RotFuchs 212 – September 2015

Wie die USA einen modernen arabischen Staat
sukzessive zerschlugen

Die „Befriedung“ Iraks

Dr. Vera Butler

Sieger sind kaum jemals objektiv, wenn sie über Vorgänge berichten, die zu ihrer Herrschaft geführt haben. Seit dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches nach dem 1. Weltkrieg haben vor allem Großbritannien, Frankreich und die USA die Entwicklung der Ereignisse im Nahen und Mittleren Osten bestimmt, die zunächst zur Etablierung Israels und später zur systematischen Zerschlagung einer Reihe arabischer Staaten geführt haben.

Verfolgen wir die Ereignisse chronologisch. Die Herausforderung an den Kolonialismus entsprang nicht religiösen Motiven, sondern wurde durch einen erwachenden arabischen Nationalismus ausgelöst. Die ägyptische Revolution patriotisch gesinnter Armeeoffiziere führte zur Ablösung König Faruks, einer britischen Marionette. 1956 nationalisierte der Anführer der militärischen Akteure, Gamal Abdel Nasser, den Suezkanal. Großbritannien, Frankreich und Israel griffen daraufhin Ägypten an, mußten sich aber unter internationalem Druck wieder zurückziehen. Trotz allen Lamentierens, die Araber würden außerstande sein, den Kanal operationsfähig zu halten, funktionierte alles ganz normal. Nassers Außenpolitik war vom Geist positiver Neutralität im Kalten Krieg geprägt. Er unterstützte die Gruppe der nichtpaktgebundenen Staaten und vollzog die Gründung einer Vereinten Arabischen Republik mit Syrien, die jedoch nur von kurzer Dauer war. Im Lande selbst verteilte Nasser Grund und Boden an notleidende Fedayeen und sorgte für eine neue Verfassung, wodurch die republikanische Staatsform gefestigt wurde.

In Algerien führte die Revolution von 1962 zur Ablösung der französischen Kolonialherrschaft. In Libyen, einem der ölreichsten Länder, brachte eine Volksrevolution 1968 den national orientierten und Reformen ins Auge fassenden Offizier Ghaddafi ans Ruder.

1958 bereiteten irakische Offiziere der Haschemiten-Monarchie ein Ende. General Kassem nationalisierte das zuvor von ausländischen Konzernen geförderte Öl. Er gründete auch die erste Einheit der Palästinensischen Befreiungsarmee, die von Israel usurpiertes Land zurückerobern sollte. Zu dieser Zeit entstand die Arabische Sozialistische Baathpartei, unter deren Führung Irak auf dem Wege war, ein säkularer, unabhängiger Staat zu werden.

Abdul Haq al-Ani und Tariq al-Ani – die Autoren des Buches „Völkermord in Irak. Die Vernichtung eines modernen Staates“ – betrachten den Zionismus als eine aktive politische Bewegung mit einer klaren Ideologie. Sie halten ihn für den „mächtigsten politischen Spieler der Welt“. Großbritannien und die Vereinigten Staaten sicherten Israel – dem neuen Staat auf dem Boden Palästinas – ihre totale Unterstützung zu, wodurch eine zuverlässige westliche Machtbasis im Nahen Osten entstand. Zur Strategie der Absicherung Israels vor den das Land umgebenden arabischen Staaten sind die imperialistischen Mächte bestrebt, interarabische Glaubenskonflikte maximal anzustacheln. Daß diese Rechnung aufgegangen ist, zeigte der Angriff des Sunniten Saddam Hussein auf den schiitisch geführten Staat Iran, der 1980 begann und sich zu einem achtjährigen blutigen Konflikt auswuchs. Der historische Zusammenprall von Sunniten und Schiiten dauert bis heute an und wird vom Ölgiganten Saudi-Arabien finanziert, welcher sich der extrem-sunnitischen Wahabi-Sekte verschrieben hat. Hinter dem Rauchvorhang vorgespiegelter Demokratisierungsabsichten verbirgt sich eine umfassende Strategie. Die unstete Politik arabischer Staaten lud westliche Organisationen buchstäblich zur Intervention ein. Hier soll die „Internationale Krisen-Gruppe“ unter Leitung von Zbigniew Brzezinski genannt sein, die durch den Milliardär George Soros, einen Rothschild-Protegé, finanziert wird.

Bereits zu Jahresbeginn 1997 gründeten sogenannte Neokonservative in den USA das „Projekt für das neue amerikanische Jahrhundert“ (PNAC) mit der erklärten Zielsetzung, eine uneingeschränkte zionistische Hegemonie im Nahen Osten sowie den Sturz der Baath-Regierungen in Syrien und Irak herbeizuführen. Das Ergebnis dieser Politik des „Teile und herrsche!“ war nicht etwa ein Gleichgewicht der Kräfte, sondern die sich ursprünglich mit dem Segen der USA vollziehende Formierung einer extremistischen Gattung gnadenlosen Terrors um jeden Preis: des Islamischen Staates (IS), der das Ziel verfolgt, ein neues Kalifat in Irak und Syrien zu gründen.

Die jahrelange Vorbereitung des Überfalls auf Irak bestätigt die These, daß es sich nicht so sehr um eine Saudi-Revanche für den 11. September handelte, sondern vor allem um den Plan, Saddam Hussein – ein Hindernis für die Strategie der Unterjochung arabischer Länder – aus dem Wege zu räumen. Dabei war das irakische Öl die begehrte und anvisierte Beute. Im Verlauf von mehr als zwölf Jahren wurden Irak massiven Luftangriffen und die Regierung in Bagdad oktroyierten Flugverbotszonen ausgesetzt. Bereits im November 1998 beschuldigte die CIA den irakischen Staatschef, für die Entwicklung chemischer und biologischer Kampfstoffe zur Massenvernichtung gesorgt zu haben, obwohl diese Unterstellung frei erfunden war.

Ein Schein der Legitimität wurde der USA-Aggression durch die Einbeziehung Saudi-Arabiens, Kuwaits, Bahrains, Omans, Katars und anderer Mini-Staaten verliehen, die selbst nicht dazu imstande gewesen wären, Bagdad anzugreifen. Die CIA versuchte, irakische Offiziere durch Bestechung großen Stils zum Überlaufen zu bewegen. Als US-Außenminister Colin Powell im UN-Sicherheitsrat „Beweise“ für Iraks Massenvernichtungswaffen unterbreitete, wurde dieses Täuschungsmanöver des Generals sofort durch internationale Beobachter ins rechte Licht gerückt und zurückgewiesen. Am 5. Januar 2003 präsentierte Powell dem Gremium „Dokumente“ zur Existenz von Trainingslagern der al-Qaida in Nordirak. Doch auch dieser Trick verfing nicht.

Am 20. März 2003 fielen mit der Operation „Schock und Schreck“ insgesamt 466 985 Angehörige der U.S. Army, 40 906 Briten, 2050 Australier, 180 Polen und 31 Kanadier über Irak her. Nach UNO-Schätzungen wurden zwischen 1100 und 2200 Tonnen Uran-Munition über dem angegriffenen Land abgeworfen.

Bereits 1998 hatte der US-Kongreß ein „Irak-Befreiungsgesetz“ verabschiedet. Drei Jahre nach dem Fall Bagdads (2003) berichtete Iraks Planungsministerium, daß 6 % der Bevölkerung des einst als wohlhabend geltenden Landes inzwischen in Armut leben. 54 % der Iraker müßten mit einem Dollar am Tag auskommen. Das Welternährungsprogramm stelle Essens-portionen für 8 Millionen hungernde Landesbürger bereit. Die Autoren des erwähnten Buches sind der Ansicht, daß die Strategie der USA nicht allein auf einen Regimewechsel zielte, sondern vor allem auch bezweckte, Irak in einen vorindustriellen Zustand zurückzuversetzen – in eine soziale Wüste, die den Griff nach den Bodenschätzen des ölreichen Landes zwischen Euphrat und Tigris nicht aufzuhalten vermochte.

Dem „Lancet-Magazine“ war zu entnehmen, daß nach Angaben britischer Ärzte bis 2010 insgesamt 1,45 Millionen Irakis getötet und 7,7 Millionen zu Flüchtlingen gemacht wurden, während 5 Millionen Kinder ihre Eltern verloren. Hinzu kommt etwa 1 Million Vermißter. Und all das bei einer Bevölkerungszahl von 30 Millionen.