RotFuchs 215 – Dezember 2015

Folgen des West-Ost-Konflikts
für Deutschland, Europa und die Welt

Der Gewinner steht fest

Dr. Wolfgang Bittner

Der Euro befindet sich im Verhältnis zum Dollar auf einem Tiefststand. Der Ost-Aus­schuß der Deutschen Wirtschaft meldete im Mai: „Die deutschen Exporte nach Rußland gingen 2014 um 18 Prozent auf 29,3 Milliarden Euro zurück … In den ersten beiden Monaten 2015 gingen die deutschen Rußland-Exporte sogar um mehr als ein Drittel zurück. Für das Gesamtjahr 2015 ist ein Rückgang der deutschen Ausfuhren um 15 bis 20 Prozent möglich.“ Dennoch werden die schwerwiegenden Folgen der erneuten Aggressionspolitik gegenüber Rußland in Politik und Medien weitgehend verschwiegen.

Der Chefanalyst der Bremer Landesbank, Folker Hellmeyer, erklärte in einem Interview (siehe RF214), zur Zeit bauten die aufstrebenden BRICS-Länder ein eigenes, von den USA weitgehend unabhängiges Finanzsystem auf, dort liege die Zukunft. Hellmeyer nennt Zahlen: „1990 hatten diese Länder einen Anteil von circa 25 % an der Weltwirt­schaftsleistung. Heute stehen sie für 56 % der Weltwirtschaftsleistung, für 85 % der Weltbevölkerung. Sie kontrollieren circa 70 % der Weltdevisenreserven. Sie wachsen pro Jahr im Durchschnitt mit 4 % bis 5 %.“ Der Analyst ist überzeugt: „Die Achse Moskau-Peking-BRICS gewinnt.“ Je länger die EU die bisherige Sanktionspolitik verfolge, desto höher werde der Preis sein.

Der faschistische Rechte Sektor versammelte sich auf dem Kiewer Maidan, um von Poroschenko noch mehr Einfluß auf die Macht zu verlangen.

Auch andere Finanz- und Wirtschaftsexperten warnen vor den Folgen der Sanktionen und der Aggressionen gegenüber Rußland, so beispielsweise der Investor Mattias Westmann in einem Gastbeitrag für „Focus-Money“: „Jetzt wirft sich aber die Frage auf: Unter welchen Bedingungen können die Sanktionen wieder aufgehoben werden? Geschieht dies nur dann, wenn Rußland die Krim wieder an die Ukraine zurückgibt, dann würden sich die Strafmaßnahmen als immerwährend erweisen. Schließlich unterstützt die lokale Krim-Bevölkerung die Wiedervereinigung mit Rußland zu über 90 Prozent. Und auch angesichts der Lage in der Ostukraine würden die Menschen auf der Krim eine Rückkehr zu den alten Verhältnissen nicht akzeptieren. Darüber hinaus ist für Rußland der Marinestützpunkt Sewastopol sehr wichtig – sowohl in strategischer als auch in nostalgischer Hinsicht.“

Bemerkenswert, wie Westmann Moskaus Position einschätzt: „Aus russischer Sicht ist es nun einmal so, daß es zum Handeln gezwungen wurde durch einen Staats­streich, der von ausländischen Mächten unterstützt wurde, und der sowohl Rußlands wesentliche Sicherheitsinteressen bedrohte als auch das Wohl der russischspra­chigen Bevölkerung in der Ukraine. Rußlands Vorgehen war in diesem Sinne defensiv, nicht offensiv.“

Beeindruckend ist diese Stellungnahme, wie auch die von Reinhard Merkel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 7. April 2015 zur angeblichen Annexion der Krim insofern, als sonst ganz andere martialische Töne in Medien wie „Focus“ und FAZ angeschlagen wurden. Das ist überwiegend auch jetzt noch der Fall, doch hier und da scheint Einsicht in die wahren Hintergründe der Krise einzukehren.

Ähnlich kritisch wie die Finanz- und Wirtschaftsexperten äußerte sich zu der Sanktions- und Konfrontationspolitik auch der US-amerikanische Historiker und Rußland-Experte Stephen Cohen, Professor an der Princeton University und an der New York University. Im Juni 2015 warnte er, jetzt passiere genau das, „was die NATO seit 15 Jahren angestrebt hat“. Verteidigungsminister Ashton Carter balanciere „am Rande eines Krieges mit Rußland“. Die russische Regierung sei gezwungen, so Cohen, etwas dagegen zu tun, daß US-Truppen und schweres Kriegsgerät an ihren Grenzen stationiert würden. Doch auf jeden Gegenschritt Moskaus erfolge ein Gegenschritt Washingtons, und diese militärische Eskalation könne im Endeffekt zu einer „Konfrontation wie in der Kuba-Krise“ führen. Der Westen überzeuge mit Propaganda die übrige Welt, daß Rußland eine Bedrohung darstelle; das werde „von den Leuten getan, die seit Jahrzehnten nach einer Offensive gegen Rußland lechzten“. Cohen empfiehlt den Politikern in den europäischen Staaten, sich darüber Gedanken zu machen, daß die USA weder den Euro retten noch billige Energieträger an die EU liefern könnten.

Aber der mörderische Bürgerkrieg in der Ukraine ist immer noch nicht beendet. Kampfpausen nach den ersten Minsker Waffenstillstandsvereinbarungen vom 5. September 2014 hat die Regierung Poroschenko/Jazenjuk genutzt, um nachzurüsten, und obwohl das Land quasi bankrott ist, wurde der Militäretat erheblich erhöht. Auch die zweiten Minsker Waffenstillstandsverhandlungen vom 12. Februar 2015 und die Ende August 2015 vereinbarte neuerliche Waffenruhe werden ohne eine massive Einflußnahme der USA nicht von der Kiewer Regierung eingehalten werden. Es ist fraglich, ob die Kriegstreiber in den USA, die eine starke Fraktion im Kongreß stellen, überhaupt an einer Waffenruhe in der Ostukraine interessiert sind. Es geht nach wie vor um erhebliche Waffenlieferungen an die Ukraine, die allerdings bisher von Präsident Obama nicht genehmigt wurden.

Dafür scheint es triftige Gründe zu geben. Von Beobachtern wird berichtet, daß die Lage in der Ukraine auch ohne Einflußnahme der USA äußerst labil bleibt. Im Osten gibt es seit Juli 2015 immer wieder Gefechte, an denen die Freiwilligenbataillone beteiligt sind, im Westen wüten die Ultranationalisten des Rechten Sektors und vor dem Kiewer Parlament fanden gewalttätige Demonstrationen statt. Nachdem Poroschenko mit Unterstützung der Neonazis an die Macht kam, droht der Rechte Sektor inzwischen offen damit, den Präsidenten zu stürzen. Dadurch könnte eine zusätzliche ernste Gefahr für Europa entstehen.

Der Autor ist Schriftsteller und Jurist. Zuletzt erschien von ihm das vielbeachtete Buch „Die Eroberung Europas durch die USA“.