Deutschland war die
viertgrößte Kolonialmacht
Am 15. November 1884, dreißig Jahre vor Ausbruch des ersten Weltkrieges, begann unter dem Vorsitz Otto von Bismarcks die „Kongokonferenz“, die bis zum 16. Februar 1885 andauerte. Sie endete mit der Unterzeichnung der „Kongo-Akte“ durch Vertreter von 16 Staaten – darunter die USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Spanien und das Osmanische Reich.
Anlaß der Konferenz war der Streit um ein riesiges Gebiet im Kongobecken, das Belgiens König Leopold II. an sich gerissen hatte. Es wurde auch von Frankreich und England begehrt. Otto von Bismarck, der lange Zeit einer deutschen Kolonialpolitik skeptisch gegenübergestanden hatte, sollte als „ehrlicher Makler“ vermitteln. Die Beratung auf hoher Ebene, die am 15. November 1884 im Reichskanzlerpalais stattfand, war ein bis dahin einmaliger Vorgang: Niemals zuvor hatten sich die Vertreter der meisten europäischen Staaten, der USA und des Osmanischen Reiches versammelt, um einen fremden Kontinent aufzuteilen. Die schnurgeraden Grenzlinien vieler afrikanischer Staaten waren Ergebnisse dieser Konferenz. Sie wurden ihrerseits bis heute zur Ursache von Konflikten und Kriegen.
Unmittelbar vor der Berliner Konferenz begann sich Bismarck in der Kolonialfrage zu korrigieren. Am 19. Mai 1884 erklärte er Territorien in Südwestafrika, die der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz in seinen Besitz gebracht hatte, zum „Schutzgebiet“ des Deutschen Reiches. Ein Kriegsschiff sollte diesen Status garantieren. Bismarck wollte mit seiner Formel das Wort Kolonie vermeiden. Allerdings änderte sich das noch zu seiner Amtszeit. Im Auswärtigen Amt richtete man nämlich eine Kolonialabteilung ein.
Der auf Expansion zielende Kurs wurde zu einem wichtigen Impuls für die deutsche Flottenrüstung. Berlins Aktivitäten führten zur Rivalität mit den „alten“ Kolonialmächten.
Forscher wie Gustav Nachtigall und Hermann von Wissmann bereiteten die deutsche Afrika-Politik vor, „Kolonialvereine“ begleiteten sie. Missionare aus dem Reich gehörten zum Troß der Kolonialkrieger. Man erklärte den Besitz von Kolonien zu einer existentiellen Frage. Heinrich von Treitschke, ein dem Reichstag angehörender reaktionäre Historiker, verkündete 1884: „Für ein Volk, das an einer ständigen Überproduktion leidet und Jahr für Jahr 200 000 seiner Kinder in die Fremde sendet, wird die Kolonisation zur Daseinsfrage.“ Die damals proklamierte Losung „Volk ohne Raum“ starb indes nicht mit ihrem Urheber.
Mitte der 80er Jahre gelangte auch Bismarck zu der Ansicht, Deutschlands Macht und Größe hingen nicht zuletzt von kolonialen Erwerbungen ab und die diesbezügliche Politik habe großen Einfluß auf den Ausgang von Wahlen.
Als Bismarck 1890 das Staatsruder aus den Händen gab, wehte die schwarz-weiß-rote Flagge über einem Territorium, das weit größer war als das „Mutterland“. Das Deutsche Reich nahm den vierten Rang unter den Kolonialmächten ein. Es verfügte über mehr als 14 Millionen „Eingeborene“ in seinen Besitzungen.
Nicht zuletzt um diese, um deren Verlust oder Vergrößerung, ging es im Ersten Weltkrieg.
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