RotFuchs 195 – April 2014

Über den Wert vorgelebter
Standpunkttreue und Unverbiegbarkeit

Das persönliche Beispiel zählt

Rainer Stankiewitz

Eine von alten Kommunisten leergefegte Zeit wird kommen; wir lesen fast in jeder Ausgabe des RF von Verstorbenen. Gelingt es jungen Kommunisten, sie zu ersetzen? Gibt es die überhaupt? Sie können so schlecht nachwachsen in diesem Deutschland. Wenige stellen sich bekennend und mutig gegen den Makel, in dieser Republik des Geldes Kommunist zu sein! Oder sehe ich sie nur nicht? Man verlangt ja viel: Es muß einer Hetzjagd widerstanden werden, fast einem Pogrom, das hierzulande die von Wirtschaftsinteressen gekauften Regierenden, ihre Medien und Historiker allumfassend inszenieren. Eine Paranoia scheint sie zu peinigen, und die Furcht vor bolschewistischen Gleichmacherbestien macht sie besessen, so sehr bekämpfen sie alles, was auch nur nach Kommunismus riecht. Wer will da eigentlich den Jungen verdenken, wenn sie diesem Bombardement erliegen und – wohl erkennend, daß Widerstand geleistet werden muß – sich aufmüpfigen Gruppen anschließen, die dezentralisiert herumtappen und wenig ausrichten? In diesem Deutschland darf ja jeder (fast) alles und sich dabei fühlen und wiegen wie Gott in der Freiheit, wenn und solange er eben nicht an bestimmten tragenden Pfosten rüttelt. Damit er es läßt, prügeln ihm hörige Herrscher und Medien so viel Müll in den Kopf, wie dazu nötig ist. Sie schreiben sogar die Bibel um, von der sie behaupten, sie sei Wiege des kapitalistischen Wirtschaftens, weil ein Papst es gewagt hat, gegen die Verelendung der Massen zu wettern und öffentlich festhielt, daß die derzeitige Art, Ökonomie zu betreiben, töte. Wie sollen unter diesen Umständen Kommunisten entstehen, wie Anwärter Verantwortung erkennen und tragen?

Auch in der DDR gab es Tücken auf dem Weg der Kommunistwerdung. Ich war damals parteiloser Meister in einem Zeitungsbetrieb der SED. Eine Weile war die Nachtversorgung, besonders sonntags, miserabel. Eines Abends schlug ich mit einem zölligen Nagel eine grüne Bulette an die mit rotem Fahnentuch bespannte Wandzeitung zwischen die Planerfüllungsdaten. Am nächsten Tag war die Chefetage des Hauses empört über diese Schweinerei. Ja, das war die Freiheit der Andersdenkenden, nämlich der Rotationer, genauso wie es Rosa Luxemburg gemeint hatte, nicht wie es im Januar 1988 mitten im Demonstrationszug zu ihrer und Karl Liebknechts Ehrung zu sehen war: aus dem Zusammenhang gerissen und sinnentstellt.

Ja, ich wollte immer den Sozialismus auf meine Weise und mit der Brechstange! Natürlich war ich nach dieser Tat bei der „Stasi“ Mode. Später habe ich regelmäßig berichtet, wer und was mich beeinträchtigte, meine Abteilung möglichst reibungslos zu führen. Den Begriff inoffizieller Mitarbeiter kannte ich nicht. Diese Gespräche bereue ich bis auf den jetzigen Tag nicht, weil ich vorwärts wollte und nicht stehenbleiben oder gar zurück.

Heute betreibe ich einen kleinen Verlag. Ich zögerte keinen Augenblick, als eine Dame aus Berlin, mit der ich übereingekommen war, ein Buch herzustellen, wobei ich schon erhebliche Kopfarbeit in das Manuskript gesteckt hatte, mich fassungslos anrief, sie habe von meinen Sympathien für den „RotFuchs“ erfahren. Distanzierte ich mich nicht, könnte sie unser Buchprojekt nicht mehr fortführen. Sie sehen, liebe Leser, ich hege noch immer Sympathien für den „RotFuchs“, und das Buch ist nie entstanden.

Ähnlich verhielt es sich bei einem Autor, der ein Manuskript über seine Haftzeit aus politischen Gründen in der vernichteten Republik brachte und dabei die DDR in Anführungszeichen setzte. Ich sagte ihm, natürlich müsse auch über diese wenig ehrenvolle Seite der DDR berichtet werden, doch gehe das bei mir nur dann, wenn ich seinem Buch einen Essay voranstellen dürfe, in dem ich seine Erlebnisse in den Kontext der Geschichte stelle, und die DDR in Anführung sei bei allem Haß schlicht historisch falsch. Das wollte er nicht. So entstand auch dieses Buch nicht bei mir. Auf diese Konsequenz bin ich ein wenig stolz, aber sie fiel nicht vom Himmel.

Jeder Mensch braucht ein Vorbild, einen Berater, einen Mentor, einen, der durch sein Beispiel überzeugt. Wer den nicht hat, ist arm dran. Ich hatte und habe einen: den Schweriner Journalisten Günter Jaffke. Nicht nur, daß er rigoros meine Texte von Überflüssigem befreite und mir sagte, es gäbe kein kleines Kämmerlein – denn ich saß nie in einem Hörsaal, außer in dem großen des Lebens. Er bekannte auch einmal, er beneide mich, denn ich sei ein Dichter und er nur Journalist. Diese gegenseitige Achtung und Anregung zwischen Menschen zweier Generationen fehlt heute oft. Vorgelebte Werte wie Gradlinigkeit, Standpunkttreue, Unverbiegbarkeit werden seltener Bestandteil von Freundschaften.

Andere, unverbindliche Dinge haben Vorrang, es ist auch so gewollt. Und Kommunisten passen in diese Zeit nun gar nicht. Ihre angeblich zynische Mordlust wird an Stalin, Pol Pot und den Mauertoten festgemacht. Ich erlebe den Kommunisten Günter Jaffke völlig anders, und in ihm fand ich einen der wertvollsten Menschen, denen ich in meinem Leben begegnen durfte. So wie Günter mir den Kommunismus beibrachte – ohne Zwang, allein durch sein Beispiel – und ihn gleich in Gestalt seiner Person beweist, ist diese Option für Gerechtigkeit mir etwas Edles und Erstrebenswertes.

Auch ich will Kommunist sein, wenn ich es kann. Ich habe während meiner Lebensspätzeit vieles gelernt, u. a., daß es falsch war, eine neue Partei mitbegründet zu haben. Es sollte nur eine einzige linke Partei geben, in der sich alle Gleichgesinnten verbünden. Jede Vereinzelung der Kräfte führt zu ihrer Vernichtung. Das ist eigentlich gar nichts Neues, und dennoch anscheinend vielen aus dem Sinn. Vielleicht ist Sozialismus doch möglich, irgendwann nach uns, wenn die Folgenden begriffen haben, daß es an ihnen selbst liegt. Aber wir müssen doch den Boden bestellen für sie!

Günter Jaffke, den ich wegen meiner Dankbarkeit nicht ohne Selbstsucht im „RotFuchs“ ehren möchte, ist nun im fünfundachtzigsten Lebensjahr, hellwach, und doch wird man in diesem Alter ein wenig müder. Ich bin noch jünger, und natürlich werde ich den Staffelstab weitergeben so gut ich kann. Aber reicht das aus? Wird die Lücke, von der ich zu Beginn schrieb, geschlossen werden können? Wenn eines Tages all die Standhaften nicht mehr sind? Was können wir tun, damit trotz der verordneten Untugenden Gier, Raffsucht, Konsumterror und flächendeckende Manipulation aufrechte Menschen heranwachsen? Laßt uns darüber einmal in dieser Zeitschrift reden!