RotFuchs 205 – Februar 2015

Wahrheiten und Mythen über
Dresdens Zerstörung im Februar 1945

Dem Schicksal Hiroshimas
knapp entronnen

Dr. Klaus Schwurack

Am 13. Februar jährt sich zum 70. Mal die Zerstörung Dresdens durch anglo-amerikanische Bombenabwürfe. Auch diesmal gibt dieser Tag Anlaß zu Debatten, ob und auf welche Weise man des Ereignisses gedenken sollte. Seit mehreren Jahren begegnet man einer weitverbreiteten Auffassung, es gelte, einem „Mythos Dresden“ entgegenzutreten. Diese Vorstellung vertreten selbst einige Linke. Von den Aktivisten einer „Entmythologisierung“ Dresdens wird darauf verwiesen – und das zweifellos zu Recht – daß das faschistische Deutschland den 2. Weltkrieg entfesselt und Görings Luftwaffe zuvor Guernica, Coventry und Rotterdam bombardiert hatte. Das aber ist aus meiner Sicht nur ein Teil der Wahrheit und stellt eine gewisse Vereinfachung der Geschichte dar.

Der deutsche Faschismus entstand nicht im luftleeren Raum, sondern wurde vom eigenen Kapital wie von den Westmächten jahrelang aufgepäppelt. Sie hofften mit ihrer heimtückischen Politik des „Appeasement“ (Befriedung) die Aggressivität Nazideutschlands von sich abwenden und allein gegen die Sowjetunion richten zu können. Ohne Skrupel duldeten sie deshalb sämtliche Völkerrechtsbrüche, Provokationen und Annexionen der deutsch-faschistischen Führung. Das begann bereits mit dem Stillhalten beim Einmarsch der Wehrmacht in die entmilitarisierte Rheinzone, setzte sich in der „Nichteinmischung“ nach Francos, Hitlers und Mussolinis Überfall auf die Spanische Republik sowie der anschließenden Einverleibung Österreichs und dem Münchner Abkommen fort, mit dem die Tschechoslowakei Hitler zum Fraß vorgeworfen wurde. Zugleich lehnte „der Westen“ sämtliche Vorschläge der UdSSR zur Schaffung eines Systems der kollektiven Sicherheit ab.

Der 2. Weltkrieg war anfangs ein Zusammenprall zweier imperialistischer Koalitionen, wobei man die Unterschiede im Auge haben muß. Einige westliche Politiker verhehlten selbst in öffentlichen Reden nicht ihre Hoffnung, daß sich Deutschland und die Sowjetunion gegenseitig aufreiben würden. So erklärte der Senator und spätere USA-Präsident Harry S. Truman nur einen Tag nach dem Überfall der faschistischen Wehrmacht auf die UdSSR: „Wenn wir sehen, daß Deutschland gewinnt, sollten wir Rußland helfen, und wenn Rußland gewinnt, sollten wir Deutschland helfen. damit sich auf diese Art und Weise so viele wie möglich gegenseitig töten.“

Als ein Hauptargument für Zurückhaltung wird angeführt, Dresden sei schließlich „keine unschuldige Stadt“ gewesen. Auch wenn gewisse hierzu vorgebrachte Begründungen zutreffen, ändert das nichts am barbarischen Charakter des Angriffs auf eine wehrlose Zivilbevölkerung. (Spielte da etwa die Tatsache eine Rolle, daß Dresden bereits im Gespräch war, als einzig unzerstörte deutsche Metropole Teil der künftigen sowjetischen Besatzungszone zu werden?)

Übrigens lehnte die UdSSR, die ungleich mehr Opfer und Zerstörungen zu beklagen hatte, und deren Territorium die faschistischen Aggressoren jahrelang verwüsteten, Flächenbombardements gegen Städte prinzipiell ab.

Im Februar 1945 gab es an der bevorstehenden Niederlage des faschistischen Deutschlands keinen Zweifel mehr. Dresden galt nicht als Festung und mußte daher auch nicht von Truppen der Alliierten gestürmt werden. Dort befanden sich allerdings kriegswichtige Betriebe wie das Sachsenwerk sowie militärische Objekte und der durch die Luftwaffe genutzte Flugplatz. Doch diese Ziele sollten ja überhaupt nicht angegriffen werden.

Eine Luftaufnahme der britischen Royal Air Force (RAF), auf welcher der vorgesehene Bombardierungsbereich exakt eingezeichnet war, ließ erkennen, daß sich die Bombenabwürfe der westalliierten Geschwader auf das dicht besiedelte Zentrum der Elbestadt beschränkten.

Bei der ersten Angriffswelle wurden vor allem gewaltige Mengen von Brandbomben eingesetzt, die einen verheerenden Feuersturm entfachten. Rettungsuchende wurden von haushohen Flammenbarrieren eingeschlossen. Der zeitliche Abstand zwischen den beiden Angriffen – verfolgt wurde eine Strategie des Doppelschlags – war minutiös berechnet. Zwischen der ersten und der zweiten Welle durften nur etwa drei Stunden vergehen. Diese erfolgte, als die Lösch- und Rettungsarbeiten in vollem Gange waren und die faschistischen Nachtjäger (der Flakeinsatz erwies sich als bedeutungslos) noch nicht wieder starten konnten. Nun wurden hauptsächlich Sprengbomben auf die lodernde Stadt und deren wehrlose Einwohner abgeworfen. Es sollten so viel Menschen wie nur irgend möglich getötet werden.

Der Angriff leistete keinen Beitrag zu einer schnelleren militärischen Niederwerfung Hitlerdeutschlands oder zur effektiven Unterstützung der heranrückenden Roten Armee. Er war auch nicht, wie von imperialistischen Kreisen behauptet, mit Moskau in irgendeiner Weise abgesprochen.

Im Sommer 1944 wurde den Generalstabschefs der Westalliierten ein Memorandum zu einem besonderen, also in seiner Wirkung weit über die Folgen bisheriger Bombardements hinausgehenden Luftangriff auf eine deutsche Großstadt vorgelegt. „Dieser könnte ungeheure Zerstörungen hervorrufen, wenn sich der Angriff auf eine einzige große Stadt außer Berlin konzentrieren würde. Die Wirkung wäre besonders groß, wenn es sich dabei um eine Stadt handelte, die bis dahin nur relativ geringe Zerstörungen erlitten hätte“, hieß es in dem Beratungsdokument. Die geplante Operation erhielt die Bezeichnung „Thunderstorm“ (Gewitter).

Auf Anraten des Vereinigten Planungskomitees wurde die Umsetzung des Vorhabens bis zu einem Zeitpunkt aufgeschoben, in dem der Vereinigte Nachrichtenausschuß die Umstände für eine erneute Prüfung seiner Möglichkeiten als günstig erachten würde. Diese Zurückhaltung hatte Gründe: In den USA wurde nämlich seit Beginn der 40er Jahre fieberhaft an der Entwicklung einer Atombombe gearbeitet. Der Leiter des Projekts rechnete mit der Einsatzfähigkeit der ersten Massenvernichtungswaffe im Januar 1945.

Am 25. Januar empfahl der Vereinigte Nachrichtenausschuß dann dem britischen Premier Winston Churchill eine modifizierte Durchführung der Aktion „Thunderstorm“. Da die Atombombe noch nicht zur Verfügung stand, sollte sie mit konventionellen Waffen erfolgen.

Vom 3. bis 11. Februar 1945 tagte in Jalta die Krimkonferenz der Alliierten der Antihitlerkoalition. Churchill ging es darum, die Sowjetunion nach ihrem überzeugenden Erfolg bei der Weichsel-Oder-Offensive im Januar, der den anglo-amerikanischen Imperialisten äußerst ungelegen gekommen war, durch eine Demonstration westlicher Luftmacht in einen Schockzustand zu versetzen, um mit Moskau aus einer Position der Stärke verhandeln zu können.

Auf Grund ungünstiger Witterungsbedingungen mußte die Operation jedoch verschoben werden und konnte erst wenig später erfolgen. Damals rechneten die Westalliierten fest damit, daß der Krieg in Europa nicht vor der zweiten Jahreshälfte 1945 beendet sein würde. Wäre dies der Fall gewesen, hätten die USA mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ihre erste Atombombe über Dresden abgeworfen. Daß dieses Völkermordverbrechen nicht geschah, ist einzig und allein dem unerwartet schnellen Vormarsch der Roten Armee zu danken.

Es geht nicht um die Schaffung und Aufrechterhaltung eines angeblichen Mythos, nicht einmal um Dresden an sich, sondern um Tatsachen und Hintergründe, die heute nicht mehr den Geschichtsbüchern zu entnehmen sind. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Sie widersprechen dem antikommunistisch eingefärbten „Zeitgeist“ und sind in NATO-Kreisen deshalb unbequem.

Während des 2. Weltkrieges gab es in politischen Führungszirkeln Großbritanniens wie der USA einflußreiche Gruppierungen, die einen Separatfrieden mit Hitlerdeutschland anstrebten, um gemeinsam mit der Wehrmacht gegen die Sowjetunion zu marschieren. Churchill bekannte nach der Niederlage des faschistischen 3. Reiches ganz offen: „Wir haben das falsche Schwein geschlachtet.“

Den heutigen NATO-Verbündeten darf ein Schandfleck wie die Zerstörung der Kulturmetropole Dresden nicht länger anhaften. So muß das mörderische Flächenbombardement an der Elbe als eine „ganz normale militärische Operation“ dargestellt werden. In diesem Sinne erfolgte offenbar auch die von einer amtlich bestallten Dresdner Historikerkommission vor längerer Zeit betriebene Reduzierung der Zahl der Opfer der Luftangriffe auf 18 000 bis 25 000 sowie die Leugnung der Tieffliegereinsätze am 14. Februar 1945. Jetzt heißt es auf einmal, in Wirklichkeit habe es sich um Luftkämpfe zwischen Maschinen der U.S. Air Force und deutschen Jägern gehandelt. Diese These ignoriert sämtliche erschlossenen Quellen: Dokumente und Augenzeugenberichte jener, welche das Inferno er- und überlebten. Tatsächlich war den Piloten die ausdrückliche Erlaubnis erteilt worden, auch „Gelegenheitsziele“ mit Bordwaffen anzugreifen.

Welchen Grund gab es überhaupt, die in der DDR ermittelte und jahrzehntelang als gesichert geltende Zahl von 35 000 Toten in Frage zu stellen? Auf dem Dresdner Heidefriedhof sind 28 746 Opfer beigesetzt. Bekannt ist überdies, daß im Feuersturm sehr viele von ihm erfaßte Menschen buchstäblich verglüht sind.

Die „neueren Ermittlungen“ wurden über weite Strecken mit zweifelhaften, untauglichen Methoden geführt. Ihre Ergebnisse beruhen häufig auf falschen Prämissen und unbewiesenen Behauptungen. Auch wenn es nicht belegt werden kann, dürfte die Vermutung, daß es sich bei diesen „Recherchen“ um ein politisch motiviertes Auftragswerk gehandelt hat, nicht unbegründet sein.

Der Faschismus war keine Ausgeburt der „unergründlichen deutschen Volksseele“. Seine Wurzel ist der Imperialismus und nicht irgendeine nationale Wesensart. Die Bombardierungen von Guernica. Warschau, Coventry, Rotterdam, Leningrad und vielen anderen Städten durch Görings Luftwaffe waren daher nicht in erster Linie „deutsche“, sondern imperialistische Verbrechen. Dieser Maßstab muß ebenso an die Auslöschung der Dresdner Innenstadt angelegt werden. Er gilt auch für die US-Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Völkermordverbrechen sind unabhängig davon, ob sie von deutschen, englischen, amerikanischen oder anderen Imperialisten begangen werden, Ausgeburten des Systems. Daß Hitler zuerst England und Frankreich angegriffen hatte und die Sowjetunion im Rahmen der Antihitlerkoalition mit den Westalliierten ein den Sieg über den Faschismus ermöglichendes Bündnis eingegangen war, darf nicht zu Unschärfen bei der Wahrnehmung von Klassenpositionen verleiten. Die westlichen Alliierten erscheinen bei einer solchen Betrachtungsweise gewissermaßen als „natürliche Verbündete“ der Sowjetunion, während sie wie die UdSSR unterschiedslos als Opfer betrachtet werden. Das aber ist eine Vereinfachung. Zwischen den Westmächten und Nazideutschland bestand – bei allen Gegensätzen – ein gemeinsames Klasseninteresse an der Vernichtung der im Kriegsverlauf zur Großmacht gewordenen sozialistischen Sowjetunion.

Die Erfinder eines angeblichen Mythos Dresden blenden solche Tatsachen und Zusammenhänge völlig aus, hauen andererseits aber in die Kerbe der „Antideutschen“, wenn sie um „Verständnis“ für die Bombardierung Dresdens werben und dabei die These übernehmen, die Toten des Februar 1945 seien ja selbst Täter gewesen. Jene, welche die Bevölkerung einer ganzen Stadt auf solche Weise zu etikettieren versuchen und die es „Opfermythos“ nennen, wenn es um das Gedenken an die damals qualvoll Gestorbenen geht, verleugnen damit jegliche Humanität. Wer auf Transparenten und Plakaten Parolen wie „Bomber Harris, do it again!“ (Bomber Harris, tu es noch einma!) oder „No tears for krauts“ (Keine Tränen für Deutsche) zur Schau stellt, ist kein Antifaschist!

Die neuen Nazis verfälschen die Geschichte des Dresdner Infernos vor allem durch das Unterschlagen der historischen Wahrheit. Sie verschweigen, daß der Krieg vom Hitlerfaschismus ausging und auf Deutschland zurückschlug. Sie leugnen damit auch dessen Hauptschuld an der Zerstörung Dresdens.

Doch es ist durchaus ein Unterschied, ob man die grundsätzliche Mitverantwortung eines Volkes an erwiesenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen anerkennt oder ob man es ohne jede Differenzierung als Täter bezeichnet. Menschen, welche die These „Es geschah ihnen recht!“ ablehnen und ihrer zerfetzten, erschlagenen, zerquetschten, verbrannten und erstickten Angehörigen oder Vorfahren ehrenvoll gedenken, werden von Leuten, die allein ihre spätere Geburt vor diesen Greueln bewahrte, unberechtigt diffamiert. Auch das ist eine Form von Geschichtsrevisionismus, der Verfechtern neuer Varianten des Faschismus in die Hände spielt. Ihn charakterisierte Georgi Dimitroff einst als Herrschaft der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen und am meisten imperialistischen Kreise des Finanzkapitals.

Die seit Jahren in Dresden stattfindenden „Versöhnungs“-Rituale mit weißen Rosen, Kerzen und Menschenketten blenden die Tatsache aus, daß die einst Verantwortlichen für die Bombenteppiche über der Elbestadt und die Auslöschung Hiroshimas wie Nagasakis auch in Korea, Vietnam, Jugoslawien, Irak, Afghanistan und Syrien in gleicher imperialistischer Manier verfuhren und verfahren.