Der Kabarettist als Aufklärer
Fünf Jahrzehnte lang hat Dietrich Kittner Kabarett gemacht. Meistens stand er allein auf der Bühne, 200 oder sogar 250mal im Jahr, und die Vorstellungen dauerten drei Stunden und mehr. Immer befaßte er sich mit aktuellen Themen, immer aber auch mit fundamentalen Mißständen der Gesellschaft. Zu seiner Lebensleistung gehört auch eine stattliche Reihe von Büchern und Platten.
Ich erinnere mich vor allem an Kittner-Auftritte in den 1970er Jahren. Damals notierte ich: Er richtet seine Anzeigen nicht ins Blaue hinein, erstattet nicht „Anzeige gegen Unbekannt“, er nennt die Dinge und Verantwortlichen beim Namen, nach dem Motto: „Das Verbrechen hat Namen, Anschrift und Gestalt.“ Er gehört zu den gewiß nicht zahlreichen politischen Aufklärern in unserem Land, denen es gelingt, die von Brecht bezeichneten „Fünf Schwierigkeiten beim Verbreiten der Wahrheit“ zu überwinden. Er hat den Mut, „die Wahrheit zu sagen, obwohl sie allenthalben unterdrückt wird; die Klugheit, sie zu erkennen, obwohl sie allenthalben verhüllt wird; die Kunst, sie handhabbar zu machen als Waffe; das Urteil, jene auszuwählen, in deren Händen sie wirksam wird; die List, sie unter diesen zu verbreiten“. Kittners Programm bietet Satire statt Blödelei, Ironie statt Veralberung, Gegeninformation und Aufklärung statt Phrase und Gag. Sein hintergründiger Humor ist nicht auf vorschnellen Beifall aus. … Er bringt die Leute an den richtigen Stellen zum Lachen, das heißt auf Kosten der Richtigen. Das Verächtlichste ist, Scherze auf Kosten derer zu machen, die sonst nichts zu lachen haben; dann lachen sich nämlich die ins Fäustchen, die aufgrund ihrer Vor- und Sonderrechte allen Grund zum Lachen haben. Sein tiefschürfender intellektueller Witz entfesselt keine schenkelklatschenden Lachsalven vordergründiger Übereinkunft. Auch Linke kriegen ihren Teil ab, falls sie aufgrund falschverstandener Revolutionsseligkeit die Revolutionierung ihrer eigenen Köpfe vernachlässigt haben sollten. Hier erweist sich Kittner als geschickter Fallensteller und Politakrobat mit doppeltem Boden. So zum Beispiel, wenn er die „neuesten“ Ostfriesenwitze zum Besten gibt und das ausbrechende Gelächter mit der Bemerkung stoppt, daß es sich hier leider um altbekannte Judenwitze der Nazis handele, diesmal auf eine andere Minderheit angewandt. Um sich nicht als linkes Über-Ich aufzubauen, fügt er noch hinzu, daß es ihm selber so ergangen sei, als er zum ersten Mal mit diesen Fang-Witzen konfrontiert wurde.
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