Henri Barbusse: „Einer hat sein Antlitz über den Krieg erhoben.“
Das welthistorische Nein
Am 2. Dezember 1914 stimmte Karl Liebknecht als einziger Abgeordneter im Reichstag gegen die Bewilligung weiterer Kriegskredite. Während die Vertreter aller Fraktionen sich von ihren Plätzen erhoben und damit ihre Zustimmung bekundeten, blieb Liebknecht sitzen. Der Reichstagspräsident mußte feststellen, daß die Kredite gegen die Stimme des Abgeordneten Karl Liebknecht angenommen worden waren. Seine Begründung durfte dieser nicht mündlich vortragen. Daher gab er sie zu Protokoll. „Dieser Krieg“, schrieb er, „den keines der beteiligten Völker selbst gewollt hat, ist nicht für die Wohlfahrt des deutschen oder eines anderen Volkes entbrannt. Es handelt sich um einen imperialistischen Krieg, einen Krieg um die kapitalistische Beherrschung des Weltmarkts, um die politische Beherrschung wichtiger Siedlungsgebiete für das Industrie- und Bankkapital.“ Die Erklärung durfte nicht in das stenographische Protokoll der Sitzung aufgenommen werden.
Anläßlich des 100. Jahrestages des Beginns des Ersten Weltkrieges fand der Kampf gegen ihn nur geringe Erwähnung. Auch von seiner systematischen Vorbereitung durch die imperialistischen Mächte, vor allem Deutschland, war oftmals keine Rede. Die Welt sei in die „Urkatastrophe“ hineingeschlittert, wurde behauptet.
Liebknechts Worte sind 100 Jahre später immer noch aktuell. Seit dem Ende des Ersten Weltkrieges hat es auf der Erde keinen Tag Frieden gegeben. Von Kriegen ist gegenwärtig die ganze Welt erfaßt, denn auch australische Truppen beteiligen sich an militärischen Aktionen. Der Unterschied zum Ersten und Zweiten Weltkrieg besteht im wesentlichen darin, daß die überfallenen Staaten in der Regel nicht in gleicher Weise zurückschlagen können, so daß die Bevölkerung der Aggressormächte in relativem Frieden lebt.
„Einer hat dennoch sein Antlitz über den Krieg erhoben, und es wird einst leuchten in der Schönheit und der Bedeutung seines Mutes“, schrieb der französische Schriftsteller Henri Barbusse 1916 in seinem Roman „Das Feuer“ über Karl Liebknecht. Der Publizist Sebastian Haffner nannte ihn den mutigsten Mann Deutschlands.
Bereits in der Sitzung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion am 3. August 1914 hatte Karl Liebknecht für die Ablehnung der ersten Kriegskreditvorlage gekämpft, brachte aber nur eine Minderheit von 14 Stimmen auf seine Seite.
78 Sozialdemokraten stimmten dafür. Liebknecht glaubte zunächst noch an eine vorübergehende Verwirrung in der Fraktion, die angesichts des eindeutigen Charakters des Krieges bald der besseren Einsicht weichen und zu einer kriegsgegnerischen Haltung führen müsse. Deswegen und weil er die Einheit der Partei als kostbares Gut schätzte, stimmte er am 4. August 1914 noch nicht gegen die Kriegskredite. Versuche von Liebknecht und anderen, Protestversammlungen einzuberufen, blieben ergebnislos.
Auf einer sozialdemokratischen Veranstaltung, die am 21. September 1914 in Stuttgart stattfand, wurde Kritik an Liebknechts Haltung im August geübt, weil er sich dem Fraktionszwang gebeugt habe. Karl Liebknecht bekannte in seinen Schlußbemerkungen, daß ihn die Kritik im Innersten erschüttert und zugleich erfreut habe. Die Genossen wären im Recht, wenn sie ihm den Vorwurf machten, sein Nein nicht in den Sitzungssaal hinausgeschrien zu haben. Das sei ein schwerer Fehler gewesen. Er versprach, in Zukunft einen kompromißlosen Kampf gegen den Krieg zu führen.
Kurze Zeit später stellte er fest: „Im Dezember ging ich dann, die programmzerstörerische Parteidisziplin zum Teufel jagend, zur öffentlichen Ablehnung der Kriegskredite im Plenum des Reichstags über.“
Zur Ehrenrettung der internationalen Arbeiterbewegung muß darauf hingewiesen werden, daß die Bolschewiki in Rußland, die Partei der Engherzigen in Bulgarien, die niederländischen Tribunisten, die Serbische Sozialdemokratische Partei und anfangs auch die Italienische Sozialistische Partei einen konsequenten Antikriegskampf geführt haben.
In Deutschland folgten bald einzelne Sozialdemokraten Karl Liebknechts Beispiel. Am 26. März 1915 lehnte der SPD-Abgeordnete Otto Rühle gemeinsam mit ihm die dritte Kriegskreditvorlage ab. Am 21. Dezember 1915 folgten 18 sozialdemokratische Mandatsträger diesem Beispiel. Gerade heute hat die Erinnerung an Karl Liebknechts Kampf gegen Militarismus und Krieg besondere Bedeutung. Es verwundert nicht, daß der Antrag der Partei Die Linke, Liebknechts mutige Tat durch eine Gedenktafel am Reichstagsgebäude zu würdigen, abgelehnt wurde. Für ihre Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914 muß sich die deutsche Sozialdemokratie schämen, auch wenn der Parteivorsitzende Gabriel das in Abrede stellt. Vielleicht wäre die Weltgeschichte anders verlaufen, wenn die SPD als stärkste Fraktion im Reichstag dem Beginn des Völkermordens nicht zugestimmt hätte.
Es gibt eine Reihe weiterer Beispiele für verhängnisvolles Handeln von Sozialdemokraten. 1998 lautete die SPD-Forderung zu den Bundestagswahlen „Kohl muß weg!“. Es sollte einen inhaltlichen Politikwechsel geben. Kohl verschwand, doch alles blieb beim alten.
Als die Sozialdemokraten 1914 den Kriegskrediten zustimmten, waren sie noch in der Opposition. 1999, als sie mit den Grünen die Regierung stellten, sprachen sie sich für die erstmalige Beteiligung der BRD an einer völkerrechtswidrigen Aggression aus: dem Überfall auf Jugoslawien.
Die Partei Die Linke ist derzeit die einzige Antikriegspartei im Bundestag. Doch es gibt immer wieder Versuche einzelner ihrer Abgeordneten, von dieser Linie abzuweichen. So stimmte die Bundestagsfraktion im April 2014 erstmals nicht mehr geschlossen gegen militärische Auslandsoperationen, als es um die Entsendung einer BRD-Fregatte ins Mittelmeer ging, die ein US-Kriegsschiff abschirmen sollte, auf dem chemische Kampfstoffe aus Syrien vernichtet wurden. Vier Abgeordnete sprachen sich dafür aus. Trotz der vom Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi empfohlenen Stimmenenthaltung entschieden sich die meisten Abgeordneten in voller Übereinstimmung mit dem Erfurter Programm der Partei für ein klares Nein.
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