Wir waren dabei, wir sind dabei
Der Schwur von Luckau
Zum 20. Jahrestag der Gründung der SED hatte das „Neue Deutschland“ ein Preisausschreiben unter dem Titel „Wir waren dabei, wir sind dabei“ veranstaltet. Wir dokumentieren hier – fünfzig Jahre nach der Erstveröffentlichung am 18. März 1966 – den Beitrag von Werner Seiffert aus Berlin.
Über 40 Jahre zähle ich bereits zum Kreis der Genossen. Schon als junger Mensch hatte ich mich für die sozialistische Weltanschauung entschieden. Höhepunkte während meiner Zugehörigkeit zur Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) waren die Teilnahme an den Jugendtagen in Dortmund, Magdeburg, Wien und Frankfurt (Main). Das Internationale Jugendtreffen in Wien (1929) hat mich besonders beeindruckt. Ich spürte die Kraft des proletarischen Internationalismus. In einer weltumspannenden sozialistischen Bewegung sah ich die Möglichkeit, einen neuen Krieg zu verhindern. Doch ich hatte in meiner politischen Tätigkeit auch Erlebnisse, die mir zeigten, daß es noch großer Auseinandersetzungen bedurfte, um eine revolutionäre Arbeiterpartei durchzusetzen.
So entsinne ich mich einer Begebenheit anläßlich des Mitteldeutschen Jugendtages zur Vorbereitung unseres Parteitages der SPD. Im Demonstrationszug führte unsere Jugendgruppe Nordosten I „Karl Liebknecht“ ein Transparent mit: „Karl Liebknecht mahnt, der Feind steht im eigenen Land!“ Demonstranten und am Straßenrand stehende Magdeburger stimmten uns zu. Doch plötzlich drangen einige Leute in den Zug. Sie zerrissen das Transparent. Wir waren entsetzt. Schnell raus aus dem Zug! Die Mädchen unserer Gruppe nähten unsere Losung wieder zusammen, und dann zogen wir, zur Sicherung einige Burschen vor und hinter dem Transparent, im Demonstrationszug weiter. Begrüßt und mit Beifall empfangen, kamen wir bis in die Magdeburger Stadthalle zur Auftaktkundgebung für den SPD-Parteitag.
Karl Liebknecht / Denkmal von Theo Balden in Luckau
Der Zwischenfall förderte bei uns jungen Menschen den Reife- und Entwicklungsprozeß. Ahnungsvoll spürten wir die große Gefahr des Faschismus, die eine leider uneinheitlich handelnde deutsche Arbeiterklasse nicht mehr abwendete. Ein dunkles Kapitel der deutschen Arbeiterbewegung begann. Es stellte an uns junge Menschen, im Widerstandskampf unerfahren, sehr hohe Anforderungen. Hitlers Schergen verhafteten täglich Tausende unserer Besten und schleppten sie in die Konzentrationslager und Zuchthäuser. Und so trafen wir uns wieder, mit jahrelangen Zuchthausstrafen bedacht, und hatten nun Zeit und Gelegenheit, über unsere Versäumnisse nachzudenken und die Lehren zu ziehen.
Es begab sich 1936 im Zuchthaus Luckau. Wir hatten Material vom Kongreß der Kommunistischen Internationale mit den Reden der Genossen Dimitroff, Gottwald und Wilhelm Pieck „besorgt“. Abends im Schlafsaal wurde es vorgelesen und darüber diskutiert. Wir hatten mit einem selbstgebastelten Radiogerät Kenntnis von der Volksfrontbewegung in Frankreich erhalten und verfolgten abends gespannt die Nachrichten von dem heldenhaften Kampf des spanischen Volkes und der Internationalen Brigaden. Die über unsere Informationen abgehaltenen Diskussionen brachten uns einander näher. Wir kamen überein, in würdevoller Form unsere entschiedene Bereitschaft zur Einheit der deutschen Arbeiterbewegung zu bekunden. Wir organisierten eine kleine Feierstunde in unserem Schlafsaal, natürlich durch „Spanner“ an den beiden Eisentüren gesichert, um vor Überraschungen durch den Wachposten geschützt zu sein. Wir lauschten den Ausführungen einiger Genossen zu dem Thema: „Einheit“. Unter der trüb schimmernden einzigen Deckenlampe im Saal standen wir alle eng zusammen. Symbolisch reichten sich einige Genossen als Vertreter der KPD, der SPD und einiger anderer Gruppierungen kampfentschlossen die Hände. Wir schworen gemeinsam, wenn wir wieder in die Freiheit kommen sollten und wenn die faschistische Tyrannenherrschaft beendet ist, sollte uns nie wieder Parteihader trennen. Wir wollten uns mit unserer ganzen Kraft und unserem Leben für die Einheit der deutschen Arbeiterbewegung einsetzen – vereint in einer einheitlichen Arbeiterpartei. Zum Schluß der Luckauer Feierstunde summten wir das Arbeiterlied „Brüder, zur Sonne zur Freiheit“.
Doch bis dahin lag noch ein langer und trauriger Weg vor uns. 1937 kamen wir auseinander. Es begannen die Transporte ins Emsland-Moor, wir wurden „Moorsoldaten“. Nach der Entlassung wurde in der „Freiheit“ weitergearbeitet, und schließlich berief man uns zum Strafbataillon 999 ein, obwohl wir durch den besonderen blauen Ausschließungsschein als „wehrunwürdig“ galten.
Auf den griechischen Inseln arbeiteten wir mit den Genossen der griechischen Freiheitsbewegung zusammen, und in der eigenen Kompanie verbreiteten wir Material des „Nationalkomitees Freies Deutschland“ – immer und überall eingedenk des 1936 in Luckau abgelegten Schwurs!
Am 21. April 1946 durfte ich bei jenem historischen und unvergeßlichen Ereignis dabeisein, als die Genossen Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl mit ihrem Händedruck die Einheit besiegelten und die einheitliche Arbeiterpartei, die SED, beschlossen wurde. Meine Gedanken gingen zurück nach Luckau und ganz besonders zu den vielen treuen Genossen, die diesen Tag so erhofft und leider nicht mehr erlebt haben. Jetzt wurde ihr und unser Traum zur Wirklichkeit.
Und dann ging es an die Arbeit. Wir schufen die Grundlagen der neuen Gesellschaftsordnung und sind heute beim umfassenden Aufbau des Sozialismus. Wir ehemaligen Mitglieder der SPD waren und sind dabei.
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