Dank für die Befreiung!
Etwas Außergewöhnliches ist eingetreten: Während es Menschen unseres Schlages normalerweise kalt läßt, zu welchen Takt- und Geschmacklosigkeiten unsere politischen, ideologischen und sozialen Gegner greifen, sehe ich mich zu einem Geständnis veranlaßt. Ich schäme mich für die billigen Ausflüchte einer Bundeskanzlerin, deren steile Karriere nicht nur durch ihre vorzügliche akademische Ausbildung in der DDR, sondern überdies auch durch ein qualifiziertes Zusatzstudium an einer sowjetischen Hochschule zumindest erleichtert wurde. Vor einiger Zeit schilderte ein alter Freund – Johannes Chemnitzer, der zu Zeiten der DDR die SED im Bezirk Neubrandenburg leitete – den Lesern des RF, wie er die sprachbegabte Angela Merkel zu ihrem Sieg bei der DDR-weiten Russisch-Olympiade beglückwünschen konnte. Da ist die Entscheidung von Kohls einstigem „Mädchen“, die Moskauer Einladung zu den Feierlichkeiten aus Anlaß des 70. Jahrestages des Sieges der Roten Armee am 9. Mai auszuschlagen, ein Akt moralischer Selbstvernichtung. Auch die Flucht in ein zu nichts verpflichtendes Ausweichmanöver für den Tag darauf ändert an Merkels Boykott überhaupt nichts. Ihre Entscheidung mag unter dem Druck fanatischer Putin-Hasser und deutlich noch weiter rechts stehender Mitglieder ihres Kabinetts zustande gekommen sein. Doch wie auch immer: Das „Njet“ der Kanzlerin ist ein Schlag ins Gesicht all jener Deutschen, die sich „den Russen“ für die mit Millionen und aber Millionen Opfern verbundene Befreiung vom Hitlerfaschismus zu tiefem Dank verpflichtet fühlen.
Diese Zeilen entstehen in der „RotFuchs“-Redaktion, die ihre Zelte bekanntlich nur wenige hundert Meter vom Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst aufgeschlagen hat. Dort – in der damaligen Heerespionierschule der faschistischen Wehrmacht – nahm der sowjetische Marschall Shukow im Beisein hochrangiger Vertreter der westlichen Alliierten am 8. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation Nazi-Deutschlands entgegen.
Historischer Boden zwingt in besonderem Maße zu geschichtlicher Exaktheit, wobei wir die militärischen Aspekte des Geschehens vor allem den in dieser Ausgabe des RF zu Wort kommenden Generälen der Sowjetarmee und der NVA überlassen wollen. Nur soviel sei gesagt: Wir vertreten eine fundamental andere Auffassung als Obama und Cameron. Diese bezeichneten die am 6. Juni 1944 in der Normandie nach jahrelanger Verzögerung an Land gesetzten westalliierten Truppen als „größte Befreiungskraft, welche die Welt jemals gekannt hat“. In uneingeschränkter Würdigung des Beitrags der Befreier aus allen Staaten der Antihitlerkoalition und der französischen Résistance stimmen wir mit dem renommierten kanadischen Internet-Journal „Global Research“ überein: „Die Rote Armee hat den Krieg mit Deutschland gewonnen.“
Zum Zeitpunkt der Invasion an Frankreichs Küste lagen hinter den Kämpfern mit dem roten Stern bereits nahezu drei schwere und verlustreiche Kriegsjahre. Am 22. Juni 1941 waren die Faschisten mit drei Millionen Soldaten, 7500 Artilleriegeschützen, 3000 Panzern und 2500 Flugzeugen über die UdSSR hergefallen. Obwohl sie bereits bei dem Versuch, Moskau im Frontalstoß einzunehmen, das Schicksal Napoleons ereilt hatte, brachte erst die Stalingrader Schlacht vom 23. August 1942 bis zum 2. Februar 1943 die kriegsentscheidende Wende.
Als die Westalliierten, die sich zuvor auf die massive Bombardierung deutscher Großstädte beschränkt hatten, schließlich in der Normandie landeten, befanden sich die kampfstärksten Verbände der dezimierten faschistischen Wehrmacht fast ausnahmslos an der „Ostfront“. Damit soll der Beitrag der Angehörigen westalliierter Armeen, die ihr Blut im Kampf gegen Nazi-Deutschland vergossen, in keiner Weise geschmälert werden. Doch es gab – aus marxistischer Sicht – einen fundamentalen Unterschied: Während alle beteiligten Armeen als Befreier vom Faschismus zu würdigen sind, öffnete allein die Rote Armee der Sowjetunion den Völkern der durch sie befreiten Territorien, also auch den Menschen in Ostdeutschland, zugleich die Tore zu ihrer sozialen Befreiung vom Kapitalismus. Damit wurden die antifaschistisch-demokratischen und sozialistisch-kommunistischen Kräfte der sowjetischen Besatzungszone in die Lage versetzt, mehr als vier Jahrzehnte in einem Drittel Deutschlands ein ausbeutungsfreies Gesellschaftssystem aufzubauen. Für diese doppelte Befreiungstat gebührt den Rotarmisten unser besonderer Dank. Richard von Weizsäcker, der im Unterschied zu eher kleinkalibrigen Amtsträgern der BRD ein bedeutender bürgerlicher Staatsmann war, hat den 8. Mai in seiner historischen Rede 1985 als Tag der Befreiung bezeichnet. Jetzt versuchen all jene, welche einst über ihn herfielen, Weizsäckers Rede für sich zu vereinnahmen. Der Versuch, sich in den „Mantel der Geschichte“ zu hüllen, wirkt nicht weniger kläglich als Merkels Zurückweisung der Moskauer Einladung.
Vor 70 Jahren erlöste uns die Rote Armee der Russen und ihrer Brudervölker von Deutschlands Verderbern. Heute sehen wir uns einer Situation gegenüber, die einmal mehr von der Kriegsdrohung rabiater Kreise der NATO gegen Rußland überschattet wird. Da gilt es, die Befreier von 1945 gegen die alten und neuen Russen-Hasser zu verteidigen.
Unser solidarischer Gruß kommt aus jener Karlshorster Straße, die zu DDR-Zeiten den Namen Fritz Schmenkels trug. Er war ein deutscher Kommunist, der in den Reihen sowjetischer Partisanen auf belorussischem Boden kämpfte. Die Hitlerokkupanten haben ihn in Minsk ermordet. Natürlich wurde auch unsere Straße nach dem Anschluß der DDR an die BRD umbenannt. Doch das Vermächtnis des einstigen Namensgebers lebt wie die Erinnerung an die Großtat der Befreier in uns fort.
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