Wie ein Oldenburger „Lenin“ wieder auf sein Podest gelangte
Der verschwundene Iljitsch
Am 3. Juli erreichte mich in Wuppertal ein verzweifelter Hilfeschrei aus Oldenburg. Dort war eine ortsbekannte Lenin-Statuette plötzlich abhanden gekommen.
In der außerordentlich beliebten und auch von DKP-Genossen der Stadt als Veranstaltungslokal genutzten Szene-Gaststätte „bei Beppo“ gehörte eine Lenin-Figur seit vielen Jahren zum Dekor. Sie hatte ihren festen Platz auf einem Podest unmittelbar neben der Theke und war – da im Blickfeld aller – nicht selten Thema von Gesprächen der Gäste. Es handelte sich um ein Geschenk des Oldenburger „Bundschuh“-Chors, der das Kleinod 1986 auf einer Tournee durch Kasachstan erworben hatte.
Eines Tages war die Statue verschwunden. Gäste hätten sie bei einer Party wohl mitgehen lassen, ärgerte sich die Wirtin Heike Brüntjen über den Verlust der zum Inventar gehörenden kleinen Skulptur. Um in die Bresche zu springen, faßte ich den Entschluß, meine eigene Statue zu opfern und „Lenin“ sobald wie möglich nach Oldenburg zu bringen. Auf diese Weise unternahm Iljitsch – freilich im übertragenen Sinne – nunmehr eine zweite Reise durch Deutschland – diesmal allerdings nicht wie 1917 aus seinem Schweizer Exil in einem verplombten Waggon der Reichsbahn, sondern im IC, der mich aus der Friedrich-Engels-Stadt nach Oldenburg brachte. Auf der Fahrt dorthin erinnerte ich mich, welche Rolle gerade Engels im Leben, Denken und Handeln Lenins gespielt hat, mit wieviel Hochachtung er über unseren Wuppertaler Ahnherrn zu schreiben wußte.
Am 14. September konnte ich der Wirtin in der überfüllten Gaststätte – gewissermaßen vor versammelter Mannschaft – meine kleine Lenin-Plastik, eine biographische Skizze über den Führer der Bolschewiki sowie eine „Schenkungsurkunde“ überreichen. Natürlich befand sich in meinem Gepäck auch eine Flasche „Moskowskaja“-Wodka, was bei Kennern in der Runde zusätzliche Freude hervorrief.
Es war für alle ein Augenblick der Genugtuung, als die Statue auf ihren Platz zurückkehren konnte. In einer kurzen Ansprache wies ich darauf hin, daß „Lenins“ Rückkehr möglichst viele Einwohner der Stadt und ihrer Umgebung dazu anregen möge, sich mit Leben und Werk dieses außergewöhnlichen Mannes zu beschäftigen.
Wer fortan Oldenburg besucht, sollte Heike Brüntjens „bei Beppo“ nicht auslassen – auch, um bei dieser Gelegenheit einen Blick auf „ihren“ Lenin zu werfen.
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