Thüringens Landesregierung – Erfolg oder Debakel der PDL?
Der Schlichter von Bischofferode
Seit dem „Machtantritt“ der Koalitionsregierung aus Linken, SPD und Grünen unter Ministerpräsident Bodo Ramelow (PDL) ist im Freistaat Thüringen deutlich mehr als ein Jahr vergangen. Die von einigen an die Wand gemalte Revolution hat nicht stattgefunden. Am Ruder befindet sich eine Kabinett, das sich von anderen bürgerlichen Teams nicht unterscheidet. Thüringens wenige Marxisten, die eine wirkliche Veränderung der Gesellschaft anstreben, besitzen derzeit keine Massenbasis und sind auch nicht im Kabinett Ramelow vertreten.
Hungerstreik der Bischofferoder Kalikumpel, die zeitweise ihr Werk besetzt haben.
Dabei gab es in der thüringischen Geschichte schon ganz andere Kapitel. Ein Rückblick in das Jahr 1923 mag das verdeutlichen.
Nach dem Sturz der Reichsregierung Wirth kam das Kabinett des HAPAG-Direktors Cuno zum Zuge. Es war das bis dahin „reaktionärste Team“ der Weimarer Republik.
Am 11. August 1923 beschloß die Vollversammlung der Berliner Betriebsräte einen dreitägigen Generalstreik zum Sturz der Cuno-Regierung. In Hamburg waren die Werftarbeiter bereits zwei Tage zuvor gegen Entlassungen und Geldentwertung in den Streik getreten. Es gab dort aber kein gemeinsames Handeln von KPD und SPD. Am 13. August ließ der sozialdemokratische Hamburger Polizeisenator sogar im Stadtzentrum auf demonstrierende Arbeiter schießen. Es gab Tote und Verletzte. In jenen Tagen streikten in Berlin, Rheinland-Westfalen und Südwestdeutschland, aber auch in Sachsen und Thüringen mehr als 3,5 Millionen Arbeiter und Angestellte. Sie zwangen die Cuno-Regierung zum Rücktritt.
Am 10. Oktober bildeten in Sachsen und am 16. Oktober in Thüringen Kommunisten und Sozialdemokraten gemeinsame Regierungen. Deren Aufgabe wäre es gewesen, als demokratische Machtorgane die Arbeiter zu bewaffnen und der Konterrevolution Paroli zu bieten. Das aber scheiterte am Schwanken linker Sozialdemokraten und einer opportunistischen Haltung kommunistischer Minister. Beide Regierungen trafen nicht nur keine Maßnahmen zur Organisierung der revolutionären Massenbewegung, sondern versäumten es auch, Schritte zur unmittelbaren Verbesserung der Lage der Werktätigen in die Wege zu leiten. Am 13. Oktober 1923 wurde mit den Stimmen der SPD-Abgeordneten vom Reichstag ein erstes Ermächtigungsgesetz beschlossen. Nach Verhängung des Ausnahmezustandes durch Reichspräsident Ebert (SPD) stellte das einen weiteren Schritt in Richtung Militärdiktatur dar. Ende Oktober marschierte die Reichswehr auf Eberts Befehl in Sachsen ein und gebärdete sich dort als Bürgerkriegstruppe. 50 Arbeiter wurden erschossen. Sie besetzte die Ministerien, das Landesparlament wurde aufgelöst, ein Reichskommissar ernannt. Anfang November rückte die Reichswehr auch in Thüringen ein, vertrieb die Arbeiterregierung aus dem Amt, begann Jagd auf Linke zu machen.
Von einer solchen Situation ist man im heutigen Freistaat Thüringen subjektiv wie objektiv natürlich meilenweit entfernt. Ein Hauptgrund dafür ist die Tatsache, daß es derzeit in Deutschland keine marxistische Partei mit Masseneinfluß wie die damals erst vier Jahre alte KPD gibt. Auch deshalb kann die Bundeswehr getrost in ihren Kasernen bleiben und Kriegsministerin von der Leyen ihre Quadrille reiten. Von Thüringens Ramelow-Regierung geht keine Gefahr für die Herren in den Chefetagen der Wirtschaft und des Bankwesens aus.
Ich möchte auf einige charakteristische Ereignisse aufmerksam machen.
Am 6. und 7. November 2015 fand das 14. Symposium „Recht und Gerechtigkeit – Die strafrechtliche Aufarbeitung von Diktaturen in Europa“ in Weimar statt. Ein Hauptausrichter war die sogenannte Landeszentrale für politische Bildung im Freistaat Thüringen. Das Programm wurde in drei Sektionen realisiert: Die Sektion I befaßte sich u. a. mit der strafrechtlichen Verfolgung von NS-Tätern in der BRD und in der DDR. Sie behandelte auch den Umgang der „SED-Diktatur“ mit den NS-Euthanasie-Verbrechen in Stadtroda. Hier findet sich bereits ein negativer Bezug auf die DDR.
In der Sektion II wurde man thematisch noch deutlicher. Dort ging es um die „strafrechtliche Verfolgung von Verbrechen der SED-Diktatur“ und die „juristische Aufarbeitung von DDR-Unrecht“, wobei auch die sogenannten „Mauerschützenprozesse“ nicht fehlen durften. In der Sektion III stand die „strafrechtliche Verfolgung von Verbrechen kommunistischer Regimes in Ost-, Mittel- und Südosteuropa“ auf dem Programm.
Bei der illustren Veranstaltung war Ramelows Landesregierung durch eine Staatssekretärin von Anfang bis zu Ende vertreten. Den Abschluß der zweitägigen Horrorshow bildete eine Führung durch die vom Kabinett des PDL-Ministerpräsidenten betreute „Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße“ – die ehemalige U-Haft -Anstalt des MfS.
Dem ostdeutschen Unternehmermagazin „Wirtschaft & Markt“ (November/Dezember 2015) gab Thüringens „sozialistischer“ Regierungschef ein Interview, in dem er von seiner zehnjährigen Erfahrung als DGB-Sekretär in Mittelhessen berichtete. Anschließend kam er 1990 nach Thüringen. Als Landesvorsitzender der Gewerkschaft HBV war er maßgeblich am Schlichterspruch im Kaliwerk Bischofferode beteiligt, wo die sich zum Widerstand erhebenden Kumpel der sonst überwiegend in Passivität verharrenden DDR-Arbeiterschaft ein leider rares Beispiel der Kampfbereitschaft gaben.
Schon damals agierte Ramelow gegen die Interessen der im Hungerstreik stehenden Bergleute, um den Verkauf an die westdeutsche Kali & Salz AG sicherzustellen. Wenige Monate danach wurde das Werk „abgewickelt“, wobei 700 Bergleute ihre Arbeitsplätze verloren. Wahrlich ein Skandal, der heute wieder an Aktualität gewinnt, nachdem sich herausgestellt hat, daß die damals angeblich nicht mehr erschließbaren Lagerstätten nunmehr vom Konzern zum Kauf angeboten werden.
Herrn Ramelow fällt dazu im Interview lediglich ein: „In Bischofferode war ich es, der letztlich den Arbeitskampf geschlichtet hat.“ Und: „Aber heute stehe ich bei K & S und eröffne mit dem Vorstand des Unternehmens das neue Forschungszentrum. Ich bin richtig positiv davon berührt, wieviel Geld K & S in die Forschung hier vor Ort bereits investiert hat.“ Ein Minimum an Schamgefühl gehört wohl nicht zu den Eigenschaften dieses Mannes.
Im selben Heft nimmt Ramelows Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) Unternehmen wie Banken die Angst vor dieser stinknormalen Regierung, indem er lapidar erklärt: „Es gibt nach wie vor Bananen, und die Betriebe sind nicht verstaatlicht.“
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