Warum Malis Volk von NATO-Mächten
ins Visier genommen wurde
Die Anklage der Aminata Traoré
In den Weihnachtstagen 2012 berichtete die Nachrichtenagentur AP über die Entscheidung der Obama-Administration, am Beginn des neuen Jahres weitere 3500 Militärs der U.S. Army in 35 der 54 afrikanischen Länder zu „delegieren“. Das Pentagon erweise den Staaten des schwarzen Kontinents „solide Ausbildungshilfe“, damit sie „jeglichen Extremisten“ eine Abfuhr zu erteilen imstande seien.
Ohne Zweifel hat Washington in den letzten Jahrzehnten eine gesteigerte Aufmerksamkeit für „afrikanische Angelegenheiten“ an den Tag gelegt, die natürlich „absolut nichts“ mit Bodenschätzen, Absatzmärkten und ultrabilligen Arbeitskräften zu tun hat.
Am 30. Dezember 2012 wurde der erste Versuch direkter US-Truppenentsendung in die Region unternommen. Damals trafen im Tschad 50 Soldaten ein, um bei der Evakuierung von amerikanischen Bürgern und Botschaftsangehörigen aus der benachbarten Zentralafrikanischen Republik, die sich durch vorrückende „Rebellen“ bedroht sahen, Hand anzulegen.
Das in Stuttgart angesiedelte U.S. Africa Command – kurz AFRICOM –, welches kein afrikanischer Staat zu dieser Zeit aufnehmen wollte, hatte bis zum 10. Oktober 2010 bereits mehr als 1700 US-GIs in den unterhalb der Sahara gelegenen Teil Afrikas entsandt. Inzwischen operiert AFRICOM, dessen eventuelle Verlegung nach Ougadougou, die Hauptstadt Burkina Fasos, im Gespräch ist, von wo bereits US-Drohnen Erkundungsflüge über dem Norden Malis unternommen haben, auf dem gesamten Kontinent.
Die „engen Beziehungen“ zwischen einer Reihe afrikanischer Staaten und dem Pentagon reichen bis in den Frühsommer 2005 zurück, als Washington die auf fünf Jahre ausgelegte „transsaharische Partnerschaft zum Kontern von Terrorismus“ begründete, in dessen Folge das regelmäßig stattfindende gemeinsame Manöver „Flintlock“ unter Beteiligung von US-Spezialeinheiten mit entsprechenden afrikanischen Partnern abgehalten wurde.
Im Februar 2012 folgte dann die „Atlas-Übereinkunft‘“ zu alljährlichen Übungen, bei denen US-Luftlandetruppen samt schwerem Gerät abgesetzt wurden. Angeblich ging es dabei um die Bekämpfung von „Islamisten und anderen Terroristen“. Das besondere Interesse der U.S. Army konzentrierte sich auf die westafrikanische Republik Mali – eine frühere Kolonie Frankreichs.
Am 21. März 2012 wurde in Bamako die zivile Regierung des Präsidenten Amadou Toumani Touré durch einen Militärputsch gestürzt. Aufschlußreicherweise hatte AFRICOM unmittelbar davor gemeinsame „Übungen“ mit Malis Armee durchgeführt.
Unter dem Vorwand, die Einheit und territoriale Integrität des Landes gegen im Norden befindliche Angehörige des Nomadenstammes der Tuareg und radikale Islamisten schützen zu wollen, fielen die USA und ihr NATO-Partner Frankreich über Mali her. Als Deck- und Tarnmantel dienten hierbei die Strukturen der Ökonomischen Gemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWACS) – eine 15 Länder der Region umfassende politisch-militärische Allianz unter US-Ägide, die angeblich ein Eingreifen erbeten hatte.
Warum aber war ausgerechnet Mali von den Imperialisten zum Angriffsziel auserkoren worden?
Der Norden des Landes grenzt an potentiell äußerst ressourcenreiche Gebiete Algeriens, die schon seit langem vor allem den Appetit der Öl-Konzerne aus Übersee und Westeuropa angeregt haben. Überdies wurden in der zu Mali gehörenden Oasenstadt Tessalit erst unlängst reiche Vorkommen des schwarzen Goldes ausgemacht.
Der zweite Grund für das strategische Interesse der USA an dem westafrikanischen Staat ist die Tatsache, daß Mali an nicht weniger als sieben andere Länder – darunter Niger, Senegal und Mauretanien – grenzt. Die Obama-Administration bezeichnet die von ihr verfolgte Afrika-Politik nicht ohne Hintergedanken als „eine Strategie für den Kontinent als Ganzes“. Dabei haben gewisse Schlüsselstaaten in der politischen, ökonomischen und militärischen „Kooperation“ absolut Vorrang. Mali spielt dabei die Schlüsselrolle.
Nach dem Militärputsch vom März 2012 vergingen für sein Volk 18 wechselvolle Monate einer dauerhaft drohenden Spaltung des Landes. Frankreich nutzte die entstandene Lage aus, um mit militärischer Gewalt „Ruhe und Ordnung“ wiederherzustellen. Offiziell verfolgte die durch den „sozialistischen“ Staatschef Hollande angeordnete Operation Serval das Ziel, „die Terroristen aus dem Norden des Landes zu vertreiben“. Im Zuge ihrer Intervention unterbreitete die einstige Kolonialmacht den Bürgern Malis auch ein „Zeitfenster“ für Präsidentschaftswahlen, die dann im August stattfanden.
Aminata Traoré – sie war in anderer Zeit Bamakos Ministerin für Kultur und Angelegenheiten der Dritten Welt – verurteilte unlängst in einem Interview mit der belgischen Wochenzeitung „Solidaire“ unmißverständlich die französische Intervention. „Es ist davon auszugehen, daß Präsident Hollande die Absicht verfolgte, uns einzuschüchtern“, sagte sie dem Brüsseler Blatt. Das Volk Malis habe indes die einzige ihm noch verbliebene Chance zur Meinungsäußerung bei diesem Urnengang genutzt und dem durch Frankreich wie auch die USA favorisierten Verfechter eines großbourgeoisen Ultra-Liberalismus die Suppe versalzen. Sie glaube indes nicht daran, daß der sozialdemokratische Wahlsieger Ibrahim Boubakar Keita, der allgemein als IBK bezeichnet werde, die fatale Situation der bitterarmen Bevölkerung Malis tatsächlich zu ändern trachte. Doch mehr als ein Votum für ihn sei überhaupt nicht denkbar gewesen. Malis Volk habe durch seine enorme Selbstmobilisierung im Vorfeld der Wahlen aller Welt den Ernst der Lage vor Augen geführt, betonte die linksorientierte Politikerin. Übrigens habe sie wie IBK in Frankreich studiert, ohne deshalb – im Unterschied zu Malis neuem Präsidenten – eine Verbündete oder Komplizin der Sozialistischen Partei François Hollandes geworden zu sein.
Aminata Traoré, die international großes Prestige besitzt, bezeichnete Frankreichs Militäroperation als einen alle Dimensionen sprengenden Akt der Infamie. Noch immer befänden sich mehr als 5000 Soldaten der einstigen Kolonialmacht auf dem Boden Malis. „Mein Land ist ein Kollateral-Opfer der französischen Armee, die bei uns allein im Profitinteresse der Konzerne eingerückt ist.“ Das Ganze stelle eine reine Machtdemonstration dar. „Paris macht mit uns dasselbe, was Washington mit den Afghanen macht.“
RF, gestützt auf „The Guardian“, Sydney, und „Solidaire“, Brüssel
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