Damals in Buenos Aires
Argentiniens 1976 errichtete und bis 1983 bestehende Militärdiktatur, die Tausende Antifaschisten auf grausamste Weise hatte ermorden lassen, war gerade erst gefallen, als ich Hermann Axen begleitend in journalistischem Auftrag nach Buenos Aires flog. Schon am Morgen nach unserer Ankunft begab sich der DDR-Außenpolitiker – ein Überlebender des faschistischen Vernichtungslagers Auschwitz – zur Casa Rosada, wo ihn Argentiniens Präsident Raúl Alfonsin zu einem Gedankenaustausch erwartete.
Auf dem Platz vor dem Präsidentenpalast erblickten wir die bereits legendären „Madres de la Plaza de Mayo“. Schon seit Monaten harrten sie dort aus, um Auskunft über den Verbleib ihrer unter der Diktatur als Säuglinge geraubten und von Faschisten-Familien zwangsadoptierten Kinder zu erhalten.
Unter den Müttern sah man auch Großmütter, deren Töchter fast unmittelbar nach der Geburt ihrer Kinder von den Faschisten umgebracht worden waren. Uns bot sich ein erschütterndes Bild. Die Begegnung mit den jungen und älteren Frauen steht mir noch heute vor Augen.
Bis jetzt konnten 114 der etwa 500 nachgewiesenen Fälle von Kindesraub und Zwangsadoption verläßlich aufgeklärt werden. Noch immer setzen die „Großmütter von der Plaza de Mayo“, wie man sie inzwischen nennt, den anfangs für aussichtslos gehaltenen Kampf fort. In diesem Sommer konnte ihre Sprecherin Estela de Carlotto nach jahrelanger Suche ihren Enkel, den Musiker Guido, der zuvor unter anderem Namen gelebt hatte und nach eigenen Zweifeln an seiner Identität die wahre Herkunft hatte ermitteln lassen, überglücklich in ihre Arme schließen. Laura, seine leibliche Mutter und Estelas Tochter, hatte ihren Sohn am 26. Juni 1978 in einem Geheimgefängnis der Faschisten zur Welt gebracht. Nur zwei Monate später wurde sie von rechtsradikalen Militärs ermordet.
Das bewegende Foto in Kubas „Granma“ erinnerte mich lebhaft an das schöne Gesicht Estela de Carlottos, deren leidenschaftliches Engagement sich mir schon 1984 tief eingeprägt hatte.
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