DDR-Pflanzenschutz ohne
„chemische Keule“
Bis weit in den Herbst hinein arbeiteten die Beschäftigten in der Landwirtschaft auf Hochtouren. Erste Getreidesorten (Wintergerste) verlangten nach dem Arbeitsgang Drusch, der mittlerweile zur Monokultur mutierte Raps, der im Frühjahr „die Landschaft so schön gelb färbt“ (O-Ton Stadtkinder), ebenso. Die ganzen Futtersorten waren dabei: Klee, Lupinen und andere Leckereien wie Mais für die Nutztiere. Am Ende der Erntezeit durften dann die Gemüsebauern ran. Alle Kohlarten – rot wie weiß, Wirsing und Blumenkohl, aber auch Sellerie, Möhren und Gurken – kamen auf Anhänger, um gleich zur verarbeitenden Industrie gebracht oder eingelagert zu werden.
25 % aller Nahrungsgüter, die auf der Welt verderben oder einfach weggeworfen werden, würden ausreichen, um – einem Bericht der UNO-Spezialorganisation für Ernährung und Landwirtschaft zufolge – die Welt vom Hunger zu befreien.
Doch bevor der Landwirt die Ernte einfahren kann, muß er viel dafür tun. Da wird im Vorfeld geackert, gegrubbert und gesät und auf alle Fälle Pflanzenschutz betrieben. Sobald der Mensch auf riesigen Feldern eine bestimmte Pflanzensorte intensiv anbaut, „darf“ er diese auch intensiv pflegen und gegen ungebetene Gäste schützen. Neben kleinen Tierchen (Läuse, Tripse, Milben) machen vor allem Unkräuter und Ungräser dem Landwirt zu schaffen. Die unerwünschten Pflanzen sind schneller im Wachstum, verbreiten sich durch Samen oder vegetativ und weisen eine Lebenskraft auf, die oft jene der Kulturpflanzen übersteigt. Eine Ertragsdepression der betreffenden Kulturpflanze ist die Folge. Dem muß nun mit vorbeugenden und mechanischen Maßnahmen entgegengewirkt werden.
Und was macht man, wenn die Landwirtschaft immer mehr Arbeitskräfte verliert und trotzdem intensiv und vorbildlich angebaut werden soll? Die Verantwortlichen setzen von „Blümchenliebhabern“ gerne als „chemische Keule“ verteufelte Spritzmittel ein, die natürlich immer streng nach Rezepten und Vorschriften gehandhabt werden. Schließlich heißt es in der chemischen Unkrautbekämpfung nach wie vor: Viel hilft nicht viel.
Immer kommt zu dieser Zeit die einschlägige Presse nicht sehr fachlich auf die Anwendung von chemischen Mitteln in der DDR zu sprechen und beschimpft die damaligen Anwender als „Giftmischer“.
Schon früh erkannte man in dem kleinen Land, daß die chemischen Unkraut- und Insektenbekämpfungsmittel (Herbizide, Insektizide) einen festen Platz innerhalb der ackerbaulichen Maßnahmen einnehmen müssen. Klarheit bestand von Anfang an darüber, daß all diese Mittel keine Ertragssteigerung bewirken, wohl aber durch Ausschalten der Schädlingskonkurrenz Ertragsdepressionen in den Kulturen verhindern. Damit zum Beispiel die Verunkrautung ökonomisch vertretbar eingeschränkt werden konnte, wurden die Herbizide kostengünstig bereitgestellt. Man kombinierte auf Anraten die von den Chemiekombinaten entwickelten Mittel und beherrschte damit die Schädlingsproblematik an einer bestimmten Stelle. Dafür war in besonderem Maße die chemische Industrie in enger Zusammenarbeit mit den Pflanzenschutzagronomen verantwortlich.
Erlernt wurde der Beruf „Pflanzenschützer“ übrigens an der Fachschule „Edwin Hoernle“ in Halle und Wettin. Der Absolvent durfte sich als Ingenieur für Agrochemie und Pflanzenschutz bezeichnen. Diese Leute wurden nach dem Studium in den landwirtschaftlichen Betrieben mit Kußhand und eigenem Büro eingestellt oder arbeiteten an der Schnittstelle zwischen der volkseigenen Industrie und den Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) in einem Agrochemischen Zentrum (ACZ). Hier lagen die verschiedenen Mittel als Pulver, Granulat oder Flüssigkeit in riesigen Hallen zur Abholung bereit. Vom Insektengift Bi 58 bis zu den Herbiziden Trizilin, Simazin und SYS 67 KOMADAM, das im Frühjahr ab dem 5-Blatt-Stadium des Getreides eingesetzt werden sollte. Ein wunderbares Zeug, doch nicht zum Schnupfen geeignet. Die ACZ führten die Spritzarbeiten im Auftrag der LPG selbst durch. So waren nur Fachleute am Werk, die sich mit den Pflanzenschutzmitteln auskannten, die Rezeptur selbst zusammenstellten und auch über die Auswirkungen informiert waren. Diese „Pflanzenärzte“ kümmerten sich weiter um das Erkennen der tierischen und pflanzlichen Schädlinge und sorgten dafür, daß die Erntekollektive die Karenzzeit einhielten. Zum Einsatz kamen dabei die Feldspritze S 033 und die Sprüh- und Stäubemaschine S 041.
So hätte es noch bis zum Ende aller Tage weitergehen können, wäre nicht die „Wende“ gekommen. Noch bis 1992 dokterten viele der etwa 200 ACZ herum und kämpften ums Überleben. Dazu zählte auch, daß man heimlich begann, unheimlich viele Fässer der begehrten Fungizide (gegen Pilzkrankheiten), Herbizide und Insektizide an zahlungskräftige Großbauern aus Bayern, Hessen oder Niedersachsen unter der Hand zu verkaufen. Sportak-45 gegen Halmbruch war begehrt, das schnell gegen Bodenläuse wirkende Wofatox-60 EC ebenso und besonders Trizilin-25, ein stark giftiges Herbizid, das – sachgemäß angewendet – keine Schädigung hervorrief. Doch solches Tun wurde verfolgt, da die in Bitterfeld, Magdeburg, Schwarzheide, Chemnitz und Berlin hergestellten Pflanzenschutzmittel keine Zulassung der Biologischen Bundesanstalt besaßen und auch nie bekommen hätten.
Wenn die Ackerwildkräuter aus dem Boden schossen und es sich die Insekten auf den Kulturpflanzen bequem machten, wurde die ganze Chemie von den „Westbauern“ dennoch auf den Feldern versprüht. Der Bauernverband mahnte nach 1992 halbherzig an, doch der Profit steht ja im Kapitalismus bekanntlich immer an erster Stelle.
Nun kommt es noch viel schlimmer und wird trotzdem ignoriert. Viele Nahrungsmittel, ob Milchprodukte, Fisch, Fleisch, Teiglinge für Brötchen, Obst und Gemüse, die wir besonders billig im Supermarkt kaufen wollen, stammen mittlerweile aus China. Und in diesem großen, schwer zu überblickenden Land gilt das Pflanzenschutzmittelgesetz der EU natürlich nicht. Wie sollte es auch, es ist ja Asien! Was in Deutschland, früher auch in der DDR, als hoch toxisch eingestuft wurde, ist derzeit im Reich der Mitte erlaubt. Dort sind mehr als 27 000 Pestizide zugelassen (in der BRD etwa 1000), von denen 1,5 Millionen Tonnen im Jahr versprüht werden. Egal, sagen sich die Konzerne, auch wenn viele der Mittel Krebs und Gehirnerkrankungen zur Folge haben, und holen die Produkte preisgünstig nach Deutschland.
Wenn wieder jemand à la Gauck auf die angeblich so vergiftete DDR schimpft, sollte man ihn mit der Wahrheit konfrontieren.
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