„Dämon“ Putin und die Medienmeute
Zum Repertoire jeder Feindbildproduktion gehört das „Hinzudichten kleiner und größerer Lügen“, wie im Ukraine-Krieg hundertfach passiert, das „Messen mit zweierlei Maß“, die „Dämonisierung und Dehumanisierung des ausgemachten Gegners“ und die „Personifizierung eines Konflikts“. An Letzteres haben sich die westlichen Medienkonsumenten seit Jahren gewöhnen müssen. Putin wird ihnen als die Inkarnation des Bösen vorgeführt, während Obama, Merkel oder Hollande zwar fallweise heftig kritisiert werden, ohne sie allerdings zu dämonisieren.
Die Dämonisierung Rußlands in der Person seines Präsidenten ist seit 2013/2014 zum Tagesgeschäft meinungsbildender Medien im Westen geworden. Wochenzeitschriften weisen damit auf ihren farbkräftigen Coverseiten den Weg der Diffamierung. In Deutschland führt „Der Spiegel“ in puncto Rußland-Verleumdung die Kategorie Wochenschriften an. Schon die Nr. 10/2007 zeigt ein digital bearbeitetes Konterfei des russischen Präsidenten, der mit leicht asiatischem Blick hinter einem Dutzend Pipeline-Rohren hervorsieht, die ihm gleichsam aus dem Mund wachsen. Seinen Kopf ziert eine Mütze, auf der ein roter Stern mit ins Unkenntliche verwischtem Hammer-und-Sichel-Emblem prangt. Bohrtürme links und rechts unterstreichen die Schlagzeile: „Der Staat Gasprom“ wird als Putins persönliches Waffenarsenal inszeniert und für Zweifelnde zur Sicherheit hinzugefügt: „Putins Energie-Imperium“. Im Jahr darauf klassifiziert „Der Spiegel“ in seiner Ausgabe Nr. 34/2008 Rußland als „gefährlichen Nachbarn“, wie es in der Überschrift heißt. Über einer im Staub vorwärtspreschenden Panzerkolonne, die den kurzen Krieg mit Georgien um Südossetien als russische Aggression darstellen soll, wächst der Kopf Wladimir Putins fast aus dem Coverbild hinaus. Sein drohender Blick korrespondiert mit der Unterzeile. „Wladimir Putin und die Ohnmacht des Westens“, heißt es in Anspielung auf die Tatsache, daß die NATO dem damaligen georgischen Präsidenten Saakaschwili militärisch nicht zu Hilfe kam.
Ende 2014 taucht Putins Konterfei erneut auf Seite eins des „Spiegels“ auf. Die Nr. 51/2014 nennt ihn „Der Halbstarke“ und erklärt im Untertitel, „Wie Putin die Demokratie und den Westen attackiert“. Um sich das als Medienkonsument besser vorstellen zu können, steht der mit spitzen Ohren auf teuflisch getrimmte Staatschef breitbeinig auf einer zerrissenen EU-Fahne, die offensichtlich „Demokratie“ und „Westen“ symbolisieren soll. Im nebeligen Hintergrund nimmt man die Basilius-Kathedrale am Roten Platz aus.
Heft 11/2014 zeigt auf dem Cover einen arrogant dreinblickenden russischen Präsidenten in feinem Zwirn, der einen großen dunklen Schatten wirft. Ihm nur bis zur Hüfte reichende zwei kleine Männer und eine gebückte kleine Frau stellen Barack Obama, David Cameron und Angela Merkel dar. „Der Brandstifter“ nennt die Redaktion des Hamburger Magazins die Ausgabe und beantwortet damit die Schuldfrage der Ukrainekrise eindeutig. Daß die von weit unten zu Putin aufblickende deutsche Kanzlerin eine weiße Fahne in der Hand hält, wirkt auf den ersten Moment lächerlich, kann aber auch – in kritischer Rezeption des Geschehens am Cover – als Aufforderung zum militärischen Eingreifen in der Ukraine verstanden werden, nach der Maxime: Die Friedensfahne hilft nicht, da müssen Kampfflugzeuge her.
Ohne jede Ironie kommt dann die „Spiegel“-Ausgabe Nr. 31/2014 aus: „Stoppt Putin jetzt!“, lautet die Überschrift. Der in Rot gehaltene Titel überschreibt mehr als 50 meist lachende Gesichter von Männern und Frauen, die dem Betrachter unbekannt sind. Erst die in winzigen Lettern gehaltene Schrift unter den Porträtfotos gibt dem Cover Sinn. Neben den Namen der Personen steht immer dasselbe Todesdatum: 17. Juli 1014. Das war jener Tag, an dem die Boeing 777 der malaysischen Fluggesellschaft über der Ostukraine abgeschossen worden ist. Es gab keine Überlebenden. Die 50 fröhlich dargestellten Menschen sind Opfer dieses Absturzes. Und „Der Spiegel“ kannte am Erscheinungstag der Ausgabe, dem 28. Juli 2014, den Täter. „Stoppt Putin jetzt!“ suggeriert: Wladimir Putin war’s. Er hatte den Finger am Abzug jener Lenkwaffe des Typs „Buk-M 1“, die ein niederländischer Bericht 15 Monate später als Ursache der Katastrophe bestätigte. Derselbe Bericht der niederländischen Sicherheitsbehörde nennt keine Täter und kritisiert, daß Kiew den Luftraum über der Ostukraine, in dem damals ukrainische Militärjets Kampfeinsätze gegen Donezk und Luhansk flogen, nicht hatte sperren lassen. Wer tatsächlich die Lenkwaffe in Richtung Flug MH-17 gesteuert hat, bleibt unklar. Als Schützen kommen ukrainische Militärs oder Rebellen aus dem Donbass in Frage. Wer immer die tödliche Lenkwaffe bediente, Absicht ist bislang niemandem seriös unterstellt worden. Den „Spiegel“ kümmerte dies nicht. Er machte – wie viele andere westliche Medien auch – den russischen Präsidenten persönlich zum Täter, der im Hintergrund „prorussische Mörderbanden“ befehligt.
Auf dem „Spiegel“-Cover der Nr. 42/2015 sitzt Putin am Steuer eines Kampfjets, der sich im Anflug auf den das Bild betrachtenden Leser befindet. „Putin greift an“ lautet die Überschrift, zu der noch die Zeile „Rußlands Weltmachtspiele“ montiert ist. Der „Spiegel“ repliziert damit auf den Befehl des Kreml, militärisch in den Syrienkonflikt einzugreifen. Der rote Stern am Helm des Piloten ruft Ängste in Erinnerung, als die Rote Armee im Westen als Gefahr für den Weltfrieden eingeschätzt wurde. Ihr einziger Auslandseinsatz außerhalb des RGW blieb gleichwohl jener in Afghanistan. Einen Monat später hätte „Der Spiegel“ denselben Putin in derselben Pose wohl nicht als Gefahr, sondern als möglichen zukünftigen Verbündeten im „Kampf gegen den Terror“ – sprich: das Kalifat des Islamischen Staates – gesehen. Dazwischen lagen die Anschläge von Paris am 13. November 2015 und das Angebot des russischen Präsidenten, gegen die Dschihadisten gemeinsame Sache zu machen. Am 10. Oktober jedoch war Putin der Wiedergänger sowjetischer Führer – und wird es immer dann sein, wenn er westlichen Interessen und der „Spiegel“-Redaktion in die Quere kommt.
Auch außerhalb der „Spiegel“-Redaktion herrschte dieselbe rußland-feindliche Grundstimmung. Der Kommunikationswissenschaftler Jonas Gnändiger hat sich in seiner universitären Abschlußarbeit die Mühe gemacht, die politische Tendenz in der Berichterstattung deutscher Leitmedien zu Rußland im Jahr 2014 aufzuarbeiten. Untersucht hat er die „Süddeutsche Zeitung“, „Die Welt“, „Bild“ und „Spiegel Online“. Von den 306 Überschriften zu Rußland im untersuchten Zeitraum waren 13 % positiv, 37 % neutral und 50 % negativ. Das Moskau gegenüber am feindlichsten gesinnte Presseorgan war „Bild“, die relativ freundlichsten Überschriften waren bei „Spiegel Online“ zu finden. Bei den Berichten und Kommentaren überwog die negative Einstellung gegenüber Rußland noch viel deutlicher. So ordnet Gnändiger von 68 untersuchten Kommentaren in besagten Medien 61 einem negativen Rußlandbild zu; das heißt 90 % aller Gast- oder redaktionellen Kommentare vermittelten ein Moskau-feindliches Bild. Neutrale oder gar positive Berichterstattung über Rußland und seine Politik während der Ukrainekrise kam nicht vor.
Karikatur: Gertrud Zucker
Hannes Hofbauer:
Feindbild Rußland
Geschichte einer Dämonisierung
Promedia-Verlag, Wien 2016, 304 Seiten
ISBN 978-3-85371-401-0
19,90 €
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