Der kleine Fuchs und die Elfenbeintürme
„Mama, was ist ein Elfenbeinturm?“, fragt der kleine Fuchs. „Der Elfenbeinturm ist Phantasie, es gibt ihn nicht wirklich. Wer im Elfenbeinturm lebt, befaßt sich mit eigenen Gedanken, wobei er die tatsächliche Welt vergißt und sich seine eigene macht. Wie kommst Du darauf?“
„Unser Vetter, der Löffelhund-Großohrfuchs, hat erzählt, daß in Kenia Elfenbeintürme gebrannt haben.“ „Das ist leider wahr und eine ganz traurige Geschichte. Dort haben tatsächlich Türme aus Elfenbein gebrannt.“
„Was ist Elfenbein?“ „Du hast doch im Tierpark Elefanten gesehen?“ „Ja, sie waren riesig groß, haben gerade gefressen, mit dem Rüssel ganze Heubüschel gegriffen und sich ins Maul gestopft. Manche hatten dicke lange Stoßzähne.“ „Und diese werden ihnen in ihrer Heimat zum Verhängnis“, erklärt die Mutter. „Wegen dieser Zähne werden sie von Wilderern verfolgt, gejagt und erschlagen. Man bricht sie ihnen aus, um sie als wertvolles Elfenbein zu verkaufen. Die Elfenbeintürme in Kenia, von denen der Vetter erzählt hat, waren meterhohe Scheiterhaufen aus aufgetürmten Stoßzähnen von ungefähr achttausend Elefanten. Sie wurden erschossen oder erschlagen. Die toten Körper ließ man einfach liegen.“
In Kenia wurden 105 Tonnen Elfenbein mit einem Schwarzmarktwert von etwa 150 Millionen US-Dollar in Brand gesteckt – als ein Zeichen gegen Wilderei.
„Wegen der Zähne? Das ist ja schrecklich. Kann man nichts dagegen tun?“ „Die Tiere leben in Maasai Mara, einem Naturschutzpark in Kenia. Wildhüter versuchen, sie zu schützen. Aber nachts kommen Banditen, erschießen die Elefanten und nicht selten auch die Menschen, welche sie daran hindern wollen. Wenn man diese Gauner nicht stoppen kann, wird es dort in zehn Jahren keine Elefanten mehr geben.
Natürlich ist ein lebender Elefant wertvoller als seine Zähne. Das sieht die Regierung des Landes genauso, nicht aber die Elfenbeinjäger, die damit unvorstellbar viel Geld verdienen. Sie beschaffen Waffen, rüsten damit Terrorgruppen aus, schüren bewaffnete Kämpfe, um möglichst ungestört ihre Untaten ausführen zu können.“
„Wer kauft ihnen das Elfenbein ab?“, fragt der Kleine. „Es gibt besonders in Asien ganze Banden von Schleichhändlern, die daran verdienen. Sie lassen aus dem Elfenbein religiöse Gegenstände, Schmuck, Kunstschnitzereien anfertigen, die das sogenannte weiße Gold noch wertvoller machen.“
„Und was haben die davon?“ „Sie verkaufen es teuer weiter, weil es Menschen gibt, bei denen es seit Jahrhunderten so üblich ist, Elfenbeinschätze zu besitzen und sich damit Ansehen und Geltung zu verschaffen.“
„Ganz schön dumm! Ich dachte Beachtung bekommt der Mensch durch Anstrengung und Leistung.“ „Ja, aber Reichtum und Macht sind große Verführer. Und jahrhundertealte Sitten und Gewohnheiten sind nicht leicht zu überwinden. Denk nur, wie schwer es ist, den Walfang und die Delphinjagd abzuschaffen, oder wie an vielen Orten der Welt religiöse Traditionen ausgenutzt werden, um Völker aufeinanderzuhetzen. Immer geht es dabei um Macht und Geld!“
„Geld?“, fragt der kleine Fuchs nach, „war es dann richtig, das viele Elfenbein zu verbrennen? Es soll einen Wert von 150 Millionen Dollar gehabt haben. Hätte das Land dieses Geld nicht gebraucht? So sind die Elefanten ganz umsonst gestorben!“
„Darüber muß ich nachdenken“, überlegt die Mutter. „Wenn daraus Kunstwerke für ein Museum gemacht oder mahnende Ausstellungen eingerichtet worden wären, hätten sich das Besucher aus aller Welt ansehen können. Trotzdem meine ich, es war richtig, das gestohlene Elfenbein zu vernichten, damit wäre sonst wieder Geld verdient worden, und das Abschlachten der Riesen hätte nachträglich noch eine Rechtfertigung erfahren. Das Verbrennen war eindeutig, war ein Zeichen, daß das Land nicht am illegalen Elfenbeinhandel verdienen will, daß ihm die lebenden Elefanten wichtiger sind und unendlich mehr bedeuten als nur ihr Elfenbein.“
„Und verstehen die Menschen dieses Zeichen?“, möchte der Sohn wissen.
„Nicht alle. Wer daran bisher verdient hat, will nicht verstehen. Wer denkt, daß sich Menschen durch Zeichen und Appelle ändern, der lebt, wie man so sagt, im Elfenbeinturm.
Für das Überleben der Elefanten ist das Verbot des Elfenbeinhandels in allen Ländern der Welt die einzige Hoffnung.“
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