RotFuchs 201 – Oktober 2014

Damals am Maidan

Klaus Steiniger

Zu Zeiten der UdSSR war ich des öfteren in der Ukraine unterwegs. Kiew habe ich als eine aufblühende Metropole im südwestlichen Teil des europäisch-asiatischen Riesenlandes wahrgenommen. Beim Blick auf die Zweimillionenstadt sprang dem Betrachter eine gewaltige Dnepr-Brücke ins Auge, die den mächtigen Strom beinahe „leichtfüßig“ überspringt. Jewgenij Askarewitsch Paton, Konstrukteur und Namensgeber des erstmals in Gänze elektrogeschweißten stählernen Kolosses, ging damit in die Architekturgeschichte ein. Sein Sohn Boris leitete jahrzehntelang das renommierte Kiewer Paton-Institut, wo eine große Zahl hochkarätiger Fachleute arbeitet.

Doch warum erzähle ich diese Geschichte? Der Wissenschaftliche Sekretär des Paton-Instituts W. N. Bernadskij konnte durch Vermittlung unseres bewährten Mitstreiters Dr.-Ing. Peter Tichauer, der etliche Jahre in Kiew tätig war, als einer der ersten ukrainischen „RotFuchs“-Bezieher gewonnen werden. Des Deutschen mächtig, las er etliche Artikel des RF und berichtete auch seinem Chef Paton über ihm wichtig Erscheinendes.

Im September 1997 führte mich ein Auftrag besonderer Art erneut nach Kiew: Die KP der Ukraine hatte ihr verbundene Parteien des Auslands dorthin eingeladen. In einem Gebäude unweit des Unabhängigkeitsplatzes, der als Maidan inzwischen traurige Berühmtheit erlangte, debattierte ihr Parteitag über Strategie und Taktik der ukrainischen Kommunisten unter den Bedingungen des sich seit 1991 vollziehenden konterrevolutionären Prozesses. Während Hans Modrow im Auftrag der PDS nach Kiew gereist war, hatte mich die DKP mit der Leitung ihrer Abordnung beauftragt. Beide Delegationen waren im Hotel „Ukraina“ untergebracht, das sich direkt am Maidan befindet. Im Verlauf der dort etliche Jahre später durch rechte Kräfte, darunter Faschisten, in Szene gesetzten Krawalle wurde vom Dach dieses Hauses aus Scharfschützengewehren willkürlich in die Menge gefeuert. Die dabei ums Leben Gekommenen bahrte man in der Halle des Hotels auf, wobei man behauptete, sie seien nicht durch neue Weißgardisten, sondern von Roten getötet worden. Damit wurde eine weitere Lawine reaktionärer Gewalt ins Rollen gebracht.

In diesem Jahr geriet die KP der Ukraine, auf deren Liste 2012 noch mehr als drei Millionen Stimmen (13 %, in Industriezentren des Ostens und Südostens sogar bis zu 25 %) entfallen waren, ins Fadenkreuz der regierenden Rechtsextremisten. Am 24. Juli 2014 stimmten 232 von 250 Abgeordneten der Werchowna Rada, in der sich die Swoboda-Faschisten jetzt wie Hausherren gebärden, für die Zerschlagung der nur noch 23köpfigen KPU-Fraktion. Auch sämtliche Mandatsträger der Partei des durch die Putschisten gestürzten früheren Präsidenten Janukowitsch unterstützten die Vertreibung der Kommunisten aus dem Parlament. Gegen die KPU wurde ein gerichtliches Verbotsverfahren eingeleitet. Zugleich unterbreitete Rada-Sprecher Turtschinow eine „Gesetzesinitiative zum Verbot der kommunistischen Ideologie in der Ukraine“.

Diese gespenstischen Vorgänge rufen hierzulande unwillkürlich das durch BRD-Kanzler Adenauer betriebene, vom Karlsruher Bundesverfassungsgericht im August 1956 vollzogene und bis heute nicht aufgehobene KPD-Verbot ins Gedächtnis.

Petro Simonenkos Partei beugt sich den Gesinnungsterroristen nicht. Die KPU werde sich an den kommenden Parlamentswahlen beteiligen, erklärte ihr 1. Sekretär. Falls die Justiz ein Verbot ausspreche, wolle man den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen.

Übrigens hatte uns Petro Simonenko Mitte September 1997 bei einem etwa zweistündigen Gespräch mit der DKP-Delegation am inzwischen verwüsteten seinerzeitigen Sitz der Partei das Maß der heraufziehenden Gefahr bereits angedeutet.

Seit meinem letzten Aufenthalt in Kiew ist viel Wasser den Dnepr hinabgeflossen. Der Maidan wurde zum Schauplatz blutiger Exzesse rechter und faschistischer Kräfte, die sich unter Ausnutzung einer Massenkulisse berechtigterweise Unzufriedener monatelang dort zusammenrotteten. All das finanzierte der Oligarch Petro Poroschenko. Dieser durch den Raub von Volksvermögen zum Milliardär aufgestiegene Magnat erkaufte sich auch die Präsidentschaft der Ukraine. Doch selbst in diesem Amt ist er ebenso wie der CIA-nahe „Premier“ Jazenjuk nur ein Statthalter der USA, der NATO und der EU.

Bei aller Finsternis gibt es aber auch Licht am Ende des Tunnels. Rußland, das nicht mit der Sowjetunion verwechselt werden darf, ist aus scheinbarem Dornröschenschlaf erwacht und reckt seine Großmachtglieder. Es erweist sich – vor allem auch in der Ukraine-Krise – als außenpolitischer Widerpart des Imperialismus, in dessen europäischem Orchester die BRD bereits die erste Geige spielt.

Patons grandiose Konstruktion aus sowjetischen Tagen überspannt noch immer den gewaltigen Strom. Möge sie zu einer Brücke der Verständigung zwischen ukrainischen und russischen Bürgern dieses schönen, derzeit aber vom Krieg gepeinigten Landes werden.