Der 2. Weltkrieg aus Sicht
eines polnischen Marxisten
Der Beitrag polnischer Antifaschisten im Waffenrock zur Niederwerfung Nazideutschlands bleibt unvergessen. Zu den Befreiern Berlins gehörte die 1. Polnische Armee, deren Kämpfern in der Hauptstadt der DDR ein eindrucksvolles Denkmal gewidmet wurde. Am 8. Mai 2015 ehrten dort Deutsche und Bürger anderer Nationen wiederum die polnischen Helden.
Der marxistische Politologe und Historiker Prof. Zbigniew Wiktor aus Wrocław war Vorsitzender des Bundes Polnischer Kommunisten, dessen Zulassung von der Regierung nicht erneuert wurde. Seit deren Neugründung gehört er zu den prägnantesten Persönlichkeiten der Kommunistischen Partei Polens. Er veröffentlicht regelmäßig Beiträge in der Zeitschrift „Brzask“, des trotz Verbots kommunistischer Symbole nach wie vor mit Hammer und Sichel erscheinenden Blattes der KPP.
Der folgende Beitrag wurde einem größeren Artikel des Autors entnommen.
Der Zweite Weltkrieg war ein Ergebnis wachsender sozialökonomischer Widersprüche zwischen den imperialistischen Hauptmächten, zu denen die USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland sowie Japan im Fernen Osten gehörten. Diese hatten sich während der großen Krise der Jahre 1929–1933 verschärft, durch die ganze Wirtschaftszweige zusammengebrochen und Millionen Menschen arbeitslos geworden waren. Die Kluft zwischen der Großbourgeoisie und dem arbeitenden Volk wuchs, während sich zugleich die Widersprüche zwischen den Metropolen und der Peripherie verschärften. Der Kampf um eine Neuaufteilung der Welt zeichnete sich ab, wobei der deutsche Faschismus in Europa zur treibenden Kraft wurde. Sein Ziel bestand darin, die Ergebnisse des Versailler Vertrages rückgängig zu machen und „neuen Lebensraum“, besonders im Osten, zu erobern, wobei sich das Ganze auf einer eindeutig antikommunistischen Plattform vollzog. Das brachte den deutschen Faschisten die Unterstützung der reaktionärsten Gruppen der internationalen Bourgeoisie ein. Das Weltkapital – zwar national getrennt und jeweils eigene Ziele anstrebend – war sich in einem einig: die antikapitalistischen Kräfte zu zähmen und besonders die kommunistische Bewegung und den seinerzeitigen „realen Sozialismus“ – die Sowjetunion – als politischen Gegner auszuschalten. Rivalisierende imperialistische Staaten kämpften um die Vorherrschaft, für neue Märkte, Kolonien und die Ausbeutung ganzer Nationen, während sie zur selben Zeit darin übereinstimmten, daß ihr Klassenfeind, die UdSSR, zu vernichten sei.
Die Pläne und Programme für eine Ausdehnung Nazideutschlands wurden seit 1933 ausgearbeitet. Sie visierten Ziele an, die Hitler in seiner Schrift „Mein Kampf“ bereits verkündet hatte. Diese wurden durch die Remilitarisierung Deutschlands, den Aufbau der Wehrmacht, die Einnahme des Rheinlandes, den Anschluß Österreichs im Jahre 1938, das Münchner Diktat und die Inbesitznahme des Sudetengebietes im September/Oktober 1938 sowie durch die Okkupation der als „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“ „ausgedünnten“ Tschechoslowakei in die Praxis umgesetzt. Zur selben Zeit riß Deutschland Klajpeda (Memel) von Litauen los und stellte Forderungen auf einen Anschluß Danzigs an das Reich wie auf den sogenannten Pommerschen Korridor, wobei es mit den Vorbereitungen für eine Aggression gegen Polen begann. Diese erfolgte am 1. September 1939.
Aktive Schritte in diese Richtung wurden bereits 1936 bis 1939 in Spanien unternommen, als Hitler und Mussolini den Truppen Francos zu Hilfe eilten. Im September 1939 wurde Polen überfallen. Der westliche Teil des Landes wurde dem Reich direkt angeschlossen. Andere Gebiete erklärte man zum sogenannten Generalgouvernement. Das war de facto eine deutsche Kolonie, deren Einwohner sämtlicher Grundrechte beraubt und brutal ausgebeutet wurden. Der östliche Teil Polens, mehrheitlich von Ukrainern, Belorussen, Juden und Litauern bewohnt, wurde von der UdSSR besetzt. Im Verlauf des Krieges und der Okkupation wurden von den deutschen Faschisten sechs Millionen polnische Bürger ermordet und 38–40 % des polnischen Wirtschaftspotentials (bei der Industrie waren es sogar 66 %) zerstört. Den Nazi-Plänen zufolge war Polen als Staat und Nation zur Auslöschung verurteilt. Dasselbe Schicksal erwartete Juden und andere Slawen.
In der Historiographie des Zweiten Weltkrieges beginnt der große Zusammenprall mit dem Angriff Nazideutschlands auf Polen am 1. September 1939. Das Land führte fast einen Monat einen Verteidigungskrieg, wobei es schwere Verluste erlitt. In seinem Widerstand gegen die Deutschen rechnete Polen mit dem raschen Eintritt Frankreichs und Großbritanniens in den Krieg und der Schaffung einer starken westlichen Front. Beide genannten Staaten waren durch noch im August 1939 abgeschlossene Militärverträge dazu verpflichtet. Am 3. September erklärten sie Deutschland den Krieg, ohne jedoch die Absicht zu verfolgen, sich in ihn verwickeln zu lassen. Es war der sogenannte seltsame Krieg (Drôle de guerre), als sich die Franzosen in den Forts ihrer Maginot-Linie verschanzten und eine defensive Strategie verfolgten. Die französische und die britische Luftwaffe beschränkten sich auf Erkundungsflüge.
Am 13. September trafen sich die Regierungschefs von Frankreich und Großbritannien in Abbeville. Ein Geheimprotokoll bestätigte ihre Auffassung, daß Polen verloren sei und es sich unter solchen Bedingungen nicht lohne, dieses Land zu verteidigen. Die Westmächte hofften, daß Hitler nach der Eroberung Polens weiter ostwärts gehen und die Sowjetunion angreifen würde.
Am 17. September nahm die UdSSR die östlichen Regionen Polens in Besitz, wobei die Grenze zu Deutschland etwa entlang der einstigen „Curzon line“ an den Flüssen San, Bug, Narew und Pisa verlaufen sollte.
Der bürgerliche polnische Staat war zusammengebrochen, aber die polnische Nation hatte ihren Kampf für die Unabhängigkeit nicht aufgegeben. Im Oktober 1939 schuf W. Sikorski in Frankreich eine polnische Exilregierung und begann mit dem Aufbau eigener Streitkräfte. Im Land selbst entwickelte sich der Widerstand.
1939 war der Zweite Weltkrieg de facto noch ein polnisch-deutscher Krieg. Nachdem sich aber im April und Mai 1940 deutsche Aggressionen auch gegen Dänemark, Norwegen und später Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Frankreich gerichtet hatten, wurde daraus ein europäischer Krieg. Im Juni, als England angegriffen wurde, dehnte sich der Krieg auch auf dessen Kolonien aus. Im Frühjahr 1941 erreichte er den Balkan, im April Jugoslawien und im Mai Griechenland. Doch wirklich global wurde er erst am 22. Juni 1941, als Nazideutschland in die UdSSR einfiel und Japan einige Monate später den US-Marinestützpunkt Pearl Harbor auf Hawaii attackierte. Zur selben Zeit erklärte Deutschland den Vereinigten Staaten den Krieg. Im Fernen Osten eroberte Japan weite Gebiete Chinas, Korea, Hongkong und Singapur, Indochina, Burma, die niederländische Kolonie Indonesien, die Philippinen und Inselgruppen im Westpazifik. Als Folge dessen flammten Aktionen des Widerstandes weltweit auf. In Europa dauerte der Krieg bis zum 8. Mai und in Asien bis zum 2. September 1945.
Die militärischen Ziele des deutschen Imperialismus im Krieg gegen die UdSSR („Fall Barbarossa“) bestanden in der Zerschlagung der Sowjetunion, besonders ihrer Roten Armee, sowie in der strategischen Inbesitznahme der Ukraine, der baltischen Staaten, der Moldau, der Kaukasus-Republiken und Rußlands bis zum Ural. Die „Beschränkungen“ hingen mit der Annahme zusammen, der Krieg werde auf einer Linie von Astrachan entlang der Wolga und der nördlichen Dwina bis nach Archangelsk geführt. Erste strategische Ziele wurden von Görings Luftwaffe bombardiert, während der militärisch-politische Raum nach dem vorhergesagten Sturz der Sowjetmacht Schritt für Schritt erobert werden sollte. Dabei gab es ein Agreement mit Japan über Einflußzonen beider Staaten. Militärisches Hauptziel war ursprünglich, die Sowjetunion durch einen „Blitzkrieg“ schon im Sommer 1941 niederzuwerfen.
Die faschistische Verwaltungsplanung für die Zeit nach dem Krieg ging von der Teilung der UdSSR in Sonderregionen, sogenannte Reichskommissariate Ostland, Ukraine, Moskau, Kaukasus, Krim und andere in der Wolga-Region wie im Ural aus. Anvisierte Ziele waren die Ausrottung von fünf Millionen Juden und 31 Millionen Slawen, Massenumsiedlungen nach Sibirien bei gleichzeitiger deutscher Kolonisierung von Teilen Polens, der Tschechoslowakei, der Ukraine, der Krim und der baltischen Staaten. Die verbleibende Bevölkerung wollte man in moderne Sklaven verwandeln, die für das „Tausendjährige Deutsche Reich“ arbeiten sollten.
Der vom Hitlerfaschismus ausgelöste Krieg war in der menschlichen Geschichte ohne Beispiel. Er besaß totalen Charakter, fügte den betroffenen Staaten und Völkern unermeßliche materielle Verluste zu und zielte auf die physische Ausrottung des Gegners. 50–60 Millionen Menschen fanden den Tod, 45 Millionen wurden verwundet, 20 Millionen blieben als Waisen zurück.
Die meisten Kriegstoten zählte man in der UdSSR (bis zu 27 Millionen Menschen), in Polen (nahezu 6 Millionen), in Jugoslawien (1,7 Millionen), in Frankreich (650 000), in Griechenland (520 000), in Großbritannien (370 000) und in Tschechien 200 000. Auch die Verluste der Aggressorstaaten waren gewaltig. Die deutschen Verluste betrugen bis zu 10 Millionen Menschen, Italien verlor 410 000, Rumänien 460 000, Ungarn 420 000, Finnland 800 000, die Slowakei 210 000 und Österreich 200 000. In Asien zahlte China mit 10 Millionen Menschen den höchsten Blutzoll, etwa 2 Millionen Japaner fanden den Tod. Die Opferbilanz der USA betrug 322 000 und die Kanadas 30 000.
Die faschistische Besatzung wandte das Instrument der Zwangsarbeit an, Berlin führte den Begriff „Fremdarbeiter“ ein. Während Mitte Mai 1940 „nur“ 1,2 Millionen Verschleppte gezwungen wurden, gegen ihren Willen in Nazideutschland zu schuften, waren es 1941 schon 3 Millionen, 1942 etwa 4,1 Millionen, 1943 bereits 6,3 Millionen und im August 1944 sogar 7,5 Millionen.
Deutsche Konzerne zogen aus der Verwaltung besetzter Gebiete riesige Extraprofite. So stiegen sie bei ausgewählten Unternehmen 1942 – verglichen mit 1937 – folgendermaßen: Deutsche Bank AG: 227,9 %, IG Farben: 160,7 %, Daimler Benz: 223,5 %. Mannesmann-Röhrenwerke: 142,4 %, Krupp AG: 152,2 %, Mitteldeutsche Stahlwerke: 186,4 % und Hoesch AG: 155,8 %.
Die Staaten, die der Antihitlerkoalition angehörten oder sich ihr angeschlossen hatten, standen unterschiedlich lange im Kampf gegen die deutschen Faschisten: Der polnische Widerstand währte 2079 Kriegstage im eigenen Land, auf sowjetischem Boden, im Westen und an afrikanischen Fronten. Strategisch aber leistete die UdSSR vom 22. Juni 1941 bis zum Mai 1945 und anschließend im Krieg gegen Japan bis zum 2. Oktober 1945 auf einer Frontbreite zwischen 3000 bis 6200 Kilometern den größten Beitrag zur Niederwerfung des Aggressors. Sie stand ihm mit 93 % ihrer Streitkräfte an allen Fronten gegenüber.
Der Kampf gegen den Faschismus wurde nicht nur von regulären Militäreinheiten, sondern auch von Partisanen und Kämpfern der Résistance auf besetzten Territorien geführt, so daß im Rücken der Front der Widerstandsgeist gestärkt und Nazideutschland zur Unterhaltung eines riesigen Terrorapparats gezwungen wurde. Die erste Gegenwehr dieser Art flammte im besetzten Polen schon kurz nach der Niederlage auf. Kleinere Militäreinheiten wurden in Partisanengruppen umgewandelt. 1940 entstand die Union des bewaffneten Kampfes, die man später als Heimatarmee bezeichnete. Ihre Loyalität galt der Londoner Exilregierung. Demgegenüber schuf die Polnische Arbeiterpartei (PPR) im Jahre 1942 ihre eigenen bewaffneten Kräfte, aus denen sich später die Volksarmee unter kommunistischer Führung entwickelte. Im okkupierten Polen gab es überdies eine starke bäuerliche Partisanenbewegung. Insgesamt ging man bei Einbeziehung der 50 000 kommunistischen Guerillakämpfer von etwa 350 000 polnischen Partisanen aus. Insgesamt 1,93 Millionen Partisanen kämpften auf von den Faschisten besetztem sowjetischem Territorium, besonders in Belarus, 500 000 in Jugoslawien, 500 000 in Frankreich, 462 000 in Italien, 250 000 in Bulgarien, 140 000 in Griechenland, 80 000 in der Tschechoslowakei, 70 000 in Albanien, 75 000 in Dänemark, kleinere Kontingente auch in den Niederlanden und Ungarn. Zu gewissen Zeiten banden sie in ihrer Gesamtheit zwischen 29,5 und 31,1 Prozent der Streitkräfte Nazideutschlands.
Nach 1945 trat die Welt in eine Periode volksdemokratischer, antikapitalistischer und sozialistischer Revolutionen ein. Die Gemeinschaft der sozialistischen Staaten unter Führung der Sowjetunion zählte ein Drittel der Menschheit. Die chinesische Revolution kulminierte in der Gründung der Volksrepublik China. Starke kommunistische Parteien in einer Reihe kapitalistischer Länder sowie die anschwellende Volksbefreiungsbewegung auf noch kolonialem Territorium traten auf den Plan, die Möglichkeiten des Weltimperialismus wurden zunehmend eingeschränkt. Europa erlebte mehr als ein halbes Jahrhundert des Friedens. Doch der Imperialismus kapitulierte nicht. Seit 1949 ging er zum Kalten Krieg in Europa und zu äußerst blutigen Aggressionen in Korea und Vietnam über. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des realen Sozialismus in Europa folgten imperialistische Kriege gegen Irak, Afghanistan, Jugoslawien, Libyen, Syrien und jetzt in der Ukraine. Anvisiert bleiben Iran, die KDVR, Kuba und andere fortschrittliche Staaten. Die Drohung eines neuen globalen Krieges mit beispiellosen Verlusten an Leben und materiellen Werten schwebt über der Menschheit.
Alle fortschrittlichen Kräfte sollten sich im Kampf gegen den Krieg, für Frieden, sozialen Fortschritt und Sozialismus vereinigen.
Übersetzung aus dem Englischen, Kürzung und redaktionelle Bearbeitung: Klaus Steiniger
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