RotFuchs 197 – Juni 2014

Millionen Spanier trotzten der Erniedrigung
durch das Rajoy-Regime

Der Kampf um Würde

RotFuchs-Redaktion

In diesem Frühjahr schlug der Widerstand der spanischen Massen gegen ihre soziale Degradierung in eine neue Qualität um. Sehr unterschiedliche Formen des Protestes gegen den menschenverachtenden Kurs der Madrider Regierung unter Mariano Rajoy vereinigten sich zu einem mächtigen Strom. Die Volkspartei (Partido Popular – PP) des hart bedrängten Premiers steht in der ideologischen und politischen Nachfolge der Franco-Faschisten. Inzwischen sieht sie sich mit einer ständig an Breite gewinnenden Massenbewegung konfrontiert. Den Höhepunkt der diesjährigen Aktivitäten gegen Rajoys volksfeindliche Maßnahmen stellte der landesweite Marsch für Würde dar. Die aus allen Himmelsrichtungen in die Hauptstadt aufgebrochenen Kolonnen – ihre Teilnehmerzahl wurde von den Veranstaltern auf ein bis zwei Millionen geschätzt – vereinigten sich am 22. März auf dem Madrider Kolumbus-Platz zum größten Fest der Demokratie in der neueren spanischen Geschichte.

Die von sämtlichen Beteiligten unterstützte Hauptforderung lautete: „Brot, Arbeit, Wohnraum und Würde!“

Zu jenen, welche sich überall in Spanien zu Fuß auf den Weg gemacht hatten, stießen 900 Busse und zahllose Kolonnen privater Fahrzeuge. Unter den Demonstranten sah man die seit Monaten im Kampf stehenden Bergleute, Streikende der Coca-Cola-Fabriken, Aktivisten der Bewegung gegen Zwangsexmittierungen nicht zahlungsfähiger Mieter, viele aus dem Riesenheer der Arbeitslosen, junge Leute ohne Perspektive, zahlreiche Studenten, sich gegen Rajoys verhängnisvolle Politik auflehnende Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Pädagogen aller Bereiche. Etliche Demonstranten trugen Losungen, die ihren spezifischen Anliegen Ausdruck verliehen. Die Forderungen aller wurden in einem Manifest gebündelt. Darin hieß es u. a., es gehe um „würdige Beschäftigung, ein generelles Grundeinkommen, soziale Rechte und demokratische Freiheiten, gegen die Zwangseintreibung von Schulden, Budgeteinschnitte, Unterdrückung und Korruption. Wir wollen eine Gesellschaft freier Männer und Frauen, die Mobilisierung gegen ein System, das uns mißfällt und das uns in keiner Weise vertritt.“

Nie zuvor hatte man in Spanien eine solche Vielfalt beteiligter Organisationen, Vereinigungen und Verbände gesehen, wobei die linken Parteien und die Gewerkschaftszentralen Comisiones Obreras (CCOO) und CNT sowie die KP Spaniens (PCE) und deren Wahlfront Vereinigte Linke (IU) den Kern der Organisatoren des Marsches für Würde verkörperten. Den Ordnungsdienst hatten an diesem Tag die hauptstädtischen Feuerwehrleute übernommen.

Als die zehn Marschkolonnen der Auswärtigen die Peripherie der spanischen Metropole erreichten, wurden sie von unzähligen Madridern stürmisch begrüßt und zum Kundgebungsort begleitet.

Die Staatsmacht hatte 1650 Polizisten im Einsatz, denen einige ultralinke Hitzköpfe Gelegenheit verschafften, ihr Gewaltmonopol auszuspielen. Sie fielen über vereinzelte Demonstrantengruppen her und jagten die von ihnen Verfolgten bis zu den U-Bahn-Eingängen.

Die Teilnehmer des Abschlußmeetings sagten der Rajoy-Regierung und der berüchtigten Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds entschiedenen Widerstand an.

In ihrer April-Ausgabe veröffentlichte „Solidaire“, die jetzt als Monatsschrift erscheinende bisherige Wochenzeitung der Partei der Arbeit Belgiens (PTB), auf ihrer täglich erneuerten Internet-Homepage ein bemerkenswertes Interview mit Maite Mola. Die Verantwortliche für internationale Beziehungen des ZK der KP Spaniens beantwortete Fragen zu den konkreten Inhalten des derzeitigen Kampfes in ihrer iberischen Heimat. Bei der größten Protestaktion der letzten Jahrzehnte, an der sich Hunderte Organisationen beteiligt hätten, seien sehr unterschiedliche Interessengruppen aktiv geworden. Das einzige, was alle vereint habe, sei das Thema Dignidad (Würde) gewesen. Diese werde vor allem durch die immer dramatischer anwachsende Arbeitslosigkeit, die inzwischen ein Viertel aller Spanier betreffe, und die brutale Handhabung der Wohnungsmisere mit Füßen getreten. Tausende Menschen seien in letzter Zeit ohne viel Federlesen auf die Straße gesetzt worden. Gegenwärtig vegetierten 12 Millionen Spanier unterhalb der Armutsgrenze. Die noch im Arbeitsprozeß Stehenden erhielten oftmals Hungerlöhne. So bezögen 2 der 7,7 Millionen berufstätigen Frauen weniger als das Mindesteinkommen.

Das öffentliche Gesundheitswesen liege weithin am Boden. Ein Rettungswagen der Dringenden Medizinischen Hilfe treffe oftmals erst nach etlichen Stunden bei Notfallpatienten ein. Nur eine Privatversicherung, für die allerdings 110 bis 125 € im Monat gezahlt werden müßten, eröffne einen Ausweg aus der Misere.

Maite Mola ging auch auf das Thema der Medienberichterstattung über den Marsch für Würde ein. Zuerst sei dieses Großereignis völlig totgeschwiegen worden. An den Tagen vor dem 22. März hätten selbst die öffentlich-rechtlichen Sender kein Sterbenswörtchen verlauten lassen. Später habe sich die bürgerliche Journaille auf Zwischenfälle am Rande des Geschehens gestürzt, ohne dabei das harte Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten zu erwähnen.

Spaniens rechtssozialdemokratische PSOE – die größte parlamentarische Oppositionspartei – habe der machtvollen Willensbekundung einmal mehr die kalte Schulter gezeigt. Von ihr sei statt dessen ein anderes Thema bedient worden – das Ableben des früheren Premiers Adolfo Suarez. Das habe sich gerade zum rechten Zeitpunkt ereignet. Während der PSOE nahestehende Medien den Marsch für Würde außer Betracht ließen, berichteten sie detailliert über den Tod und die Beisetzung von Suarez. Bei Attacken auf Rajoy schneide sich die PSOE-Spitze ins eigene Fleisch, da dessen Vorgänger – der Sozialist Zapatero – bereits einen ähnlichen Kurs verfolgt habe, stellte Maite Mola fest. „Wenn wir, wie beim Marsch für Würde, die Einheit zwischen den sozialen Bewegungen, den Gewerkschaften und den Linksparteien auf Dauer herstellen könnten, dann wären in Spanien viele Dinge möglich“, sagte sie. Schließlich sei einer der am häufigsten skandierten Sprechchöre der Demonstranten vom 22. März „Ja, man kann es tun!“ gewesen, worauf die Antwort stets gelautet habe: „Ja, man muß es tun!“

RF, gestützt auf „Solidaire“, Brüssel