Warum das „Deutschlandlied“ die Gefühle
vieler Menschen im In- und Ausland verletzt
Dem nationalistischen Größenwahn
Paroli bieten!
Die Forderung „Das Deutschlandlied gehört ins Museum“ erhob der langjährige Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Dieter Wunder, der sich auch große Verdienste um die Friedensbewegung erworben hatte, vor 24 Jahren. Ist sie noch aktuell? Ist nicht hierzulande jetzt Schwarz-Rot-Gold die Modefarbe, als Hut, T-Shirt, Blumengirlande, „Winkelement“ oder Autoschmuck? In der „Super-Illu“ 6/2015 ließ sich Chefredakteur Robert Schneider in Erinnerung an die Fußball-Weltmeisterschaft im Vorjahr zu dem Satz hinreißen: „Wir alle sind Deutschland.“ Und: „Wir wurden zum beliebtesten Land der Welt.“ Vor kurzem hieß es noch: „Wir sind Papst.“ Das dürfte vorbei sein!
Von Heinrich Heine stammt der Satz: „Fatal ist mir das Lumpenpack, das, um die Herzen zu rühren, den Patriotismus trägt zur Schau, mit allen seinen Geschwüren.“
In diesen Tagen treibt der deutsche „Patriotismus“ – ob offiziell geplant und gewollt oder nicht – gerade bei der Verketzerung Rußlands und Putins tolle Blüten. Und daran sind nicht Haydn und Hoffmann von Fallersleben schuld.
Dem „Spiegel“ hatte Margot Scholz aus Bayern geschrieben: „Es ist, als hätte die gesamte Nation eine Gehirnwäsche erfahren, denn wie sonst ist dieses Affentheater mit Riesenaufwand zu erklären. Ja, es paßt zu dieser Scheinwelt, in der wir leben, und es ist diese rücksichtslose Übertreibung, die sauer aufstößt.“
Neben dem Fahnenmeer ist das „Deutschlandlied“ Teil der „patriotischen“ Euphorie.
Ist es in einer solchen Situation angebracht, über diese Hymne zu streiten?
Mindestens folgende Fragen müßten gestellt werden: Welche Traditionslinie setzt das „Deutschlandlied“ fort? Wie wurde es Staatshymne der Bundesrepublik? Welche Chancen ergaben sich 1989/ 90 für eine „gesamtdeutsche“ Hymne?
Das „Lied der Deutschen“ – den Text Hoffmann von Fallerslebens vertonte Joseph Haydn – wurde erst in der Weimarer Republik zur Nationalhymne. In der Zeit des „3. Reiches“ verknüpfte man das „Deutschlandlied“ mit dem Horst-Wessel-Lied der SA.
Hitler erklärte 1937 in Breslau: „So ist es denn auch gerade das Lied, das uns Deutschen am heiligsten erscheint … Denn welche schönere Hymne kann es geben als jene, die ein Bekenntnis ist, sein Heil und sein Glück in seinem Volk zu suchen und sein Volk über alles zu stellen, was es auf dieser Erde gibt.“
Was hätte näher gelegen, als dieser Traditionslinie ein Ende zu setzen! Für die DDR war das ebenso selbstverständlich wie für deutsche Antifaschisten, die das „Deutschlandlied“ auch vor 1945 niemals akzeptiert hatten.
Wie aber wurde es Staatshymne der Bundesrepublik?
Nach deren Gründung fiel zunächst noch keine Entscheidung in dieser Frage. Bundespräsident Theodor Heuss favorisierte einen neuen Text, doch Konrad Adenauer setzte sich mit seiner Forderung durch, das „Deutschlandlied“ zu küren. Das ist in einem Briefwechsel zwischen beiden Politikern im Jahr 1952 dokumentiert. Der Bundestag und die Bürger der BRD waren von all dem ausgeschlossen.
Adenauers Entscheidung erwies sich für die politisch am Ruder Befindlichen als vorteilhaft. Das zeigte sich erstmals beim „Wunder von Bern“ – dem Sieg der BRD-Mannschaft bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1954.
Die „Bunte Illustrierte“ (15/1954) jubelte damals: „Den Deutschen aber bricht das Lied aus der Brust, unwiderstehlich, soweit ihnen die Tränen der Freude nicht die Stimme im Hals ersticken, singen sie alle, alle ohne Ausnahme, das Deutschlandlied. Niemand, auch nicht ein einziger, ist dabei, der von ,Einigkeit und Recht und Freiheit‘ singt. Spontan, wie aus einem einzigen Munde kommend, erklingt es ,Deutschland, Deutschland über alles in der Welt‘.“
Zweifellos hat auch das „Deutschlandlied“ den „Eliten“der BRD geholfen, den kostspieligen und gefährlichen Kampf gegen die DDR psychologisch zu begründen und schließlich zu ihren Gunsten zu entscheiden. 1989 war die von den Nazis glorifizierte Hymne der BRD ein wichtiges psychologisches Element in Kohls Strategie der „Wiedervereinigung.“
Welche Chancen aber ergaben sich 1989/90 für eine „gesamtdeutsche“ Hymne?
Die einzige Erfahrung der zwei deutschen Staaten mit einer Hymne für beide war die Teilnahme einer gemeinsamen Olympiamannschaft in Tokio (1960) und Rom (1964). Damals erklang bei deutschen Siegen Schillers und Beethovens „Freude, schöner Götterfunken …“
Bis 1990 war „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt“ von Johannes R. Becher und Hanns Eisler die Hymne der DDR, wenngleich auch ein anderer Text inzwischen erwogen wurde. Gerade aber der alte, noch gültige Text wäre 1990 von hoher Aktualität gewesen.
Überdies gab es eher zaghafte Stimmen, die damals dafür plädierten, Brechts inspirierende „Kinderhymne“ (Anmut sparet nicht noch Mühe …) mit der Melodie Haydns als Nationalhymne zu wählen. Aber nach dem 11. Gebot – „Alles soll so werden, wie es die BRD verlangt!“ – wurde auch das „Deutschlandlied“ den DDR-Bürgern aufgezwungen.
Doch die Krupps und die Krauses waren nie „Brüder“. Das „Deutschlandlied“ sollte nur etwas vorgaukeln, was bis heute nicht existiert: Zu keinem Zeitpunkt handelte es sich um die Hymne aller Deutschen.
Von Ossietzky über Thomas und Heinrich Mann bis zu Ernst Thälmann reichte die Front derer, die dem deutschen Nationalismus die Idee der Völkerverständigung und des Internationalismus entgegenstellten. Es ist undenkbar, daß Antifaschisten in Konzentrationslagern und Zuchthäusern ihr Heil gerade in diesem Lied gesehen haben könnten. Später standen Millionen DDR-Bürger von Beginn an hinter den Worten ihrer Hymne: „… daß nie eine Mutter mehr ihren Sohn beweint“.
Und wie ging es den Menschen anderer Völker? Warum wird nicht einmal untersucht, welche Gefühle „Holocaust“-Opfer oder Franzosen, Briten, Polen, Russen und Griechen bei diesen Takten haben? Ist es etwa unwichtig, wie sie denken und fühlen? Oder gilt immer noch die Devise: „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“?
In dem nationalistischen Rausch, von dem jetzt große Teile der deutschen Bevölkerung erfaßt sind, dürfte ein sachlicher Streit, wie ihn Bundespräsident Horst Köhler gefordert hatte, noch schwieriger sein. Doch er ist heute nötiger denn je.
Übrigens hat sich die Schweiz in diesem Jahr per Volksabstimmung für eine neue Nationalhymne entschieden, die sich nach langer öffentlicher Diskussion als jene erwies, welche von den meisten Landesbürgern gebilligt wurde.
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