Das Völkergefängnis von Maastricht
Während die „Troika“ und die Führungsgremien der EU völlig skrupellos mit der Erdrosselung Griechenlands befaßt waren und der Syriza-Regierung die Pistole auf die Brust setzten, hörte man aus den Reihen der Europäischen Linkspartei und der PDL herzzerreißende, wenn auch völlig anachronistische Appelle, man solle sich doch auf „den ursprünglichen Geist, die Ziele eines Europas der Freiheit, des Friedens und des Wohlstands“ zurückbesinnen.
Solche Propagandaphrasen aus Brüssel waren von Beginn an Schall und Rauch. Der etappenweise Weg in die uneingeschränkte Diktatur des Kapitals, der mit den Verträgen von Maastricht (1992) und Lissabon (2007) allen Mitgliedsstaaten „gewiesen“ wurde, er fuhr dadurch keine Beeinträchtigung. Neben der Verpflichtung zu Aufrüstung und zur Teilnahme an globalen imperialistischen Kriegseinsätzen, restloser Privatisierung und völliger Deregulierung des Arbeitsmarktes spielten die „vier Freiheiten“ der EU eine Schlüsselrolle: freier Warenverkehr, freies Dienstleistungs- und Personenverkehrswesen, freier Kapitalverkehr. Tatsächlich ging es vor allem auch um den Abbau der sozialen Sicherungssysteme und die Einschränkung der demokratischen Grundrechte aller EU-Bürger. In der BRD wurden diese nicht grundgesetzkonformen „Freiheiten“den Bürgern übergestülpt. Bundestag und Bundesrat nahmen mit Zweidrittelmehrheit das „39. Änderungsgesetz“ an, wofür 1992 die Kohl-Regierung sorgte. Die Artikel 23 und 24 des GG gestatten es dem Bund, Hoheitsrechte der BRD auf die EU und die NATO zu übertragen, wenn diese „einen im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz“ gewährleisten. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnete die „freie Marktwirtschaft“ als „sozial“ und „Garanten für Wohlfahrt, Freiheit und Frieden“.
Da fragt man sich besorgt, ob dies etwa auch die Interpretation der Europäischen Linkspartei ist, wenn sie heute den „ursprünglichen Geist“ von Maastricht beschwört. Die dort abgeschlossenen Verträge waren nämlich der Ausgangspunkt für den totalen Umbau der BRD-Gesellschaft durch etliche Gesetzesänderungen, welche allein die kapitalistischen Konzerne und Banken begünstigen, die Arbeitenden und wesentliche Bereiche der Daseinsvorsorge aber massiv benachteiligen. Auch der Niedergang kommunaler Haushalte mit Hilfe der „Schuldenbremse“ bei gleichzeitigem Druck zu „öffentlich-privater Partnerschaft“ und die Umstellung öffentlicher Dienste auf „marktwirtschaftliche Budget-Prinzipien“ wurden juristisch zwingend durch „Reformen“ festgelegt.
Bei Bundesländern galt das gleiche wie bei den EU-Mitgliedsstaaten: gnadenloser „Wettbewerb“ zum Vorteil exportorientierter hochkapitalisierter Volkswirtschaften wie jener der BRD, bei dem auf die im Zuge der sogenannten Osterweiterung eingegliederten neuen EU-Mitglieder keinerlei Rücksicht genommen wird. So gehören Rumäniens Felder inzwischen internationalen Agrarkonzernen, Griechenlands Supermärkte vertreiben holländisches Gemüse, und aus Estland läuft der qualifizierte Nachwuchs ebenso weg wie aus Spanien und Portugal.
Mit seiner ethikfernen vorgeblichen „Naturgesetzlichkeit“ wälzt der sich heute als Neoliberalismus ausgebende rabiate Imperialismus jede dem entgegenstehende Argumentation oder widerständische politische Kraft nieder. Schon bei der Einhaltung der EU-„Aufnahmekriterien“ wurde mehr Wert auf die Durchsetzung der genannten „vier Freiheiten“ als auf Rechtsstaatlichkeit, Korruptionskontrolle und Bürgerrechte gelegt. In der Folge zeichnet sich eine immer offenere Duldung faschistoider und rechtslastiger politischer Strömungen, ja selbst Regierungen in EU-Mitgliedsstaaten wie Ungarn ab. Das läßt befürchten, daß die klassische Option eines Griffs zur unmaskierten Diktatur in Zeiten gravierender Wirtschaftskrisen und angesichts drohender Volksunruhen jederzeit wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden kann. Man vergesse nicht den Militärputsch der „schwarzen Obristen“ des faschistischen Patakos-Papadopoulos-Regimes, der sich in den Jahren 1967 bis 1974 im EWG-Assoziations- und NATO-Staat Griechenland zutrug! Verbote sozialistischer und kommunistischer Parteien bei gleichzeitiger Zulassung neofaschistischer Organisationen in „Frontstaaten“ Osteuropas sind Vorboten einer weitaus komplexeren Gefahr. Besonders bedrohlich wirkt sich auch die „Entkollektivierung“ und „Individualisierung“ durch die von der EU kultivierte Alltagsideologie des egozentrischen Kampfes „Jeder gegen jeden“ aus. „Verlierer“ werden achselzuckend von zeitweiligen „Gewinnern“ stigmatisiert. Das gilt sowohl innerstaatlich als auch gegenüber „Partnerländern“. Wie schnell eine politische Haßkampagne aus solcher Grundhaltung entfacht werden kann, zeigt das Beispiel der Diffamierung Griechenlands.
„Europa – Raum der Freiheit, des Wohlstands und der Solidarität“ heißt die selbstbeweihräuchernde Devise. Am Beispiel der parlamentarischen Wahldemokratie entlarvt sich vor aller Augen: Wenn eine „frei gewählte“ Regierung plötzlich aus dem Rahmen fällt, wird die Axt angesetzt und die Würge-Schlinge zugezogen. Die Athener Vorgänge haben den Traum aller „Transformations-Theoretiker“ der Europäischen Linkspartei und der PDL zum Platzen gebracht! Fehlt es ihnen an historischer Kenntnis, oder ist es nur Opportunismus, wenn sie die Entstehungsgeschichte der Maastrichter Union verschweigen?
1947 spaltete US-Präsident Harry Truman Europa durch den Marshallplan und seinen als Containment bezeichneten Beschluß zur „Zurückdrängung des Kommunismus“. 1951 folgte die Zusammenfassung von sechs westeuropäischen Staaten zur „Montanunion“. Sie bildete die Keimzelle für die „Vereinigung“ kapitalistischer Blockstaaten des Kontinents mit den USA im Rahmen der NATO.
Was dann unter verschiedenen Vorwänden als „Europa“ firmierte, war in Wahrheit eine wirtschaftlich-militärische Front gegen die Brüsseler Block in Konkurrenz wie in Kooperation mit den USA gegen alle linken und demokratischen Kräfte nicht nur des europäischen Kontinents, welche sich der globalen „Neuordnung der Welt“ durch das Kapital widersetzen. Die Maastrichter Union und alles, was aus ihr hervorgegangen ist, stellen auch eine enorme Gefahr für die Souveränität der Völker Europas und den Weltfrieden dar. Das sollten die in der Europäischen Linkspartei versammelten „linken Sozialdemokraten“ des Kontinents in Rechnung stellen.
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