Der Ministerpräsident
und das Parteiprogramm
Als wir Ende vergangenen Jahres beschlossen, das Augustheft 2016 der „Mitteilungen“ als Sonderheft zur Friedensfrage herauszugeben, wußten wir natürlich noch nicht, welche lichtvollen Äußerungen Bodo Ramelow im Juli 2016 zur NATO machen würde. Wir wußten allerdings eines: Wenn es in unserer Partei Leute gibt, die davon träumen, nach den Bundestagswahlen 2017 Mitglied einer Bundesregierung zu werden, dann wissen sie, daß – wie es SPD-Fraktionschef Oppermann unlängst wieder betonte – „die Linkspartei Änderungen in ihrer Außen- und Sicherheitspolitik“ vornehmen muß. Oppermann weiter im „Tagesspiegel am Sonntag“ vom 10. Juli 2016: „Die Linke“ müsse „ohne Vorbehalte akzeptieren, daß jede Bundesregierung der internationalen Verantwortung Deutschlands etwa im Rahmen der NATO gerecht werden muß“. Spätestens Herr Gauck hat den Begriff „internationale Verantwortung“ zum Synonym für Kriegseinsätze werden lassen. Oppermann beklagt nun, daß in Teilen der „Linken“ Verantwortung abgelehnt und mit zugespitzten Parolen Stimmung gemacht würde. Und er fordert in absolut dreister Manier: „Wenn die Linkspartei regieren will, dann darf sie solche radikalen Vertreter nicht für den Bundestag nominieren. Eine Koalition mit der SPD kann es nur geben mit verläßlichen Abgeordneten.“ Mit anderen Worten: Nur, wenn unsere Partei ihre friedenspolitischen Grundsätze über Bord wirft und keine Kandidaten für den Bundestag aufstellt, die an diesen Grundsätzen festhalten wollen, besitzt die laut Wahlumfragen inzwischen auf ca. 20 Prozent abgewrackte SPD die unendliche Güte, eventuell mit der „Linken“ zu koalieren.
Ist es denkbar, daß die SPD-Protagonisten von dieser arroganten Position abrücken? Es ist so gut wie undenkbar. Denn es geht hier nicht um Charakterfragen, um Bescheidenheit oder Arroganz, sondern es geht um die Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland. Wer auf Bundesebene mitregieren will, hat diese zu akzeptieren. Ein bißchen Akzeptanz gibt es hier nicht. Die Staatsräson läßt sich nicht einfach auch mal beiseite legen. Da hat Oppermann völlig recht.
Und hier schließt sich der Kreis. Da wir mittlerweile über ein Vierteljahrhundert die Erfahrung machen, daß es manche in unserer Partei nahezu in die Bundesregierung drängt und somit die Frage nach unseren im Parteiprogramm fixierten friedenspolitischen Grundsätzen von ihnen wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden muß, entschieden wir uns vor acht Monaten, dieses Sonderheft herauszugeben. Wir bedanken uns bei Bodo Ramelow dafür, daß er so frühzeitig so klare Worte fand, die unser Anliegen für jeden nachvollziehbar machen. „Ich rate meiner Partei“, so der erste Ministerpräsident der Linkspartei, „an der NATO-Frage diese Koalitionsmöglichkeit nicht unmöglich zu machen. … Das heißt ja nicht, daß wir begeisterte NATO-Anhänger werden müssen.“ Da kommt uns die Dankbarkeit hoch. NATO ja, aber ohne Begeisterung. Dann ist es ja gut. Wenn wir von der NATO begeistert sein sollten, dann wäre es eine unüberwindliche Hürde. Aber unbegeistert können wir durchaus in eine Dreierkoalition gehen und damit unbegeistert die Entsendung der Bundeswehr in Kriege und Konflikte mitverantworten und unbegeistert Rüstungsexporte mittragen. Täten wir es mit Begeisterung, so würden wir unsere Seele verkaufen; aber so … Und deshalb rät Ramelow seiner Partei, eine Dreierkoalition müsse lernen, „Themen, die wegen unterschiedlicher Positionen der drei Partner nicht zu regeln sind, auch mal beiseite zu legen“. Das ist etwa so, als würde man einem absoluten Gegner jeglicher Prostitution Aktien an einem Freudenhaus anbieten mit dem Vermerk, er möge doch den Gedanken an die Prostitution auch mal beiseite legen.
Es ist unglaublich, wie hier eine linke Amtsperson das Parteiprogramm ignoriert. Das läßt sich nicht einmal damit begründen, daß er ja Ministerpräsident aller Thüringer ist. Es sei denn, er will Thüringen separat in die NATO führen, was aber unwahrscheinlich ist. Unglaublich ist auch der Zeitpunkt, zu dem Bodo Ramelow im Kontext mit der NATO äußert: „Ich gebe meine Zurückhaltung jetzt auf.“ Die NATO beschließt auf ihrer Tagung vom 9./10. Juli 2016 in Warschau die Stationierung von Tausenden Soldaten in den russisches Territorium einkreisenden NATO-Staaten. Sie hebt die Bedeutung nuklearer Waffen hervor und beschließt, den neuen Atombombentyp B61-12 auch in Europa zu stationieren. Dieser Typ kann von allen Trägerflugzeugen der Mitgliedstaaten abgeworfen werden. Und der Warschauer Gipfel feiert das Erreichen der „Anfangsoperationsfähigkeit“ der US-Raketenabwehr in Rumänien und anderen NATO-Staaten, so in Polen. Außerdem wird in Warschau beschlossen, die Truppenstationierung in Afghanistan zu verlängern, AWACS-Aufklärungsflugzeuge zur Überwachung des Luftraumes über Syrien und dem Irak einzusetzen und an der EU-Marineoperation vor Libyen teilzunehmen.
Der sicher auch von Bodo Ramelow hochgeschätzte Michail Gorbatschow kritisierte in einem Interview am 10. Juli 2016 diese Pläne als „unverantwortlich“. Die NATO habe angefangen, sich auf den Übergang vom kalten Krieg zu einem heißen Krieg vorzubereiten. „Wenn es zu einem Krieg kommt, wird es der letzte sein“, warnte Gorbatschow. Könnte Bodo letzteres etwa mißverstanden haben und sich darauf freuen, daß die Kriege bald ein Ende haben werden? Gorbatschow hingegen hatte wohl eher an Einstein gedacht, der über einen möglichen dritten Weltkrieg gesagt hatte: „Ich bin mir nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen.“
Für alle, die es noch nicht mitbekommen haben: Die Kriegsangst geht wieder um – aus sehr nachvollziehbaren Gründen. Wenn wir eine linke Partei bleiben und wenn wir gewählt werden wollen, müssen wir Antikriegspartei bleiben. Sonst sind wir es nicht wert, weiterzuexistieren.
Aus Heft 8/2016 der „Mitteilungen“ der Kommunistischen Plattform der Partei Die Linke, redaktionell geringfügig bearbeitet.
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