Die Theorie von den zwei Extremismen
kennt nur einen Gegner
„Der Fall Rot“
Seit dem 3. Oktober 1990 bemüht man sich mit einem jährlichen Kostenaufwand von etwa 100 Millionen Euro darum, einem zum Teil unbeleckten Publikum die verblichene DDR als Ort höllischer Qualen einzuprägen, damit es die Torturen des täglichen Überlebenskampfes im real existierenden Kapitalismus der BRD als geradezu paradiesisch empfindet. So wurde Merkels „Kultur“-Staatssekretär Bernd Neumann – ein Experte in Sachen politischer Unkultur – schon zu Jahresbeginn einmal mehr in die Spur geschickt. Am 9. Januar tat er kund, man habe höheren Ortes beschlossen, „mit einer stärkeren Aufklärung über die DDR-Geschichte der Verharmlosung der SED-Diktatur entgegenzuwirken“.
Eine Schlüsselfunktion bei der Verunglimpfung der DDR hat die sogenannte Extremismustheorie. Ihrer Pflege widmet sich seit 1993 vor allem das in Dresden angesiedelte Hannah-Ahrendt-Institut für Totalitarismus-Forschung. Prof. Horst Schneider hat bereits wiederholt im RF auf dessen Rolle mit substantiellen Beiträgen hingewiesen. Die Mission dieser Einrichtung besteht darin, den Hitlerfaschismus mit der DDR-„Diktatur“ gleichzusetzen. Dazu bedient man sich eines Hufeisen-Schemas. In der Mitte befinden sich die staatstreuen Bürger und Parteien sowie andere systemkonforme Kräfte, darunter auch die Kirchen, während an den beiden Rändern – rechts und links – die Extremisten angesiedelt sind. Diesen wird gleichermaßen schroffe Ablehnung der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ sowie die Verteidigung von „Instrumentarien beider Diktaturen“ – der faschistischen wie der „kommunistischen“ – bescheinigt. Natürlich ordnet man die Unterdrückung der Meinungsfreiheit – für den Faschismus systemtypisch – auch dem Sozialismus zu. Die „Extremismustheorie“ unterschlägt indes die fundamentalen Unterschiede beider Positionen: Die Kernfrage des Eigentums an den Produktionsmitteln und der soziale Antagonismus – die unüberbrückbare Kluft zwischen Bourgeoisie und Proletariat – werden völlig ausgeblendet. Bei den Attacken auf den „Kommunismus“ bleibt außer Betracht, daß es eine solche Gesellschaft bisher noch nirgends auf der Welt gegeben hat. Während man den Faschismusbegriff meidet und irreführenderweise vom „Nationalsozialismus“ spricht, operiert man zugleich mit dem Wort „Stalinismus“.
Der Griff zum Faschismus als „Ultima ratio“ des in höchste Bedrängnis geratenen Kapitals, das seine Herrschaft mit den bevorzugten Instrumenten der bürgerlichen Demokratie nicht mehr aufrechtzuerhalten vermag, wird verschleiert. Die Frage, wer Hitler an die Macht brachte, bleibt im Nebel. Was mit dessen „Eliten“ nach 1945 im westlichen Teil Deutschlands geschah, wird ebenfalls verschwiegen.
Die im Grundgesetz festgeschriebene freiheitlich-demokratische Ordnung wird von den Verfechtern der Extremismustheorie dadurch untergraben, daß sie den Sinn dieser mühsam erkämpften Abwehrrechte des Bürgers in Rechte des Staates gegen den Bürger umkehren. Sie diffamieren jede fundamentale Kritik an den herrschenden Verhältnissen als zu ahndenden „Extremismus“. Obwohl das Grundgesetz keine Verewigung des kapitalistischen Privateigentums vorschreibt, attackieren sie jegliche auf sozialen Wandel gerichtete Aktivitäten.
Ausgeblendet werden von ihnen die Extremismen der sogenannten bürgerlichen Mitte. Nicht grundlos stellte die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung 2010 in ihrer Studie „Die Mitte in der Krise“ ein Anwachsen von „dezidiert antidemokratischen und rassistischen Einstellungen“, eine „Zunahme sozialdarwinistischer Ungleichwertigkeitsvorstellungen“ sowie eine „wachsende Zustimmung zu rechtsextremen Ideologien“ in diesem Milieu fest. Der zur CDU konvertierte Ex-Grüne Oswald Metzger behauptet z. B., ALG-II-Bezieher sähen ihren Lebenssinn allein darin, „Kohlehydrate und Alkohol in sich hineinzustopfen, vor dem Fernseher zu sitzen und das gleiche den eigenen Kindern angedeihen zu lassen“, welche dann „verdickt und verdummt“ aufwüchsen. Thilo Sarrazin (SPD) vertritt die nicht minder verleumderische These, „eine große Zahl an Arabern und Türken“ besitze „keine produktive Funktion außer für den Obst- und Gemüsehandel“. Solche Ausbrüche widerspiegeln die faschistoide Radikalisierung von Teilen der als „nichtextremistisch“ eingestuften „sozialen Mitte“. Das ausdrückliche Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist dieser übrigens nie abverlangt worden.
Man muß überdies fragen, ob Angriffskriege, der bereits beschlossene Einsatz der Bundeswehr im Innern und das rabiate Vorgehen der Polizei gegen Antifaschisten, die sich Nazis entgegenstellen, mit dieser Grundordnung vereinbar sind.
Ziehen wir das Fazit. Wer ist ein Extremist?
Jener, welcher Bomben auf afghanische Männer, Frauen und Kinder werfen läßt und dafür zum Brigadegeneral befördert wird, oder einer, der zum Widerstand gegen eine in Aggressionen verstrickte Armee aufruft?
Eckhard Jesse, Experte in Sachen Extremismustheorie, wird stets herangezogen, wenn es darum geht, die DDR mit dem Hitlerfaschismus gleichzusetzen. Er arbeitet dem Vernehmen nach eng mit gewissen Stellen zusammen, da einige seiner Publikationen als „ausschließlich für den Behördengebrauch“ gekennzeichnet sind. Das verwundert ebensowenig wie die inzwischen landesweit bekannte Verdunkelung des Agierens von Zellen des Naziuntergrundes durch Verfassungsschützer.
Die Verfechter der These von den zwei Extremismen waren stets unipolar orientiert. Ihr Kompaß zeigte, wen sie allein als Gegner ihres Systems betrachteten: „Der Feind steht links!“ Der langjährige CSU-Potentat und zeitweilige Bonner Kriegsminister Franz-Joseph Strauß faßte das in seiner bayerisch-direkten Art seinerzeit in die Worte, er kenne „nur mehr einen einzigen Fall, das ist der Fall Rot“.
In den Augen solcher Leute bin ich als ein extremer Gegner des Krieges, der Ausbeutung und der Volksverdummung durch die Medien der Herrschenden mit Gewißheit ein „linker Extremist“ – eine Kategorisierung, mit der ich gut leben kann.
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