Welche Rolle spielt der Internationale Strafgerichtshof?
Den Haag ist nicht Nürnberg!
In einer Zeit, in der sich die Tagespolitik fast ausschließlich mit Krisen und Kriegen beschäftigt, werden Völkerrechtsverbrechen und der Bruch elementarer Menschenrechtsnormen zur Gewohnheit. Man nimmt sie gewissermaßen als Begleiterscheinungen des politischen Geschehens hin, weil ja ohnehin niemand zur Verantwortung gezogen wird. Die Eigenschaft des menschlichen Verstandes, Autoritäten und Entscheidungen zu hinterfragen, ist vielen leider abhanden gekommen. Eine perfide Propaganda entzieht ihnen die Fähigkeit, über Zusammenhänge tiefer nachzudenken, zumal sich das Leben der meisten auf einen reinen Existenzkampf reduziert hat. Der verbleibende Rest an frei verfügbarer Zeit wird immer mehr mit Late-Night-, Talk-, Dschungel- und Ekel-Shows sowie Videospielen vergeudet. Da bleibt für eigenes Denken kein Platz. Begriffe wie Recht und Gesetz werden von den Herrschenden bagatellisiert oder instrumentalisiert, wenn sie ins Bild passen, um noch so abstruse Ziele oder Geschehnisse zu rechtfertigen.
Dabei war nach dem durch Hitlerdeutschland vorbereiteten und ausgelösten Zweiten Weltkrieg durchaus ein Anfang gemacht worden, um beiden Kategorien wieder Geltung zu verschaffen. Sie bildeten die Grundlage, um Genozidverbrecher und deren Handlanger zur Verantwortung ziehen zu können. Entsprechende Zeichen setzte der Nürnberger Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher – die kriminelle „Elite“ der deutschen Faschisten.
Mit Hilfe eines neuen demokratischen Völkerrechts wollte man Kriege und damit verbundene Greueltaten a priori unterbinden. Getragen von allen Nationen der Welt, jenseits kultureller und moralischer Unterschiede, sollte es Konsens der Staaten sein, den Krieg als Mittel der Politik zu ächten.
Wie wir wissen, sieht die Realität leider ganz anders aus. Allein der Blick auf Afghanistan, Syrien und Irak läßt uns das Blut in den Adern stocken und angesichts des dort alltäglichen Todes Unschuldiger verstummen. Seit 1945 sind nach seriösen Schätzungen etwa 11,8 Millionen Menschen – davon 93 % Zivilisten – bei überwiegend vom Imperialismus angezettelten bewaffneten Konflikten ums Leben gekommen.
2002 wurde aufgrund des Statuts von Rom ein Internationaler Strafgerichtshof (IStGH) mit Sitz in Den Haag gegründet. Er sollte eine Strafgerichtsbarkeit schaffen, die verhindert, daß Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verbrechen gegen den Frieden ungesühnt begangen werden können. Überführte Täter sollten nach einem ordentlichen Verfahren schuldig gesprochen werden.
Das Statut von Rom wurde indes nur durch 123 Staaten ratifiziert. In bezug auf deren Bürger darf der IStGH tätig werden – vorausgesetzt, daß die jeweilige nationalstaatliche Gerichtsbarkeit die Tat nicht bereits selbst geahndet hat. Obwohl dieses Tribunal keineswegs antiimperialistische Züge trägt, sind die Vereinigten Staaten einer seiner Hauptgegner. Der Kongreß in Washington hat sogar ein Gesetz erlassen, welches es den USA gestattet, in Den Haag angeklagte eigene Staatsbürger mit Waffengewalt zu befreien.
In einer so verworrenen Situation, die eher an Franz Kafkas „Prozeß“ als an normales juristisches Gebaren erinnert, darf es nicht verwundern, wenn Leute wie George W. Bush und Barack Obama oder Israels Benjamin Netanjahu das Völker- und Strafrecht nur dann achten, wenn es ihren Zwecken dient, es sonst aber ohne Skrupel brechen. So ist der helle Schein, der einst von Nürnberg aus einen neuen Weg friedvoller Beziehungen zwischen den Völkern und Staaten beleuchten sollte, in weiten Regionen der Welt längst erloschen.
Die „neuen Kriege“, über die in Filmen wie „Avangers“ noch phanta-siert wurde, sind von der Wirklichkeit längst eingeholt worden. Staatliche Mordkommandos machen auf echte und vermeintliche „Feinde“ Jagd. Bewaffnete Drohnen, die Verdächtige über Handy-Signale orten und mit Hellfire-Raketen bei „Signature Strikes“ in die Luft jagen, ein grenzenloser digitaler und optischer Überwachungsapparat, der weltweit und zeitlich unbegrenzt die intimsten Daten von Nutzern sammelt, gehören inzwischen zum täglichen Szenario. All das geschieht ohne Wissen der Öffentlichkeit und jenseits jeglicher ziviler Kontrolle, stets lautlos und immer tödlich für anvisierte Opfer wie Unbeteiligte.
In seinem neuen Buch „Killing Business“ beschreibt der Journalist und Pulitzerpreisträger Mark Mazzetti die Schattenkriegsökologie von CIA und NSA. Diese sind längst zu treibenden Kräften globaler Gewaltanwendung geworden. Während die Foltermethoden des Auspeitschens oder Daumenschraubenanlegens inzwischen durch Waterboarding, permanenten Schlafentzug oder Dauerlärmbeschallung „verfeinert“ worden sind, wird auch der „Krieg der Zukunft“ immer hochgradiger automatisiert. Da das Töten per Drohne Kosten sparen soll, hat die Rüstungsindustrie die Zusammenarbeit mit jenen, welche sie am häufigsten einsetzen, forciert. Neue Generationen von Tötungsautomaten sind bald reif zur „praktischen Erprobung“.
Mit der Bezeichnung X-47 B soll eine Drohne zur Verfügung stehen, die in der Lage ist, ohne menschliche Hilfe und Anweisung selbst Ziele auszusuchen, nach Wichtigkeit zu ordnen und zu entscheiden, ob es sich um Freund oder Feind handelt. Nach welchen Kriterien das geschehen soll, ist vorerst unbekannt. Der automatische Krieg rückt immer näher: „Selektion unwerten Lebens“ per Joystick … Da brauchen Faschisten keine Auschwitz-Rampen mehr. Der Tod kommt unverbindlich vorbei, wo man sich auch verkriecht.
Damit der menschliche Verstand schließlich doch noch die Oberhand über grenzenlose Gewalt auf unserem durch Raubbau aufs schwerste geschädigten Planeten Erde gewinnt und am Ende Sieger bleibt, gilt es unablässig Alarm zu schlagen und alle Vernünftigen wachzutrommeln, ehe es zu spät ist.
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