesetzes, der Verfolgung engagierter Sozialisten. Für ihre Umgebung ist das ein Skandal. Die Leiterin des Lehrerinnenseminars, Auguste Schmidt, muß wohl entsetzt gewesen sein, als sie von dem Entschluß ihrer besten Schülerin erfuhr. In einem Gespräch mit Auguste Schmidt fragte Louise Otto-Peters: „Und was ist nun Schreck­liches mit ihr passiert? Bekommt sie ein Kind? Heiratet sie? Will sie nicht mehr Lehrerin werden? Was ist geschehen?“ „Sie ist Sozialdemokratin geworden“, sagte Auguste Schmidt. „Es bedeutet nicht mehr und nicht weniger als: Sie ist für die Welt verloren.“ Auch ihre eigene Mutter ist über diesen Weg entsetzt und darüber, daß Clara auf ihrem Recht besteht, einen Tischler zu lieben. Sie verlangt, daß Clara sich von den Sozialdemokraten trennt: „Ich will nicht, daß du Sozialdemokratin bist. Ich will nicht, daß du irgendeinen russischen Tischlergesellen, der nichts hat und nichts ist, heiratest. Ich will nicht, daß du dich aus dem Kreis deiner Familie hinausbegibst. Du mußt dich entscheiden.“ Clara entschied sich. Im Pariser Exil lernt sie, früh Witwe mit zwei kleinen Kindern, das schwere Leben der Emigranten kennen.

Nach dem Fall des Sozialistengesetzes übernimmt Clara Zetkin die Redaktion des Organs der jungen sozialistischen Frauenbewegung „Die Gleichheit“ (Auflage 1892: 2000, 1914: 125 000) und setzt sich dort mit den brennenden sozialen Fragen ihrer Zeit auseinander. Hier stellt sie sich an die Spitze des Kampfes gegen Militarismus und Krieg, für Frieden. Hier weist sie nach, daß die Verwirklichung der Gleichberech­tigung der Frau und ihrer Befreiung nur im Frieden möglich ist, und erklärt, daß die Frauenfrage keine isolierte Frage ist, sondern eine brisante politische, die nicht von den sozialen Problemen zu trennen ist. Brillant zeigt sie das in den Auseinander­setzungen um die Erwerbstätigkeit der Frauen (sie kämpft innerhalb der Arbeiter­bewegung für die Anerkennung des Rechts auf Arbeit für Frauen), um das Wahlrecht (wofür sie sich in ihren Reden zum Internationalen Frauentag besonders einsetzt), um die gewerkschaftliche Organisierung der Frauen und nicht zuletzt in den Ausein­andersetzungen um Krieg und Frieden.

Die Initiatorin des Internationalen Frauentags am 8. März setzt sich in der Sozialde­mokratischen Partei mit den reformistischen Tendenzen auseinander, bis es nach dem ersten Weltkrieg zum Bruch kommt und Clara sich entscheidet, „dort zu kämpfen, wo das Leben ist“. Sie arbeitet in der kommunistischen Bewegung, wird KPD-Abgeordnete im Reichstag, Vorsitzende der Internationalen Roten Hilfe, Ehrenvorsitzende des Roten Frauen- und Mädchenbundes. Dort streitet sie mit Vehemenz für die Schaffung einer eigenständigen Frauenbewegung, gegen Auf­fassungen, „Sondervereinigungen von Frauen“ seien abzulehnen, weil dies zum „Frauenseparatismus“ führe.

Kurz vor ihrem Tod ruft die 76jährige Clara Zetkin die Frauen zum Kampf gegen den Hitlerfaschismus auf, warnt vor den verheerenden Folgen einer NS-Frauen- und Familienpolitik.

Clara Zetkin war nicht nur eine faszinierende Vertreterin der proletarischen Frauen­bewegung; sie war eine Führerin der deutschen Arbeiterbewegung – mit Bebel, Liebknecht und mit Rosa Luxemburg, mit der sie eine tiefe Freundschaft verband –, eine erstaunlich vielseitige Persönlichkeit, zugleich Pädagogin, Literatur- und Kunsthistorikerin, Schriftstellerin, Journalistin und nicht zuletzt leidenschaftliche Rednerin.

So, wie sie sich für die Befreiung der Frau, für ein eigenständiges Leben und für die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse einsetzte, so lebte sie ihr Leben.

Gekürzt aus DVZ, 1. Juli 1982

Literaturhinweise

  • Clara Zetkin:
    Ausgewählte Reden und Schriften
    3 Bände, Dietz-Verlag, Berlin 1957–1960
  • Clara Zetkin:
    Zur Geschichte der proleta­rischen Frauenbewegung Deutschlands
    Dietz-Verlag, Berlin 1958
  • Luise Dornemann:
    Clara Zetkin – Leben und Wirken
    Dietz-Verlag, Berlin 1974
  • Clara Zetkin – Bilder und Dokumente
    Ver­lag für die Frau, Leipzig 1982
  • Lilo Hardel:
    Das Mädchen aus Wiederau
    Kinderbuchverlag, Berlin 1964
  • Marianne Bruns:
    Uns hebt die Flut
    Mit­teldeutscher Verlag, Halle 1976